LandesverfassungsgerichtAfD-Politiker Siegmund klagt gegen Ordnungsruf: Beobachtungen vom Prozess
War es gerechtfertigt, dass der Landtagspräsident den AfD-Co-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Siegmund in einer Debatte zur Ordnung gerufen hat? Darüber wurde am Montag vor dem Landesverfassungsgericht verhandelt. Siegmund sieht sich in seiner Redefreiheit eingeschränkt. Er hatte der damaligen Linken-Abgeordneten Christina Buchheim im Landtag vorgeworfen, auf einem Sommerfest im Jahr 2018 "geistig nicht mehr zurechnungsfähig" gewesen zu sein.
- AfD-Politiker Ulrich Siegmund klagt gegen einen Ordnungsruf, den er am 30 Juni letzten Jahres im Landtag erhalten hat.
- Am Montag hat das Landesverfassungsgericht in Dessau-Roßlau über den Fall verhandelt. Beide Seiten kamen zu Wort.
- Eine Entscheidung soll am 17. September fallen.
Der Co-Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Ulrich Siegmund, geht juristisch gegen einen Ordnungsruf vor, den ihm Landtagspräsident Gunnar Schellenberger (CDU) im Juni 2023 erteilt hat. Am Montag hat das Landesverfassungsgericht darüber verhandelt.
Die AfD sieht sich durch den Ordnungsruf in ihrer parlamentarischen Redefreiheit eingeschränkt. Die juristische Vertretung des Landtagspräsidenten hält die damalige Ermahnung derweil für gerechtfertigt. Die Geschichte hinter diesem Ordnungsruf reicht zurück bis in Jahr 2018.
Eine Entscheidung darüber will das Landesverfassungsgericht in rund fünf Wochen verkünden, am 17. September.
Die Debatte im Landtag
Es ist der 30. Juni 2023. Im Landtag von Sachsen-Anhalt hält Christina Buchheim (Die Linke) ihre letzte Rede als Abgeordnete. Zukünftig wird sie als Bürgermeisterin in Köthen agieren. Und weil es ihr letzter Auftritt im Landtag ist, nutzt sie die Gelegenheit, ein kurzes Resümee zu ziehen – eine Tradition.
"Ich blicke auf sieben Jahre Mitgliedschaft in diesem Hohen Hause zurück", beginnt Buchheim. Wenig später kommt sie auf die AfD zu sprechen. Es geht um ein Sommerfest aus dem Jahr 2018 und "das politische Ausschlachten durch die AfD in Form der Diskreditierung meiner Person", wie die Linken-Abgeordnete es beschreibt.
Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete 2018 von "einer Rangelei zwischen AfD-Leuten und Linken-Politikern" bei einem Landtagsfest. Nun, rund fünf Jahre später, spricht Buchheim den Vorfall an, jedoch ohne konkreter darauf einzugehen. Unter Beifall verlässt sie schließlich das Rednerpult.
Der Ordnungsruf
Daraufhin tritt Ulrich Siegmund ans Rednerpult. Der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion weist die Vorwürfe zurück, bezeichnet sie als "eine absolute Frechheit". "Frau Buchheim, Sie waren an diesem Abend geistig nicht mehr zurechnungsfähig", führt er fort. Es wird laut im Saal.
Gunnar Schellenberger (CDU), der die Sitzung an diesem Tag leitet, versucht einzugreifen, doch Siegmund spricht weiter: "Sie haben mich in Ihrem Suff als Nazi bezeichnet." Schellenberger reagiert: "Das ist einen Ordnungsruf wert." Dann beruhigt er die Sitzung und betont noch einmal: "Das war auf jeden Fall ein Ordnungsruf."
Vor dem Landesverfassungsgericht
Zurück in die Gegenwart und nach Dessau-Roßlau. Hier sitzt das Landesverfassungsgericht. Es hat am Montag darüber verhandelt, ob der Ordnungsruf von damals gerechtfertigt war oder nicht. Ulrich Siegmund sieht sich in seiner parlamentarischen Redefreiheit eingeschränkt – dagegen geht er juristisch vor. An seiner Seite: Laurens Nothdurft, Rechtsanwalt, AfD-Politiker und einst Mitglied der rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend", die 2009 verboten wurde.
Auf der anderen Seite des Saals sitzt Alexander Thiele und vertritt den Landtagspräsidenten, der selbst nicht anwesend ist. Thiele ist Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business & Law School in Berlin.
Die Verhandlung
Siegmund und Nothdurft sehen die parlamentarische Redefreiheit gefährdet, wie sie während der Verhandlung sagen. Nach ihren Einschätzungen waren Siegmunds Äußerungen aus der Rede im Juni 2023 als Darstellung der Ereignisse von der Redefreiheit gedeckt und hätten keinen Ordnungsruf durch den Landtagspräsidenten gerechtfertigt. Auch im Nachhinein habe es zudem keine Begründung für diesen Ordnungsruf gegeben, argumentiert Nothdurft.
Die Gegenseite um Alexander Thiele betont derweil, dass es hier nur um den Ordnungsruf an sich gehe, nicht um die Ereignisse aus dem Sommer 2018. Die Zurückweisung der Vorwürfe durch Siegmund sei in Ordnung gewesen, die anschließenden Bemerkungen über die Abgeordnete Buchheim nicht. Daher sei der Ordnungsruf gerechtfertigt.
Entscheidung im September
Der Ordnungsruf kostet die AfD nichts. Es gibt dafür kein Bußgeld. Dass Siegmund dagegen vorgeht, hat einen anderen Grund. "Wir haben das Gefühl, dass hier die Meinungsfreiheit in diesem Land scheibchenweise abgeschafft wird. Das merkt man ja bei uns im Parlament, wir bekommen einen politisch motivierten Ordnungsruf nach dem anderen. Das möchten wir uns einfach nicht gefallen lassen", erklärt er im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT.
Die Argumente haben beide Seiten nun vorgetragen. Alexander Thiele zeigt sich im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT anschließend optimistisch. Es sei gut, dass das Gericht in beide Richtungen kritisch nachgefragt und die Grenzen des Ordnungsruf-Rechts ausgelotet habe. "Ich bin zuversichtlich, dass es zum Ergebnis kommen wird, dass der Landtagspräsident hier in seiner Ordnungsfunktion richtig gehandelt hat", so Thiele.
Die Entscheidung darüber – und ob der Ordnungsruf von Landtagspräsident Gunnar Schellenberger gegen Ulrich Siegmund bestehen bleibt – will das Landesverfassungsgericht am 17. September verkünden.
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MDR (Engin Haupt)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 12. August 2024 | 19:00 Uhr
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