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Debatte im LandtagRassistische Polizei-Chats: Grüne fordern Untersuchungsausschuss

23. Februar 2023, 19:57 Uhr

Die Grünen haben nach dem jüngsten Polizeiskandal in Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss gefordert. Der Landtag entschied nach der Debatte, sich auch künftig mit den Konsequenzen aus dem Fall befassen zu wollen. Ein Polizeiwissenschaftler fordert unterdessen, dass sich die Polizeiausbildung verändern muss.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt wird sich weiter mit den zuletzt bekanntgewordenen menschenverachtenden Chats einer Polizeianwärterklasse in Aschersleben beschäftigen. Die Abgeordneten entschieden am Donnerstagmittag, einen Antrag der Grünen mit Forderungen nach Aufklärung und strukturellen Veränderungen bei der Polizei in den Innenausschuss zu überweisen.

Innenministerin Tamara Zieschang zeigte sich entsetzt von den Vorfällen und kündigte Konsequenzen an. "Wir werden nicht zur Tagesordnung übergehen", sagte die CDU-Politikerin. Sie erklärte, Polizeibeamte müssten durch ihr Verhalten die demokratische Grundordnung repräsentieren, dabei dürfe es keine Trennung von Privatem und Dienstlichen geben.

Zieschang: Melden von Vorfällen ist kein unkollegiales Verhalten

Die Bevölkerung müsse sich darauf verlassen können, dass Polizeibeamte ihr unvoreingenommen gegenübertreten. Dass Vorfälle wie der Klassenchat von Beteiligten gemeldet würden, "stellt kein unkollegiales Verhalten dar", sondern sei vielmehr eine Pflicht. Am Freitagmittag soll zum Thema eine Sondersitzung des Innenausschusses stattfinden. Darin will Zieschang über Details der Konsequenzen informieren.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass eine ehemalige Polizeianwärterklasse der Polizeihochschule Aschersleben über Jahre hinweg Chat-Nachrichten mit unter anderem antisemitischen und volksverhetzenden Inhalten ausgetauscht haben soll. 18 Personen, die mittlerweile Bedienstete sind, sollen entlassen werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mindestens acht Personen.

Grüne fordern "Kulturwechsel"

Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel erklärte, der Vorfall sei ein "Ausweis der Schande" und ein Versagen der Fehlerkultur der Polizei. Seine Fraktion fordere einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Zudem müsse es in Sachsen-Anhalt endlich einen unabhängigen Polizeibeauftragten geben. So solle ein "Kulturwechsel" innerhalb der Landespolizei unterstützt werden. Striegel betonte, dass es sich bei dem jüngsten Vorfall nicht um einen Einzelfall handele.

Auch die Linken-Abgeordnete Henriette Quade sprach von einem weiteren Beleg dafür, "dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben". Die Linksfraktion stehe einem Untersuchungsausschuss offen gegenüber.

Die FDP wies die Forderung der Grünen nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zurück. Der Abgeordnete Guido Kosmehl erklärte, während laufender Verfahren bekomme man ohnehin keine Akten. Der Ausschuss "würde völlig ins Leer laufen“.

AfD vermutet bei Chatnachrichten Ironie und dumme Witze

SPD-Innenpolitiker Rüder Erben erklärte, der Fall der menschenverachtenden Chatgruppe habe eine besondere Dimension, weil sich über Jahre kein Beteiligter dagegen gewandt habe. Polizeianwärter müssten in Zukunft stärker an die Hand genommen werden, auch, weil sie beim Beginn der Ausbildung heute deutlich jünger seien als noch vor einigen Jahren. Es brauche erfahrene Beamte, die erfolgreich vermittelten, sagte Erben. Er erklärte aber auch, dass ein Polizeibeauftragter wohl nichts an den Vorkommnissen geändert hätte.

Der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider sagte unterdessen, bei den Äußerungen in dem Chat handele es sich womöglich um Ironie und um dumme Witze, daher müsste man vielleicht verbal abrüsten. Die AfD brachte einen Alternativantrag zum Thema in die Debatte ein, in dem sie unter anderem auf die "Selbstreinigungskräfte" der Polizei setzen will und keinen speziellen Handlungsbedarf sieht. Durch die Überweisung in den Innenausschuss wird dort auch der Alternativantrag der AfD behandelt werden.

Polizeiwissenschaftler: Ausbildung muss sich verändern

Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Rafael Behr fordert nach dem Auffliegen des Chats Konsequenzen für die Ausbildung. Behr sagte MDR SACHSEN-ANHALT, es brauche einen Kulturwandel bei der Polizei. "Ich plädiere dafür, diejenigen, die bis jetzt noch zuschauen, immer wieder zu ermuntern, eine Gegenmeinung zu äußern." Man werde es nie schaffen, alle Formen von abweichendem Verhalten aus der Polizei rauszuholen – so viele Leute könne man gar nicht rausschmeißen, erklärte der Wissenschaftler.

Behr befürwortete, externe Polizeibeauftragte einzusetzen, an die man sich anonym wenden kann. Es müsse Whistleblowing-Systeme geben, wo man auf Schwierigkeiten und Konflikte hinweisen könne, ohne sich namentlich dazu zu bekennen. Dem Wissenschaftler zufolge kommen rechtsextreme Chats an den Polizeiakademien öfter vor. Außerdem äußerten sich Auszubildende sexistisch oder machten sich etwa über Menschen mit Behinderung oder Homosexuelle lustig. So etwas fliege aber nur zufällig auf. Als Grund nannte Behr eine Polizistenkultur, in der einer der höchsten Grundsätze sei, dass man keine Kameraden verpfeife.

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MDR (Felix Fahnert, Anne-Marie Kriegel, Christoph Dziedo)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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