Fachkräftemangel MINT: Wie Mädchen für Technik begeistert werden sollen
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Technische Berufe werden noch immer von Männern dominiert. Das ist auch in Sachsen-Anhalt so. Forscher der Magdeburger Universität hoffen bei den Bemühungen um weiblichen Nachwuchs auf den Durchbruch. Sie untersuchen, wie Eltern die Berufswahl ihrer Töchter beeinflussen. Die Hochschule Anhalt will junge Mädchen und Frauen derweil über Social Media und Praktika für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) begeistern – mit Erfolg.

Es ist eine der letzten Lehrveranstaltungen vor den Prüfungen in diesem Wintersemester. Im Hörsaal I der Magdeburger Universität geht es an diesem Donnerstag um optoelektronische Messverfahren. Oder, etwas einfacher ausgedrückt: Darum, wie Dinge mit optischen Sensoren erfasst werden können. Gut 65 Maschinenbau- und Elektrotechnik-Studenten sitzen in der Vorlesung von Professorin Ulrike Steinmann, die Zahl der weiblichen Studenten kann man an zwei Händen abzählen.
Dass viel mehr Männer als Frauen in den Vorlesungen sitzen, ist auch in Sachsen-Anhalt ein häufiges Bild in den sogenannten MINT-Studiengängen, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Und das seit Jahren.
Ich glaube, das ist das, was Frauen lernen müssen – auch fernab von MINT: Wie lerne ich Selbstvertrauen, wie präsentiere ich mich gut.
Ulrike Steinmann freut sich generell über jeden, der sich für ein solches Studium entscheidet – unabhängig davon, ob Mann oder Frau. Die wenigen Frauen, die bei ihr lernen, erlebt sie aber als zögerlicher – und würde sich ein wenig mehr Selbstvertrauen für sie wünschen. "Man muss einfach sagen: 'Das hier ist mein Ding.' Ich glaube, das ist das, was Frauen lernen müssen – auch fernab von MINT: Wie lerne ich Selbstvertrauen, wie präsentiere ich mich gut", meint Steinmann.
Bezug zum Alltag herstellen
Das müsse man MINT-Studentinnen vielleicht noch ein wenig mehr auf den Weg geben und möglicherweise auch schon in der Schule stärker fördern, so die Professorin. Sie selbst versucht außerdem immer wieder zu verdeutlichen, was beispielsweise Messtechnik eigentlich mit dem Alltag zu tun hat. "Etwa die X-Box – wie funktioniert da eigentlich der Controller ohne Kabel? Das ist Messtechnik pur", erklärt Steinmann.
In ihren Vorlesungen behandelt die Professorin alle Studenten gleich, will niemanden bevorzugen oder in den Fokus rücken. Sie selbst habe mit Vorurteilen nie zu kämpfen gehabt. Dafür sei sie sehr dankbar, erzählt Steinmann. "Mich hat auch kein Student jemals komisch angeguckt und weniger für voll genommen." Sie sieht auch einen Vorteil als Frau im technischen Bereich: "Man kann auch mal schneller in den Köpfen der Leute hängen bleiben."
Schon als Kind hatte Steinmann mit Naturwissenschaften zu tun und daher nie Berührungsängste; ihre Mutter studierte Mathematik. Und auch wenn der Elektronikbaukasten nicht ihr liebstes Spielzeug war, wie sie erzählt, so hat sie sich doch für einen technischen Berufsweg entschieden.
Junge Frauen besser unterstützen
Wie genau sich das Elternhaus auf die Berufswahl von jungen Mädchen auswirkt, wird derzeit an der Fakultät für Humanwissenschaften der Magdeburger Uni untersucht. Die Projektleiter Frank Bünning und Stefan Brämer und ihr Team wollen mehr darüber erfahren, wodurch die Berufswahlentscheidung beeinflusst wird. Das Ziel: Konzepte und Berufsberatungsangebote entwickeln, mit denen junge Frauen bei diesem Prozess unterstützt – und in ihrem MINT-Interesse gefördert werden.
Einige Dinge sind aus früheren Forschungen bereits bekannt, erzählt Bünning, der Technische Bildung und ihre Didaktik lehrt. So wisse man, dass sich junge Mädchen häufig an ihrer Mutter orientieren. Und diejenigen, die sich für einen MINT-Beruf entscheiden, hätten oft besondere Bestätigung im Elternhaus erfahren. Bei dem Projekt "investMINT" gehe es aber nicht um Berufswahl-Lenkung, betont Bünning. Niemand solle in den MINT-Bereich gedrängt werden.
Wir wissen allerdings, dass junge Frauen häufig die viel besseren Eingangsvoraussetzungen in naturwissenschaftlichen Fächern mitbringen. Und trotzdem entscheiden sie sich nicht für einen technischen Beruf. Offensichtlich scheinen hier noch andere Mechanismen eine Rolle zu spielen.
Mithilfe von Fragebögen und Interviews wollen die Wissenschaftler erfassen, wie aktiv in Familien über Berufswünsche und Praktika gesprochen wird. Außerdem geht es darum, was sich Eltern, Lehrer und Schülerinnen für die Berufsorientierung wünschen. Erste Auswertungen der Befragungen zeigen: Für Eltern ist die eigene Berufswahl häufig schon so lange her, dass sie gar nicht wissen, was für Berufe es heutzutage eigentlich alles gibt. Lehrer geben an, für die Berufsorientierung verstärkt raus aus der Schule zu wollen. Sie wünschen sich mehr Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Region, sodass die Kinder Jobs hautnah kennenlernen können.
Projekt "investMINT" – Freiwillige gesucht
– Bisher wurden bereits rund 2.000 Online-Fragebögen ausgefüllt
– Gut 1.200 sind schon ausgewertet
– Die Forscher sind sehr interessiert daran, noch weitere Freiwillige zu finden
– Sie rufen vor allem Männer, Alleinstehende oder Menschen aus bildungsfernen Schichten auf, sich zu beteiligen
Forscher Stefan Brämer meint: Es müsse generell schon früh geschaut werden, welche Interessen Kinder haben. Und diese sollten dann geschlechtsunabhängig unterstützt werden. Dabei gehe es natürlich nicht nur darum, dass technisches Interesse von Mädchen gefördert wird. Denn umgekehrt gebe es schließlich auch vergleichsweise wenige Männer, die beispielsweise Erzieher werden.
Niedrige Absolventenzahlen im MINT-Bereich
Vom getrennten Lernen – wie beispielsweise MINT-Studiengänge extra für Frauen – hält Brämer nicht so viel: "Das ist genau das, was wir nicht machen wollen. Kinder sollten nach ihren Interessen entscheiden. Wir wollen nicht das Geschlecht in den Vordergrund stellen." Sein Kollege Bünning ergänzt: Nur weil ein MINT-Studiengang auf Frauen ausgerichtet sei, bringe er nicht unbedingt mehr Teilnehmer. "Da arbeitet man nicht an den wirklichen Ursachen. Die Berufswahlentscheidung tritt viel früher ein."
MINT-Kräfte auf dem Arbeitsmarkt
– 2017 gab es in Sachsen-Anhalt rund 177.900 MINT-Kräfte (sozialversicherungspflichtig Beschäftigte )
– Der Frauenanteil lag bei knapp 16 Prozent
– Das mittlere monatliche Bruttogehalt betrug rund 2.700 Euro
– Zu den beliebtesten Beschäftigungsbranchen gehörten Bauinstallation, Herstellung von Metallerzeugnissen und Maschinenbau
Quelle: Arbeitsagentur
Brämer und Bünning hoffen, dass ihre Erkenntnisse helfen, mehr junge Frauen für MINT-Studiengänge und -berufe zu begeistern und den Fachkräftemangel zu senken. Denn betrachtet man etwa die Zahl der Bachelor-Absolventenzahlen an den Universitäten Magdeburg und Halle, dann zeigt sich für die vergangenen fünf Jahre ein kontinuierlicher Rückgang. So haben 2014 an beiden Unis zusammengerechnet 870 Studenten ihren Bachelor-Abschluss gemacht (darunter 258 Frauen und 612 Männer). Im Jahr 2018 waren es insgesamt 465 MINT-Absolventen (141 Frauen, 324 Männer). Viele der Bachelorabsolventen entschlossen sich nach dem Bachelor noch für einen Masterstudiengang.
Studiengang Biologie bei Frauen beliebt
Nicht alle MINT-Fächer haben einen geringen Frauen-Anteil. Den Bachelor-Studiengang Biosystemtechnik an der Magdeburger Universität haben 2018 sogar mehr Frauen als Männer abgeschlossen. Auch den Biologie-Bachelor an der Uni Halle brachten vergangenes Jahr mehr weibliche als männliche Studenten zu Ende. In der Informatik gab es 2018 in Halle laut Statistik dagegen keine einzige weibliche Bachelor-Absolventin.
An der Hochschule Harz wurden seit 2008 insgesamt gut 18 Prozent weibliche Bachelor-Absolventen im MINT-Bereich gezählt, für die Informatik konnten sich aber auch hier nur sehr wenige Frauen begeistern. Im Fach Medieninformatik gab es dagegen mehr Absolventinnen.
Nachwuchs im technischen Bereich fehlt
Dass es schwierig ist, Arbeitskräfte im technischen Bereich zu finden, spürt auch der Verband der Metall- und Elektroindustrie im Land. Er organisiert deswegen jedes Jahr die größte Berufsorientierungsmesse für technische und naturwissenschaftliche Berufe in Sachsen-Anhalt ("Kickstart") und hofft, dort Nachwuchskräfte anwerben zu können.
Verbandssprecher Jan Pasemann begrüßt neben der "investMINT"-Studie der Uni Magdeburg auch die MINT-Initiativen der Hochschule Anhalt. Professorin Korinna Bade leitet in Köthen gleich zwei Projekte, die Mädchen und junge Frauen für Naturwissenschaften und Technik begeistern sollen.
Mädchen über Social Media erreichen
So wird derzeit beispielsweise an einer App gearbeitet, die Ende dieses Sommers für Android und iOS-Geräte verfügbar sein soll. "intoMINT 4.0" richtet sich nach Angaben von Bade hauptsächlich an Schülerinnen. Das Mitmachen steht im Vordergrund. Künftig sollen die Nutzerinnen mithilfe der App Experimente durchführen können, etwa ihr eigenes Deo herstellen. "Im Anschluss bekommen sie Tipps: Was könnte ich studieren, das damit zusammenpasst", beschreibt Bade. Es gibt schon einen Prototypen der App, der mit Schülerinnen in Workshops getestet und weiterentwickelt wird.
Bei ihrem anderen Projekt freut sich Bade bereits über Erfolge. Im November 2015 startete sie "Make up your MINT". Ein Bestandteil hier sind Youtube-Videos, die Frauen in MINT-Berufen zeigen und begleiten. Außerdem gibt es einen Instagram-Kanal und die Möglichkeit, sich bei Praktika an der Hochschule auszuprobieren.
Im Anschluss haben sich Bade zufolge bereits mehrere Teilnehmerinnen an der Hochschule Anhalt immatrikuliert, etwa in den Bereichen Informatik, Verfahrenstechnik und Angewandte Biowissenschaften. Ein kleiner Bestandteil der vielfältigen Bemühungen um mehr MINT-Kräfte, der fruchtet – und vielleicht noch mehr fruchten wird. Denn das Projekt soll nun erneut verlängert werden: bis 2020.
Über die Autorin Kalina Bunk arbeitet seit 2015 für MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online- und in der Hörfunkredaktion. Sie schreibt für mdrsachsenanhalt.de, verfasst und spricht die Nachrichten im Radio und ist als Reporterin im Land unterwegs. Aufgewachsen ist sie in Bremen. Dort und in Madrid studierte sie Kulturwissenschaft und Germanistik. Danach war sie für mehrere private Radiosender in Bremen und Berlin tätig. An der Arbeit als Redakteurin fasziniert sie, dass jeder Arbeitstag anders aussieht und dass man täglich etwas Neues dazu lernt.
Quelle: MDR/kb
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Januar 2019 | 19:00 Uhr