Anne-Marie Keding und Hubert Böning
Landesjustizministerin Anne-Marie Keding mit Staatssekretär Hubert Böning Bildrechte: apicture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Personelle Konsequenzen Nach Fluchtversuch von Halle-Attentäter: Aus für Justiz-Staatssekretär

18. Juni 2020, 19:02 Uhr

Der Staatssekretär im Justizministerium von Sachsen-Anhalt, Hubert Böning (CDU), ist in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Hintergrund ist nach Informationen von MDR SACHSEN-ANHALT die versuchte Flucht des Halle-Attentäters Stephan B. aus dem Gefängnis Roter Ochse in Halle.

Im Skandal um den Fluchtversuch des Attentäters von Halle muss ein Spitzenbeamter im Justizministerium von Sachsen-Anhalt seinen Posten räumen. Justiz-Staatssekretär Hubert Böning ist in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Das hat die Staatskanzlei am Donnerstag mitgeteilt. Damit habe Ministerpräsident Reiner Haseloff der Bitte von Justizministerin Anne-Marie Keding (alle CDU) entsprochen. Als Nachfolger für den Posten schlägt Keding Josef Molkenbur vor.

Josef Molkenbur: Aus dem Ruhestand ins Ministerium

Molkenbur, Jahrgang 1956, war viele Jahre Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht und seit dem 1. März 2018 im Ruhestand. Der Jurist sagte MDR SACHSEN-ANHALT, die Anfrage, ob er für das Amt des Staatssekretärs zur Verfügung stehe, habe ihn überrascht. Nach kurzem Überlegen habe er gern zugesagt.

In seiner Zeit im Ruhestand sei er an der Martin-Luther-Universität in Halle aktiv gewesen, habe Arbeitsrechtsvorlesungen gehalten. Er sei auch Prüfer für das erste und zweite Staatsexamen gewesen. Molkenbur lebt in Magdeburg und soll in den kommenden Tagen ernannt werden.

Ministerin traut Aufgabe nicht mehr zu

Es gehöre zu den Kernaufgaben eines Staatssekretärs, die Verwaltung eines Geschäftsbereichs in Aufbau und Ablauf zu organisieren, teilte das Justizministerium mit. "Diese Aufgabe ist eine ständige Herausforderung, insbesondere unter den Rahmenbedingungen eines über viele Jahre währenden Personalabbaus", so ein Sprecher. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sehe Ministerin Keding Böning nicht mehr in der Lage, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Zum Fluchtversuch waren nach und nach neue Fakten nach außen gelangt. Zuletzt war bekannt geworden, dass das Ministerium bereits im März über Missstände in der JVA in Halle informiert worden war. Die E-Mail soll jedoch nicht an Staatssekretär Böning weitergeleitet worden sein. Dem bisherigen Staatssekretär wurde daher vorgeworfen, sein Ministerium nicht im Griff zu haben. Er hatte das Amt seit Mai 2016 inne.

Mehrere Parteien von Böning distanziert

SPD, Grüne, Linke und auch die CDU-Fraktion hatten sich vom 60-jährigen Böning distanziert. Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann hatte am Donnerstag den Rücktritt oder die Entlassung von Böning gefordert. Nach den ihr vorliegenden Informationen habe die Unterbringung des Attentäters in Bönings Verantwortung gelegen.

Justizvollzugsanstalt Roter Ochse in Halle
Die stellvertretende JVA-Leiterin in Halle wurde bereits von ihrer Funktion entbunden und versetzt. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Die rechtspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Eva von Angern, sprach sich ebenfalls für Konsequenzen aus. Schon vergangene Woche hatte die Linke in Sachsen-Anhalt Kedings Rücktritt gefordert. Nun ist eine "Aktuelle Debatte" zum Vorfall im Landtag für Dienstag beantragt. Zu Bönings Versetzung teilte von Angern mit, es handele sich um einen folgerichtigen und notwendigen Schritt, unabhängig von möglichen weiteren Konsequenzen. Das Krisen- und Informationsmanagement von Justizministerin Keding sei weiterhin katastrophal.

SPD-Fraktionschefin Katja Pähle erklärte, bei der Aufarbeitung des Ausbruchsversuchs sei deutlich geworden, "dass die Spitze des Justizministeriums der Unterbringung des wichtigsten Gefangenen des Landes nicht die Aufmerksamkeit gewidmet hatte, die zweifelsohne nötig gewesen wäre." Sie begrüße daher die personellen Konsequenzen.

Sachsen-Anhalts Grünen-Landeschef Sebastian Striegel twitterte, der Schritt sei unumgänglich gewesen. Offensichtlich gewordene Probleme im Justizvollzug müssten umfassend angegangen werden.

Zweifel an Ausbruch-Darstellung des Justizministeriums

Wie die "Volksstimme" am Donnerstag berichtet, hatte ein Gespräch zwischen Keding, Böning und den Rechtspolitikern im Landtag vom Mittwoch mehr neue Fragen aufgeworfen als geklärt. Beispielsweise ging es darum, ob die JVA eigenmächtig Lockerungen bei den Haftbedingungen vorgenommen hat. Das Ministerium hatte das bei einer Pressekonferenz jüngst so dargestellt. Doch für die mit dem Fall befassten Politiker wie Silke Schindler von der SPD ist das nach Akteneinsicht nicht überzeugend. Zudem sei nun eine brisante Email aufgetaucht, in der Missstände in der JVA beklagt werden.

Stephan B. nach Burg verlegt

Am Pfingstwochenende hatte der 28-jährige Halle-Attentäter Stephan B. einen Fluchtversuch gewagt, nachdem er mehrere Minuten unbewacht gewesen war. Er ist daraufhin aus dem Gefängnis in Halle in die JVA Burg verlegt worden.

Landesbesoldungsgesetz – Regeln zum einstweiligen Ruhestand Staatssekretäre gehören der Besoldungsgruppe B9 an. Hier liegt das Grundgehalt bei rund 10.900 Euro im Monat. Laut Gesetz erhalten Staatssekretäre im einstweiligen Ruhestand im Monat der Entlassung und in den drei darauffolgenden Monaten das Grundgehalt weiter.

Danach beginnt eine Übergangszeit, in der Betroffene rund 72 Prozent der Dienstbezüge bekommen. Die Übergangszeit dauert mindestens sechs Monate, höchstens drei Jahre.

Beamte im einstweiligen Ruhestand könnten theoretisch künftig wieder ein politisches Amt innehaben, wenn es ihnen angeboten wird.

Quelle: MDR/mh,kb,dpa,afp

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Juni 2020 | 14:00 Uhr

7 Kommentare

Steffen 1978 am 18.06.2020

Warum darf unser Innenminister oder Justizminister nicht gehen die sind doch für diesen Personalmangel wodurch der Fluchtversuch zustande kam verantwortlich

Erichs Rache am 18.06.2020

" Justiz-Staatssekretär Hubert Böning ist in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden."

Oha, das ist echt hart.
Ab sofort auf ein Ruhegehalt angewiesen zu sein und u.U. einer erneuten Berufung Folge leisten zu müssen, wenn ein Amt mit mindestens demselben Endgrundgehalt verliehen werden soll ist ECHT BITTER !!!

Altlehrer am 18.06.2020

Es ist dem Normalbürger kaum zu vermitteln, inwiefern eine Versetzung von einer Haftanstalt in ein Ministerium oder eine Versetzung in den Ruhestand mit 60 mit einer richtig fetten Pension eine Sanktionierung für Fehlleistungen darstellen. Insbesondere, weil viele "kleine" Beamte wesentlich länger arbeiten müssen.

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