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Belastung für GeringverdienerHohe Spritpreise: Wenn Pendler kaum noch über die Runden kommen

20. März 2022, 16:48 Uhr

Benzin und Diesel werden wegen des russischen Krieges in der Ukraine immer teurer. Besonders betroffen von den hohen Spritpreisen: Autofahrer mit geringem Einkommen – oder Pendler. Hier erzählen fünf von ihnen, wie sehr die Preise sie belasten.

Nicht jeden Autofahrer treffen die hohen Spritpreise gleich: Manche nutzen das Auto ohnehin nur selten, andere können problemlos auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad umsteigen. Wieder andere verdienen so gut, dass die Preise für Benzin und Diesel für sie zu verschmerzen sind.

Doch es gibt auch die anderen: Menschen mit geringem Einkommen oder Pendler, die auf das Auto angewiesen sind. Sie treffen die aktuellen Spritpreise besonders hart.

Oma muss sparen – und sieht ihre Enkelin kaum noch

Eine von ihnen ist Gisela*. Täglich muss die 60-Jährige, die an einer neuen Befragung des Meinungsbarometers MDRfragt teilgenommen hat und anonym bleiben möchte, aus ihrem kleinen Dorf im Landkreis Mansfeld-Südharz fünf Kilometer in die nächst größere Stadt fahren. Dort arbeitet sie als Verkäuferin. "Auf den Bus kann ich leider nicht umsteigen", sagt sie. "Das passt von den Zeiten her absolut nicht."

Auf spontane Treffen mit Freunden verzichtet die 60-Jährige seit der Preissteigerung an den Tankstellen weitgehend. Was besonders schmerzt: Früher verbrachte Gisela die Nachmittage regelmäßig mit ihrer Enkeltochter. Doch nun ist diese meist allein, wenn sie von der Schule nach Hause kommt. Beide Eltern sind berufstätig. Und die Oma muss sparen.

"Ich bekomme den Mindestlohn und gehe 30 Stunden arbeiten. Da muss ich sowieso schon gucken, dass ich irgendwie über den Monat komme. Jetzt noch mehr", sagt Gisela. "Ich würde sie gerne öfter besuchen, aber das geht aktuell einfach nicht mehr. Das macht mir zu schaffen."

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Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Anfang der Woche einen staatlichen Zuschuss von 40 Cent pro Liter auf drei Monate befristet in Aussicht gestellt hatte, "kann nicht die einzige Lösung sein", findet die 60-Jährige.

Mit Blick auf den wohl hohen Verwaltungsaufwand für Tankstellenbesitzer, die Erstattungen beim Staat geltend machen müssen, sagt sie: "Ich erwarte von der Politik, dass sie logischer denkt und keine Beschlüsse fasst, durch die die Bürokratie am Ende wieder das Geld auffrisst. Am einfachsten wäre es doch, so etwas über die Steuer zu regeln, falls das möglich ist. Steuervergünstigungen für Menschen mit geringem Einkommen – das wäre doch eine Lösung."

Doch Ernüchterung schwingt in ihrer Stimme beim Blick nach vorn mit, denn: "Ich habe das Gefühl, dass die Probleme von uns kleinen Bürgern, von Kleinverdienern da oben längst keinen mehr interessieren."

Langsamer fahren im Sinne des Geldbeutels

Hart getroffen von den hohen Preisen ist auch Jan Krumbach. 30 Kilometer fährt der Pendler jeden Tag zur Arbeit von Quedlinburg nach Halberstadt. Eine Strecke. "Deshalb bin ich auf mein Auto angewiesen", sagt der 39-Jährige. Und: "Deshalb habe ich mir extra einen Diesel gekauft."

Hilfreich für ihn ist das gerade nicht. Denn: Auch die Diesel-Preise steigen auf Benzin-Niveau und teilweise sogar darüber. "Ich habe bereits mal eine Excel-Datei angelegt und geschaut, was ich sparen würde, wenn ich mir jetzt ein Elektro-Auto kaufen würde", erzählt Krumbach. Nur: "Bei den derzeitigen Preisen und relativ geringen Reichweiten von E-Autos ist das aktuell noch keine Option für mich."

Du siehst genau, wer einen Dienstwagen fährt und sich nicht um den Sprit zu sorgen beziehungsweise ihn nicht bezahlen braucht. Die fahren so wie vorher weiter – und jetzt an dir vorbei.

Jan Krumbach | Pendler

Also bleibt ihm nur eines übrig: langsamer fahren, um Diesel zu sparen. "Andere Fahrer verhalten sich genau so", hat Krumbach beobachtet. Und er meint: "Du siehst genau, wer einen Dienstwagen fährt und sich nicht um den Sprit zu sorgen beziehungsweise ihn nicht bezahlen braucht. Die fahren so wie vorher weiter – und jetzt an dir vorbei."

Wenn ohne Auto nichts geht

Kerstin* dagegen sorgt sich gar nicht so sehr um sich, sondern vor allem um ihren Sohn. Besser gesagt: um dessen Geldbeutel. Jeden Tag müsse er aus einem kleinen Dorf im Salzlandkreis nach Magdeburg zur Ausbildung fahren, erzählt die Mutter. 60 Kilometer insgesamt. Pro Tag. Und: "Weil es sich um eine schulische Ausbildung zum Erzieher handelt, bekommt er kein BAföG oder Lehrlingsgeld", sagt die 55-Jährige. "Das ist hart für ihn."

Auch sie selbst sei jeden Tag für den Weg zur Arbeit auf das Auto angewiesen. Überhaupt habe es das Leben auf dem Dorf so an sich: Ohne Auto geht oft wenig, sagt Kerstin. Das reiche vom Einkaufen bis zum Arztbesuch. Und das Geld werde bei den aktuellen Spritpreisen schneller knapp.

Verzichten, ohne panisch zu werden

Ja, auch sie treffen die steigenden Sprit-Preise hart, sagt Marion Schlüter. "Das ist finanziell spürbar. Ich bin für den Weg zur Arbeit auf das Auto angewiesen", sagt die 65-Jährige aus Dessau-Roßlau, die noch arbeiten geht, um ihre Lebenshaltungskosten zu finanzieren. Ihre Rente werde dafür wohl kaum ausreichen, sagt sie.

Doch Mario Schlüter ist "ein zufriedener Mensch", wie sie selbst sagt. "Ich wurde zu DDR-Zeiten geschieden, war lange alleinerziehend und lebe auch heute noch alleine", erzählt sie. "Ich bin es gewohnt, auch mal zu verzichten. Da muss man nicht immer gleich panisch werden." Auch sie verzichte aktuell auf unnötige Fahrten oder den Besuch von entfernt lebenden Verwandten.

Ein Lerneffekt aus den Geschehnissen der vergangenen Woche ist laut Schlüter, dass "wir unsere Region stärken müssen und uns nicht so abhängig von anderen machen dürfen". Das würde bei regionalen Lebensmitteln anfangen und mit dem russischen Öl und Gas weitergehen.

"Von Importen aus Russland sollten wir grundsätzlich Abstand nehmen", sagt Schlüter. Aber: "Bei aller Hilfe und Unterstützung für die Ukraine, die wichtig und notwendig sind, darf die deutsche Regierung nicht ihr eigenes Volk für vernachlässigte Energiepolitik der letzten zehn Jahre bezahlen lassen." Deutschland und die EU müssten zusammen Wege finden, "sich Schritt für Schritt mittelfristig von Russland-Importen zu lösen", sagt Schlüter, "aber nicht plötzlich und kurzfristig.

Wie hoch sind die Mehrkosten für Pendler?Bei einer Pendelstrecke von 30 Kilometern bis zum Arbeitsort und 21 Arbeitstagen im Monat fallen derzeit Benzinkosten von 194,75 Euro (Diesel: 203,39 Euro) im Monat an. Das sind Mehrkosten von 44,37 Euro (bei Diesel: 64,12 Euro) pro Monat im Vergleich zu den Spritkosten im Oktober 2021.

Berechnungsgrundlage: Pendelstrecke 30 Kilometer (entspricht Durchschnittsarbeitsweg 2018), Arbeitsmonat mit 21 Tagen, ein Verbrauch von 7l/100km, Benzin 2,208€/Liter, Diesel 2,306€/Liter

"Die Spritpreis-Entwicklung hat das Fass zum Überlaufen gebracht"

25.000 Kilometer pro Jahr – so viel fährt Uwe* für gewöhnlich. Sein Beruf: selbstständiger Versicherungsmakler. Sein Credo: "Du kannst heutzutage zwar vieles online absprechen, aber wenn es um die Absicherung von Existenzen geht, wollen die Kunden den persönlichen Kontakt."

Das heißt: Würde Uwe auf sein Auto verzichten, würde das das Verhältnis zu seinen Kunden belasten. So wie es bereits die Corona-Pandemie getan habe, wie der Mann aus dem Harz erzählt. Die Bereitschaft der Kunden, die Versicherungsbeiträge zu zahlen, sei gesunken. Und: "Die Spritpreis-Entwicklung hat das Fass jetzt zum Überlaufen gebracht."

Der Versicherungsmakler überlege aufgrund der finanziellen Entwicklung sogar, frühzeitig in den Ruhestand zu gehen. "Ich gehe ja sowieso auf die Rente zu", sagt er. Aber: "Meine Kunden vertrauen mir. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen." Also macht er weiter, so lange sich sein Geschäft noch halbwegs lohnt.

Mit Blick auf die Stimmung im Land sagt Uwe: "Wenn nicht gegengesteuert wird, wird das zu sozialen Verwerfungen führen, vor allem, wenn noch eine Energiekrise kommt. Wir haben auch für die Menschen in der Ukraine gespendet, sogar überlegt, Menschen bei uns aufzunehmen. Aber irgendwo gibt es eine Grenze."

Und: "Wenn ich dann höre, dass sich unser ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck hinstellt und sagt, dass wir auch mal für die Ukraine frieren können, dann kann ich das nicht verstehen. Vor allem, weil ich weiß, dass er nicht zu denen gehört, die dann frieren."

* Name von der Redaktion geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 15. März 2022 | 19:00 Uhr

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