Sondersitzung im Rechtsausschuss Fluchtversuch von Stephan B.: Justizministerin will externe Gutachter einschalten
Hauptinhalt
11. Juni 2020, 15:55 Uhr
Wie konnte es zum Fluchtversuch des Halle-Attentäters Stephan B. kommen? Justizministerin Anne-Marie Keding sieht Versäumnisse bei der Leitung der JVA "Roter Ochse" in Halle. Am Donnerstag hat die Ministerin erneut Stellung beziehen müssen – in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag. Dabei kündigte sie personelle Konsequenzen in der JVA an.
Der Druck wächst – seit ein paar Tagen schon: Als Anne-Marie Keding am Donnerstagmorgen im Landtag erscheint, ist die Justizministerin längst zum Rücktritt aufgefordert worden. Die Linke hält Keding nicht mehr für tragbar – weil sie, so der Vorwurf, offenbar keine Autorität in ihrem Haus habe. Ihre Informationspolitik? "Katastrophal", findet die Linke.
Anne-Marie Keding muss an diesem Vormittag Stellung zum Fluchtversuch von Stephan B. beziehen. Der 28-Jährige soll im Herbst vergangenen Jahres in Halle zwei Menschen auf offener Straße erschossen haben. Nur die massive Tür der halleschen Synagoge hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein noch größeres Blutbad verhindert. Nun hat der Rechtsausschuss im Landtag kurzfristig eine Sondersitzung einberufen. Die große Frage ist: Wie konnte das passieren?
SPD und Grüne vermeiden klares Bekenntnis zur Ministerin
Es ist die CDU-Fraktion gewesen, die diese Sondersitzung einberufen hat. Jene Partei, der die Ministerin selbst angehört. Von einem Rücktritt will die CDU im Vorfeld nichts wissen. Die Frage stelle sich nicht. Es sei nicht Keding gewesen, die sich falsch verhalten und den Fluchtversuch ermöglicht habe, gab der CDU-Rechtspolitiker Jens Kolze noch am Mittwoch zu Protokoll. Trotzdem erwarte man minutiöse Aufklärung. SPD und Grüne – die beiden Koalitionspartner der CDU – hatten ein klares Bekenntnis zur Ministerin dagegen vermieden. Man wolle die Sitzung abwarten, heißt es.
Keding selbst spricht im Vorfeld an diesem Donnerstagmorgen von einer "herausfordernden Sitzung", in der auch über personelle Konsequenzen gesprochen werde. Dass sie zurücktreten muss, glaubt sie nicht.
Der Fluchtversuch von Stephan B.
Stephan B. hat am Sonnabend vor Pfingsten (30. Mai) versucht, aus der JVA "Roter Ochse" in Halle zu fliehen. Zuvor war er mehrere Minuten lang unbeaufsichtigt auf dem Außengelände der JVA unterwegs. B. war über einen mehr als drei Meter hohen Zaun geklettert. Eine reale Fluchtgefahr hat nach Angaben des Ministeriums allerdings nicht bestanden.
Anklage: Zweifachen Mord und 68-facher versuchter Mord
Die Bundesanwaltschaft wirft Stephan B. zweifachen Mord und 68-fachen Mordversuch aus einer "antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus" vor. Stephan B. soll am 9. Oktober vorigen Jahres versucht haben, schwer bewaffnet in die hallesche Synagoge einzudringen. Als das misslang, soll er zwei Menschen erschossen und auf seiner Flucht mehrere Menschen verletzt haben.
Keding sieht Versäumnisse bei der Gefängnisleitung
Die Ministerin hat schon am Dienstag dieser Woche öffentlich erklärt, welche Versäumnisse es in der Justizvollzugsanstalt gegeben hat. Zentraler Punkt ihrer Ausführungen: Im Gefängnis wurden Sicherheitsvorgaben gelockert, ohne dass das Ministerium dem zugestimmt hätte. Kedings Botschaft ist klar: Die JVA-Leitung ist verantwortlich für diesen Fluchtversuch – nicht das Justizministerium.
Ob diese Begründung dem Rechtsausschuss reicht? Gut zweieinhalb Stunden vergehen, ehe sich die Türen wieder öffnen. Schon zuvor sickert durch sein, dass die stellvertretende Direktorin der halleschen JVA strafversetzt wird. Ins Justizministerium. Es ist eine jener personellen Konsequenzen, die die Ministerin zuvor angekündigt hatte. Ebenfalls kündigt sie an, die JVA "Roter Ochse" von externen Experten untersuchen lassen zu wollen.
Der CDU-Rechtspolitiker Jens Kolze wird anschließend konstatieren, der Fluchtversuch sei erst durch "individuelles Fehlverhalten" in der JVA möglich geworden. Wichtig sei jetzt, einen ähnlichen Vorfall in Zukunft zu verhindern. Die Linke dagegen wird ihre Rücktrittsforderung an Anne-Marie Keding untermauern. Die habe "ihren Laden nicht im Griff", bemängelt die Abgeordnete Henriette Quade auf Twitter. Für Klarheit habe Keding nicht sorgen können.
Aus dem Schneider ist die Justizministerin jedenfalls noch nicht. Am Freitag wird sich der Rechtsausschuss wieder treffen und über den Fluchtversuch beraten – dann in nicht-öffentlicher Sitzung.
Stephan B. ist inzwischen in die Justizvollzugsanstalt nach Burg verlegt worden. Die Gefängnisleitung muss dem Ministerium täglich über B. berichten. Eine neue Sicherungsverfügung regelt außerdem, dass der 28-Jährige bei einem Aufenthalt außerhalb seiner videoüberachten Zelle an den Händen gefesselt sein muss.
Ab 21. Juli soll ihm der Prozess gemacht werden.
Quelle: MDR/ld
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. Juni 2020 | 12:00 Uhr
Kritiker am 11.06.2020
+...Zentraler Punkt ihrer Ausführungen: Im Gefängnis wurden Sicherheitsvorgaben gelockert, ohne dass das Ministerium dem zugestimmt hätte. Kedings Botschaft ist klar: Die JVA-Leitung ist verantwortlich für diesen Fluchtversuch – nicht das Justizministerium....+
Kein Wort warum? Weshalb wird darüber nicht gesprochen? Da sind Malerarbeiten von Häftlingen zu überwachen, weiter die Videozentrale musste auch einen Posten vorweisen und wenn nun die Probleme des Personals an diesen Punkten und der fehlenden Personaldecke festgemacht werden kann WER IST DAFÜR VERANTWORTLICH? Die einfachsten Bürger könnten diese Frage beantworten, warum Fr.Kedings NICHT??? Will, kann oder darf sie es nicht?
Kritiker am 11.06.2020
@Realist62: AUFRÄUMEN?? NE wird Fr.Keding nicht machen, denn das hat mit Arbeit zu tun und macht nicht nur Freunde. Wozu sonst die Expertenkommission? Damit dann auch hier deine Politikerin sich zurücklehnen kann und nicht eingestehen braucht für ihr Amt wohl nicht die notwendigen durchgreifenden Mittel zu haben oder haben zu wollen. Hauptsache der Posten, mehr nicht, denn das zeigt doch das hier die Stellvertretende Leiterin der JVA woanders hingesteckt wurde und der eigentliche Direktor sich darauf berufen kann bisher nur eine kurze Zeit in dieser Stellung zu sein und daher nicht alles wissen kann. Wer für sein Amt nicht geschaffen ist oder nicht den Mut hat sich selbst damit auseinandersetzen zu wollen ist fehl am Platz und daher würde ich ganz persönlich den Rücktritt der Fr.Keding sehr begrüßen! Nur schließt sich die Frage an: Gibt es einen kompetenteren Politiker eine kompetentenere Politikerin in dieser Partei?
Kritiker am 11.06.2020
Immer die "Kleinen". Ich wünschte mir ganz persönlich das Fr.Keding die Personalfrage, welch ja in Richtung Bundes,- Landesjustizminiterium EBENFALLS mit berücksichtig werden sollte, als Grundlage dieser Fehlverhalten entsprechender Justizangestellten berücksichtigt und selbst dazu Stellung bezieht wie sie diese Personalfrage ein für alle mal klären will das eben nicht ein*e Justizbeamter*in an mehr al seine Stelle gleichzeitig zu sein hat. Leicht kann man es sich machen indem man eben die untergeordnete Ebene die Schuld zuschreibt nur diese kann nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten arbeiten. Das sollen Politiker*innen verinnerlichen aber sich die eigenen Hände in Unschuld waschen wollen. Die Personalfrage ist eine Frage der Politik und nicht der Gesellschaft. Die Einordnung eines Täters ist die Sache von Justiz aber nicht nur von einer einzelnen Person in entsprechendem Stand!