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Obwohl der Täter von Halle keine direkten Verbindungen zu rechten Gruppierungen hatte, gibt es Zusammenhänge. Bildrechte: MDR/Collage/imago images / Panthermedia

Radikalisierung im NetzWas der Anschlag in Halle mit der Neuen Rechten zu tun hat

04. November 2019, 06:49 Uhr

Zwischen dem Attentäter von Halle und rechten Bewegungen gebe es einen Zusammenhang, sagt der Journalist Patrick Stegemann. Denn die Strategien der Neuen Rechten schaffe eine Kultur, die solche Gewalttaten möglich mache.

von Alisa Sonntag, MDR SACHSEN-ANHALT

"Wer den Anschlag von Halle verstehen will, muss zuerst verstehen, wie Radikalisierung im Netz funktioniert und wie rechte Gruppen online kommunizieren." Patrick Stegemann weiß, wovon er spricht. Über mehrere Monate hinweg hat er sich 2017 zusammen mit anderen Journalisten für den Dokumentationsfilm "Lösch dich" falsche Identitäten zugelegt – um von innen zu beobachten, wie die rechte Szene gezielt den öffentlichen Diskurs beeinflusst. Im Januar wird sein Buch "Die rechte Mobilmachung: Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen" erscheinen. Er kennt die rechte Szene.

Seit wann sind die Rechten sein Thema? Schon immer eigentlich, meint Stegemann. Er sei in einer ostdeutschen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern groß geworden und schon dort häufig auf Rechtsextreme getroffen. Aber erst, als er für "funk", dem Mediennetzwerk von ARD und ZDF das YouTube-Format "Auf Klo" entwickelte, sei er mit den Hasskampagnen der Neuen Rechten in Kontakt gekommen: "Da habe ich zum ersten Mal verstanden, wie das funktioniert."

Was ist die Neue Rechte?

Das Bundesamt für Verfassungschutz beschreibt die Neue Rechte als eine Strömung, die in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommen ist und sich um die Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemühe.

Dabei stehe die Neue Rechte, laut Bundeszentrale für politische Bildung, für eine Gruppe von Intellektuellen, "die sich hauptsächlich auf das Gedankengut der Konservativen Revolution der Weimarer Republik stützt". Die Neue Rechte sei eher ein Netzwerk und habe das Ziel mit einer "Kulturrevolution von rechts" einen grundlegenden politischen Wandel voranzutreiben. Eine feste Organisationsstruktur analog zu einer Partei oder einen Verein gebe es nicht.

Die Vertreter der Konservativen Revolution waren unter anderem Edgar Julius Jung, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt und Oswald Spengler. Auf diese berufe sich die heutige Neue Rechte, so Armin Pfahl-Traughber in dem Beitrag der Bundeszentrale.

Laut Verfassungschutz beabsichtige die Neuen Rechte "die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates". Sie versuche zunächst einen kulturellen Einfluss zu erlangen, "um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern."

"Der Hass ist designt, geplant und organisiert"

Die Öffentlichkeit glaube größtenteils, dass Hass sich online einfach so zufällig ergieße. Doch das sei häufig nicht der Fall: "Der ist designt, geplant und organisiert." Zwar gebe es immer auch Menschen, die zufällig zu den Shitstorms in den sozialen Medien dazukämen. Doch auch dieser Effekt sei geplant.

Für die Dokumentation waren Stegemann und seine Kollegen investigativ Teil des rechten Netzwerkes Reconquista Germanica. Sie waren dabei, als Trolle und rechte Aktivisten sich online absprachen, um Wellen von Hass gegen bestimmte Personen und Seiten zu starten. Das Ziel der Aktionen laut Stegemann: Den politischen Diskurs vor der Bundestagswahl 2017 beeinflussen – und so viele AfD-Politiker wie möglich in den Bundestag zu bringen. Auch zahlreiche Mitglieder der Identitären Bewegung seien Teil des Netzwerks gewesen.

Die Shitstorms waren ähnlich wie ein Spiel organisiert: Wer besonders viel Kommentare schrieb und besonders erfolgreiche Inhalte beitrug, stieg in dem hierarchisch organisierten Netzwerk auf und spielte fortan eine wichtigere Rolle. Damals war Reconquista Germanica ein großes Netzwerk, erzählt Stegemann – heute ist es unbedeutend und klein.

Gewalt führt zu mehr Gewalt

Die Strategien, nach denen die Neue Rechte agiert, ist allerdings nach wie vor die gleiche. Es gehe darum, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten und so den Diskurs nach rechts zu verschieben. Ein Mittel der Wahl der rechten Bewegungen sei dabei grenzüberschreitender Humor, "so, dass sie am Ende immer sagen können, es war nur ein Scherz", erklärt der Journalist.

Es sei jedoch wissenschaftlich bewiesen, dass gewaltvolle Kommunikation zu gewaltvollen Persönlichkeiten führe. So habe die Onlinestrategie der Neuen Rechten reelle Auswirkungen außerhalb der Sprache. Deswegen sei auch gute Moderation von Onlineplattformen wichtig. Das fehle in Gamerplattformen wie Steam, die vor allem kommerzielle Zwecke hätten. Auch deswegen würden Rechte gezielt solche Plattformen aufsuchen.

Doch dafür gibt es noch einen anderen Grund, sagt Patrick Stegemann. Rechten Bewegungen falle es schwer, in der Zivilgesellschaft wirksam zu werden.

Online sind sie lauter

So hätten es zum Beispiel die Identitären nicht geschafft, in der Halleschen Zivilgesellschaft wirklich anzukommen. Wenn sie in ihrem Haus eine Veranstaltung organisierten, würden Identitäre aus ganz Deutschland kommen – weil niemand aus Halle das Haus besuchen wolle. Das Hausprojekt in Halle sei gescheitert, urteilt Stegemann. Aber genau das Scheitern in der Zivilgesellschaft sei der Grund, warum die Neue Rechte immer lauter im Internet würde. Denn dort hätten sie noch eine Stimme.

"Online hat sich die Zivilgesellschaft noch nicht ausreichend formiert, um den Rechten widersprechen zu können", sagt Stegemann. Entsprechend nutze die Rechte den Vorsprung, den sie online habe und konzentriere sich auf das Internet. Die Wirkweise der sozialen Netzwerke unterstütze sie dabei. Denn hasserfüllte Botschaften verbreiteten sich in den sozialen Medien besonders schnell und weit.

Keine direkte Verbindung – und trotzdem ein Zusammenhang

Der rechte Attentäter von Halle, so Stegemann, hatte zwar keine direkte Verbindung zur rechten Szene vor Ort. Zusammenhänge zwischen beiden gebe es trotzdem. Denn der Anschlag sei der bisherige Endpunkt einer Radikalisierung, die die Neue Rechte vor allem online bewusst herbeigeführt habe. "Die rechten Bewegungen distanzieren sich von dem Anschlag in Halle, aber sie arbeiten an einer Kultur, die solche Anschläge möglich macht."

Online-Trolls, die sich uneingeschränkte Meinungsfreiheit wünschen, unterstützen die rechten Bewegungen dabei. Zu Unrecht, findet Stegemann.

Es gibt Grenzen des Sagbaren und das ist auch gut so.

Patrick Stegemann, Journalist und Experte für die Onlinestrategien der Neuen Rechten

Dass der Attentäter von Halle keine direkte Verbindungen zur Neuen Rechten hatte, sei typisch für aktuelle Formen von Terrorismus. Die seien teilweise nicht zentral organisiert, sondern bestünden aus sogenannten "lonely wolfs", Einzeltätern, die lose in größere Bewegungen einzuordnen seien.

Im Angriffsmodus

Wenn man Patrick Stegemann fragt, wie die rechte Szene auf den Anschlag in Halle reagiert habe, sagt er: "Na, wir können ja schnell live nachschauen." Er sei in verschiedenen rechten Telegram-Gruppen, erklärt er und zeigt einen Beitrag von den Identitären aus Halle in der Gruppe. Der Text ist eine Beileidsbekundung an die Anschlagsopfer.

"Am Anfang", sagt Stegemann, "war es ihnen vor allem wichtig, nicht mit dem Anschlag in Verbindung gebracht zu werden." Sarkastisch erklärt er: "Wenn es rechte Gewalt gibt, spricht die Neue Rechte immer von einem Einzeltäter und von einem Amoklauf und nicht von Terror." Würden allerdings Migranten ähnliche Gewalttaten verüben, werde das meist auf alle Menschen mit Migrationshintergrund bezogen.

Später habe die Neue Rechte ihren Umgang mit dem Anschlag in Halle verändert: "Sie ist in den Angriffsmodus gewechselt." Jetzt stellten rechte Bewegungen sich vor allem als Opfer der liberalen Linken dar, die nach dem Anschlag in ihren Augen politisch übertrieben agiere.

Auf einer internationalen Konferenz zum Thema Terrorismus vor wenigen Tagen habe Stegemann mit anderen Experten gesprochen, die sich beispielsweise mit Islamismus beschäftigen. Es sei deutlich geworden: Nicht nur in Deutschland sind terroristische Anschläge öfter geworden. Andere Länder erleben ähnliche Phänomene. Und egal, ob im Terrorismus von rechts oder im islamischen Terrorismus: Radikalisierung im Netz spiele überall eine wichtige Rolle – ein Alarmzeichen für Politik und Behörden.

Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die AutorinAlisa Sonntag ist in der Nähe von Chemnitz aufgewachsen - und musste dort wie Patrick Stegemann schon früh rechtsextreme Strukturen beobachten. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft und International Area Studies in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für das Journalismus-Startup The Buzzard.

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Quelle: MDR/aso

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR SACHSEN-ANHALT | 04. November 2019 | 22:00 Uhr

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