Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Fluchtversuch von Stephan B."Hätte nicht passieren dürfen": Justizministerin will Vertrauen zurückgewinnen

24. Juni 2020, 08:51 Uhr

Sachsen-Anhalts Justizministerin Keding hat am Dienstag im Landtag erneut Stellung zum Fluchtversuch des Halle-Attentäters Stephan B. nehmen müssen. Die Ministerin trat kämpferisch auf – und versicherte, alle Kraft in die Aufklärung der Angelegenheit stecken zu wollen.

Unter Druck: Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Peter Gercke

Die Justizministerin macht einen souveränen Eindruck. Ihre Stimme? Klar und deutlich. Ihre Worte? Entschlossen. Anne-Marie Keding wirkt nicht wie eine Ministerin, die bald zurücktritt. Im Gegenteil. Die CDU-Frau kommt kämpferischen rüber – entschlossen, die wohl größte Krise ihrer Amtszeit zu lösen.

Es ist gerade Mittag, als sich der Landtag am Dienstag zu einer Sondersitzung trifft. Die AfD hat sie einberufen, um über die Nachteile einer Diätenerhöhung der Abgeordneten zu sprechen. Und doch wird ein anderer Tagesordnungspunkt im Mittelpunkt stehen: die Aufarbeitung des Fluchtversuchs von Stephan B. aus der JVA "Roter Ochse" in Halle. Die Linke hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Sie verlangt jene Antworten, die die Ministerin bislang schuldig geblieben ist. Warum sich Keding "blind" auf ihren Staatssekretär verlassen hat, wie die Linken-Abgeordnete Eva von Angern es nennt? Warum Parlament und Öffentlichkeit nur "kleckerweise" informiert worden sind?

Der Staatssekretär – ein Bauernopfer?

Das souveräne Auftreten von Anne-Marie Keding kann über eines nicht hinwegtäuschen: Die Justizministerin steht unter massivem Druck. Daran hat auch die Versetzung ihres Staatssekretärs Hubert Böning vorige Woche in den einstweiligen Ruhestand nur wenig geändert. Mancher sah in Böning gar ein Bauernopfer. Eva von Angern nicht. "Herr Böning war als Staatssekretär im Innern für das Ministerium verantwortlich. Er ist kein Sündenbock."

Wir halten Ihnen zu Gute, dass Sie sich glaubhaft entschuldigt haben. Jetzt erwarten wir absolute Transparenz. Sie haben Ihre Zukunft in der Landesregierung selbst in der Hand.

Eva von Angern | Abgeordnete Die Linke, zu Justizministerin Keding

Keding selbst richtet den Blick nach vorn, als sie am frisch desinfizierten Rednerpult im Landtag steht. Sie wolle hart daran arbeiten, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, sagt sie. Die Kommunikation im Ministerium müsse verbessert werden, auch die Leitung der JVA in Halle sei in der Pflicht. "Ich habe ein erhebliches Interesse an der Aufklärung dieses Sachverhalts", betont Keding. Das Verhalten von Mitarbeitern der JVA und des Justizministeriums werde in einem Verfahren im Haus geprüft, unter Leitung eines "hochrangigen Beamten". Erneut erklärt sie, die Ereignisse machten sie tief betroffen. "Es ist viel geschehen, das das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Justizvollzugs erschüttert hat."

Kritik am Regierungschef: "Kein Wort von Herrn Haseloff"

Während der Landtagsdebatte am Dienstag gab es auch Kritik an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Der habe, so die Linken-Rechtspolitikerin Eva von Angern, habe sich nicht einmal zu der Angelegenheit geäußert. Er habe weder Bedauern ausgedrückt noch zugesichert, dass die Angelegenheit aufgeklärt werde. Ministerin Keding sagte im Landtag, sie habe Haseloff am Mittwoch nach Pfingsten über den Fluchtversuch von Stephan B. unterrichtet. Der Regierungschef habe sie gebeten, den Fall umfassend aufzuklären. Zudem informiere Haseloff sich regelmäßig über aktuelle Themen im Ministerium für Justiz und Gleichstellung.

Ohnehin ist der Justizvollzug und dessen aktuelle Situation großes Thema bei der Debatte im Landtag. Mehrfach ist zu hören, dass die Personaldecke zu dünn und die Suche nach Nachwuchs zu zäh ist. Und doch sieht die Ministerin die Verantwortung für den Fluchtversuch weiterhin bei der Leitung der halleschen JVA. Das Personal dort habe versagt, sagt Keding. "Stephan B. hätte keine einzige Minute unbeaufsichtigt sein dürfen."

Keine neuen Rücktrittsforderungen

Von neuerlichen Rücktrittsforderungen an Ministerin Keding, wie sie zuletzt von Linken und AfD gekommen waren, ist während der rund einstündigen Debatte indes nichts zu hören. Es scheint, als habe die Ministerin das Schlimmste erst einmal abgewendet. Und doch stehe Keding "politisch unter Bewährung", sagt der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel dann noch.

Anne-Marie Keding selbst wird wissen, dass ein weiterer Fehltritt ihr Amt kosten dürfte. Der Druck jedenfalls wird so schnell nicht von ihren Schultern abfallen.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorLuca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Mehr zum Thema

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Juni 2020 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen