Kritik an Kohle für den KranichSchwarzbuch: Bund der Steuerzahler kritisiert Naturerlebniszentrum am Stausee Kelbra
Am Stausee Kelbra soll ein Naturerlebniszentrum entstehen. Finanziert werden soll es aus Mitteln, die den Strukturwandel für den Kohleausstieg unterstützen sollen. Deshalb wirft der Bund der Steuerzahler der Landesregierung nun Verschwendung von Steuergeldern vor.
- Das Naturerlebniszentrum am Stausee Kelbra soll den Tourismus in der Region stärken.
- Die Finanzierung des acht Millionen Euro teuren Projekts wird vom Bund der Steuerzahler als Verschwendung von Steuergeldern kritisiert.
- Befürworter sehen in dem Zentrum eine wichtige Investition in Naturschutz und Tourismusentwicklung.
Alljährlich im Herbst bietet sich im Südwesten von Sachsen-Anhalt ein faszinierendes Schauspiel: Abertausende Kraniche machen auf ihrem Zug nach Süden Rast am Stausee Kelbra. Unter Naturfreunden ist das längst kein Geheimtipp mehr. Zu hunderten kommen sie in dieser Zeit an den See, ausgerüstet mit Ferngläsern, um die majestätischen Vögel zu beobachten.
Noch mehr Besucher – und das möglichst übers ganze Jahr – verspricht man sich von einem Naturerlebniszentrum rund um den Kranich. Die Idee dazu wurde bereits von Sachsen-Anhalts früherer Umweltministerin Claudia Dalbert (B’90/Die Grünen) wohlwollend aufgegriffen. Und auch der Landkreis Mansfeld-Südharz unterstützt das Vorhaben, das den Tourismus in der strukturschwachen Region ankurbeln soll.
Mehr über den Bund der Steuerzahler
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) bezeichnet sich selbst als unabhängige, parteipolitisch neutrale und gemeinnützige Interessenvertretung der Steuerzahler. Der 1949 gegründete Verein hat nach eigenen Angaben das Ziel, Steuern und Abgaben zu senken, deren Verschwendung zu stoppen, die Staatsverschuldung zu senken und Bürokratie aufzubauen. Dafür veröffentlicht der BdSt unter anderem das Schwarzbuch und zeigt mit einer Schulden-Uhr die Staatsverschuldung an.
Der BdSt steht selbst in der Kritik, weil er einer Studie für das Hans-Böckler-Institut im Jahr 2008 zufolge zunehmend zu einem Verband von Gewerbetreibenden und Selbstständigen wird. Kritiker werfen dem BdSt Spar-Versessenheit und eine ideologische Nähe zur FDP vor. Der BdSt selbst weist dies von sich.
Rund sieben Millionen Euro aus Bundesmitteln
Kosten soll das Zentrum, für dessen Gestaltung es bereits einen Architektenentwurf gibt, acht Millionen Euro – finanziert vom Land Sachsen-Anhalt. 90 Prozent der Summe (7,2 Millionen Euro) sollen dabei aus Bundeshilfen für den Strukturwandel bestritten werden. Diese Mittel werden bereitgestellt, um die Folgen des Ausstiegs aus der Braunkohleförderung zu mildern. Genau das ruft jetzt den Bund der Steuerzahler auf den Plan.
Vorwurf: Verschwendung von Steuergeld
Die geplante Finanzierung sei Verschwendung von Steuergeldern, meint der Bund der Steuerzahler und listet den Fall in seinem aktuellen "Schwarzbuch" auf, in dem jedes Jahr Beispiele für den allzu lockeren Umgang mit Steuergeld durch die öffentliche Hand angeprangert werden.
Der Stausee Kelbra sei weit vom nächsten Tagebau entfernt und für die mehreren tausend Arbeitsplätze, die durch den Kohleausstieg verloren gehen, könne ein Naturerlebniszentrum kein angemessener Ersatz sein.
Die Sinnhaftigkeit, das Zentrum aus Bundesmitteln für den Kohleausstieg zu finanzieren, hält der Bund der Steuerzahler für "nicht nachvollziehbar. [...] Die angeblichen Effekte sind äußerst fragwürdig, zumal keine vergleichbare neue Wertschöpfung oder vergleichbare neue Arbeitsplätze entstehen", schreibt er im "Schwarzbuch". Deshalb sei die geplante Finanzierung ein Fall öffentlicher Verschwendung. Denn: "Auch die Strukturhilfemittel sind Steuergeld!"
Staatskanzlei setzt auf Tourismus
Zuständig für den Einsatz der Mittel ist Sachsen-Anhalts Staatskanzlei. Dort verweist man zunächst darauf, dass das Investitionsfördergesetz des Bundes ausdrücklich auch den Landkreis Mansfeld-Südharz begünstigt. Die Strukturhilfen dort einzusetzen, sei also zulässig. Das erkennt auch der Bund der Steuerzahler an. Zugleich kritisiert er, dass der Gesetzestext entsprechend "weit gefasst" sei, um auch solche Investitionen zu ermöglichen.
Zur Finanzierung des Kranicherlebniszentrums schreibt die Staatskanzlei auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, der Ausbau der touristischen Infrastruktur sei "einer der Förderschwerpunkte" in den Strukturwandelregionen und er sei sinnvoll: "Der Neubau [...] verknüpft nachhaltige Wertschöpfung mit Naturschutzanliegen, Umweltbildung und naturnaher Tourismusentwicklung in der Region." Vom geplanten Zentrum verspreche man sich eine "Hebelwirkung für weitere touristische und wirtschaftsnahe Investitionen". Das Land setzt also darauf, dass der öffentlichen Investition weitere folgen werden.
Naturschutzbund begrüßt Erlebniszentrum für Kraniche
Freude über das geplante Naturerlebniszentrum herrscht beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), wo man die Idee dafür hatte. Dort kann man die Kritik nicht nachvollziehen. Der stellvertretende Nabu-Landesvorsitzende Martin Schulze erklärt bei MDR SACHSEN-ANHALT, auch Mittel für den Strukturwandel seien dafür gut eingesetzt. Das Zentrum sei ein zukunftsfähiges Naturschutzprojekt, von dem die ganze Region wirtschaftlich profitieren könne.
Insgesamt 4,8 Milliarden Euro aus verschiedenen Fördertöpfen sollen bis 2038 als Investitionen für den Kohleausstieg nach Sachsen-Anhalt fließen. Man könnte meinen, acht Millionen fielen da kaum ins Gewicht. Während der Bund der Steuerzahler bezweifelt, dass die Finanzierung des Naturerlebniszentrums am Stausee Kelbra aus diesen Mitteln dem eigentlichen Zweck entspricht, ist bei den Befürwortern die Hoffnung groß, dass die Kritik verhallt.
Sachsen-Anhalt im Schwarzbuch
Im aktuellen "Schwarzbuch 2024/2025" ist Sachsen-Anhalt mit insgesamt sechs Beispielen vertreten. Neben der Finanzierung des Naturerlebniszentrums kritisiert der Bund der Steuerzahler auch die folgenden Fälle:
- Die Anschaffung von Geräten für Firewall-Systeme an Sachsen-Anhalts Schulen: Ein großer Teil der damit ausgestatteten Schulen nutzt die Geräte gar nicht, weil es Probleme damit gibt. Die Fehlinvestition des Landes beläuft sich laut BdSt auf rund 18 Millionen Euro. MDR SACHSEN-ANHALT hatte darüber bereits 2022 berichtet.
- Die Planungen für einen Gefängnisneubau in Halle: Das Vorhaben wurde 2021 wegen explodierter Kosten ad acta gelegt – 2023 aber wieder aufgenommen. Die Gesamtkosten für diese neue Haftanstalt stehen aus Sicht des BdSt keinesfalls fest; er erwartet vielmehr, dass die Kosten weiter aus dem Ruder zu laufen drohen.
- Den Bau zweier neuer Saalebrücken in Halle: Sie sollen Fußgängern und Radfahrern neue Wege auf die Salineinsel ermöglichen. Der BdSt kritisiert, dass nur wenige hundert Meter entfernt schon zwei Brücken existieren, die gerade erst saniert wurden. Zudem seien die Kosten für die beiden neuen Brücken gestiegen – auf inzwischen 7,7 Millionen Euro.
- Die Entschärfung einer S-Kurve auf der B 180 bei Naumburg: Obwohl die Straße erst vor wenigen Jahren grundhaft ausgebaut wurde, hat man dort nun noch einmal den Straßenverlauf angepasst – für 500.000 Euro.
- Die Erneuerung von Autobahnschildern bei Sangerhausen: Anstatt sie mit frischer Folie zu überkleben, müssen ausgeblichene touristische Hinweistafeln an der A 38 komplett neu angefertigt werden. So schreibt es das Gesetz vor. Das wird mindestens 180.000 Euro kosten.
Mehr zum Kohleausstieg
MDR (Sven Stephan, Moritz Arand)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Oktober 2024 | 11:00 Uhr
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