Straftaten und politische AktionenRusslands Krieg zeigt sich auch in Sachsen-Anhalt
Den Behörden in Sachsen-Anhalt sind keine in die Ukraine ausgereisten Rechtsextremisten bekannt. Dennoch beschäftigt sie der Krieg: Mittlerweile laufen mehrere Ermittlungsverfahren wegen des "Z"-Symbols, auf Corona-Protesten kam es zu pro-russischen Aktionen. Ein Rechtsextremismus-Experte hält eine weitere "Mobilisierungswelle" für möglich.
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Der russische Angriffskrieg in der Ukraine macht sich auch in Sachsen-Anhalt durch Dutzende potenzielle Straftaten und politische Aktionen bemerkbar. Den Sicherheitsbehörden des Landes sind allerdings keine Personen aus Sachsen-Anhalt bekannt, die sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligen. Das teilte das Innenministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit.
Angesichts von zuletzt medial vielfach aufgegriffenen Ausreisen deutscher Extremisten nach Russland oder in die Ukraine spricht das Ministerium lediglich von einem "abstrakten Gefahrenpotenzial". Hinweise auf eine konkrete Gefährdungslage für Sachsen-Anhalt lägen der Verfassungsschutzbehörde derzeit nicht vor.
Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hatte Mitte März gesagt, es handle sich bei entsprechenden Ankündigungen von Rechtsextremisten überwiegend um "Maulheldentum". Zu diesem Zeitpunkt war den Behörden bundesweit nur eine kleine einstellige Personenzahl bekannt, die tatsächlich in das Kampfgebiet ausgereist war. Mittlerweile spricht das Bundesinnenministerium laut "Süddeutscher Zeitung" von 27 Rechtsextremisten, die eine Ausreise planen oder bereits im Kriegsgebiet sind.
Rechtsextremistische Szene gespalten
Im derzeitigen Krieg kämpfen sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite verschiedene Gruppen mit rechtsextremen Bezügen, etwa das ukrainische Asow-Regiment oder Anhänger der Russischen Reichsbewegung. Beide haben in der Vergangenheit auch mit deutschen Rechtsextremisten kooperiert. Die hiesige Szene gilt auch deshalb in der Frage der Unterstützung als gespalten.
Teile des rechtsextremistischen Spektrums Sachsen-Anhalt positionierten sich "unmissverständlich" an der Seite Russlands, heißt es nun vom Innenministerium. Konkrete Fälle nennt man allerdings nicht.
Auf der anderen Seite unterstützt etwa die auch in Sachsen-Anhalt aktive Neonazi-Partei "Der Dritte Weg" laut eigenen Angaben ukrainische Nationalisten, etwa mit Schutzausrüstung. Kader aus einem sachsen-anhaltischen Ableger der Identitären Bewegung hatten in der Vergangenheit ebenfalls Kontakt zu diesen Kräften gehalten. Anfang März versuchten zudem Aktivisten der rechtsextremistischen "Neuen Stärke" in die Ukraine zu gelangen. Offenbar ohne Erfolg.
In Teilen der linksextremistischen und antiimperialistischen Szene wiederum, insbesondere in Magdeburg, würden sowohl der Einmarsch Russlands als auch die Unterstützung der Ukraine durch den "Westen" gleichermaßen abgelehnt, schreibt das Innenministerium. Die Szene ziehe sich hier auf eine friedensbewegte Position zurück und suche den "Hauptfeind im eigenen Land".
Corona-Proteste bieten Raum für pro-russische Aktionen
Deutschlandweit für Aufsehen und Diskussionen hatten zuletzt pro-russische Auto-Korsos in Berlin und anderen Städten gesorgt. In Sachsen-Anhalt hat es solche bislang nicht gegeben. Rein pro-russische Versammlungen sind der Landespolizei keine bekannt. Bis Sonntag wurden allerdings mindestens zwölf Versammlungen erfasst, auf denen die Behörden pro-russische Äußerungen oder das vereinzelte Mitführen der Fahne Russlands feststellten. Bei diesen Versammlungen handelte es sich laut Innenministerium ausschließlich um solche, die sich gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie richteten.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, forderte zuletzt ein deutschlandweites Verbot russischer Fahnen bei pro-russischen Demonstrationen. Dieser Forderung schließt sich die Vorsitzende der liberalen Jüdischen Gemeinde Magdeburg, Larisa Korshevnyuk, an. Sie sagte MDR SACHSEN-ANHALT, in der jetzigen Situation stelle die Fahne zweifellos "Kriegspropaganda" dar. Solche trage zur Spaltung der Gesellschaft bei und müsse unterbunden werden.
Korshevnyuk hat sich mit ihrer Forderung auch an das Innenministerium gewandt. Sie stammt selbst aus der Ukraine.
Rechtsextremismus-Experte sieht mögliche "Mobilisierungswelle"
Trotz oder auch gerade wegen dieser pro-russischen Aktionen waren die Corona-Proteste in Sachsen-Anhalt zuletzt stark rückläufig. Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich vom Magdeburger Verein "Miteinander" hält allerdings eine "neue Mobilisierungswelle" im Herbst für möglich. Etwaige dann drohende Corona-Einschränkungen, eine fortschreitende Inflation und die spürbaren Auswirkungen des russischen Angriffskrieges könnten für einen Zulauf und eine weitere Radikalisierung der Proteste sorgen, sagte Begrich.
Auch der 8. und 9. Mai müssten laut Begrich von Sicherheitsbehörden verstärkt beobachtet werden. Dann jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs. In Russland und teilweise auch hierzulande wird dieses Jubiläum als "Tag des Sieges" gefeiert.
Unter den Corona-Protestierenden hätten insbesondere Reichsbürger eine "Affinität zum Putinismus". Russland werde hier als Helfer dabei gesehen, sich aus einer angeblichen Umklammerung durch die USA zu lösen, so Begrich.
Erste Ermittlungsverfahren wegen Verwendung des Z-Symbols
Seit Kriegsbeginn wurden insgesamt 17 Ermittlungsverfahren wegen des Zeigens des Z-Symbols und damit des Tatverdachts der Belohnung und Billigung von Straftaten eingeleitet. Vier weitere Ermittlungsverfahren gehen aktuell dem Tatverdacht der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach.
Offenbar greift hier auch eine Sensibilisierung von Behörden und Gesellschaft: Noch Ende März hatte das Innenministerium mitgeteilt, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine solche Ermittlungen bekannt waren.
Mit dem Buchstaben "Z" sind mehrere russische Militäreinheiten gekennzeichnet. Er wurde in Russland zu einem zentralen Symbol der Staatspropaganda. Die Szene in Sachsen-Anhalt nahm das Symbol schnell auf: So führt der Online-Shop eines halleschen Rechtsextremisten mittlerweile mehrere Produkte, auf denen ein "Z" hervorgehoben ist.
Illegale Waffen könnten Gefahr bedeuten
Laut David Begrich bleibt eine der größten Gefahren allerdings weiterhin die mögliche Ausreise von deutschen Rechtsextremisten in das Kriegsgebiet. Er mache sich "vor allem Gedanken um diejenigen Rechtsextremisten, von denen wir gerade nichts hören".
Schon an den Jugoslawienkriegen der 90er-Jahre hätten sich verschiedene Neonazis aus Deutschland und Österreich aktiv beteiligt. Diese seien dann militärisch ausgebildet und teilweise radikalisierter, teilweise auch traumatisiert zurückgekehrt. Ein bekanntes Beispiel aus Deutschland wiederum ist der führende Thüringer NPD-Kader Thorsten Heise.
Eine mögliche indirekte Auswirkung des Krieges könnte laut Sicherheitsexperten auch der verstärkte Handel mit Waffen aus dem Kriegsgebiet und damit die Bewaffnung hiesiger Extremisten sein. Diesbezüglich lägen der Landespolizei bisher jedoch "keine sachbezogenen Erkenntnisse" vor, schreibt das Innenministerium. Man arbeite allerdings eng mit den Sicherheitsbehörden zusammen, um in entsprechenden Fällen umgehend reagieren zu können.
MDR (Thomas Vorreyer)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. April 2022 | 21:00 Uhr
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