Zwischen Verunsicherung und Selbstbewusstsein Was das Meldeportal der AfD für Sachsen-Anhalts Lehrer bedeutet
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Was darf ich meinen Schülern noch sagen? Womit verletze ich meine Neutralitätspflicht? Seitdem das AfD-Meldeportal vor zweieinhalb Monaten online gegangen ist, treiben diese Fragen Sachsen-Anhalts Lehrer um. Wie sie künftig damit umgehen wollen – und was die Politik dazu sagt.
Vor ihrer Klasse stehen und über Politik sprechen – das ist Alltag für Kathrin Hartmann aus Magdeburg. Sie ist Sozialkundelehrerin an der Integrierten Gesamtschule (IGS) "Regine Hildebrandt" und kennt die Tücken der Diskussionen in den Klassenzimmern: "Natürlich gibt es auch mal Schüler, die einen provozieren wollen, mit bestimmten rechten Statements zum Beispiel", sagt sie. "Die Frage ist dann immer: Wie gehst du im jeweiligen Fall damit um? Als Lehrer musst du genau überlegen, wie du auf so etwas reagierst."
Was dürfen Lehrer ihren Schüler noch sagen? Womit verletzen sie ihre Neutralitätspflicht? Diese Fragen treiben Sachsen-Anhalts Lehrer seit November vergangenen Jahres um. Denn seitdem ist das Lehrermeldeportal der AfD-Landtagsfraktion aus Sachsen-Anhalt online. Etwa 5.600 Meldungen sind bislang eingegangen, 50 bis 60 davon waren laut Partei ernstgemeint. Im Landesinstitut für Schulqualität fanden sich am Mittwoch in Halle 120 Vertreter aus der politischen Bildung zusammen, um über das Neutralitätsgebot zu diskutieren – unter ihnen auch zahlreiche Lehrer, die verunsichert sind.
"Erinnerungen an die alte Stasi-Zeit"
"Unsicherheiten gab es bezüglich des Neutralitätsgebotes schon immer, aber ich stelle schon einen Unterschied im Umgang mit dem Meldeportal fest zwischen Lehrern aus Hamburg oder Berlin beispielsweise und Lehrern aus Mitteldeutschland und Sachsen-Anhalt", sagt Andreas Petrik, Professor für Methoden der politschen Bildung aus Halle. "Hier werden Erinnerungen wach an die alte Stasi-Zeit. Da kann der Eindruck von Überwachungssituationen erzeugt werden und soll vielleicht sogar erzeugt werden."
Hans-Thomas Tillschneider, Sprecher für Bildung, Kultur und Wissenschaft der AfD-Landtagsfraktion, bestreitet das vehement. "Ich verstehe die Vorwürfe nicht", sagte er am Mittwoch in Halle. "Es geht nicht um Denunziation. Es wird kein Lehrer an den Pranger gestellt. Wir wollen keine kleinen Stasi-Spitzel heranziehen. Der Schüler steht bei dem Meldeportal im Zentrum, weil er betroffen ist, weil er für seine Einstellung in der Schule diskriminiert wird."
Bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern der Landespolitik erntete Tillschneider für seine Äußerungen viel Kritik. "Wir kennen diese Argumentation ja, diese Verniedlichung des Hinein-Grätschens in urpädagogische Prozesse", sagte Thomas Lippmann, Fraktionsvorsitzender der Linken, zuständig für Bildungs- und Sportpolitik. "Da wird Konfliktpotenzial in die Schulen hineingetragen, das überhaupt nicht da ist. Dieser Weg ist völlig inakzeptabel. Der demokratische Anstand gebietet es, diese Portale abzuschalten."
Katja Pähle, SPD-Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Wissenschaftspolitik, sagte: "Dieses Petz-Portal ist rechtswidrig." Pähle wandte sich direkt an die Lehrer: "Die Sachen, die da eingehen, haben für sie keine Konsequenzen. Wir bitten sie, sich bei uns zu melden, falls es so einen Fall geben sollte. Es gibt Regularien der Dienstaufsicht, die funktionieren – und niemand braucht die AfD, um diese umzusetzen." Angela Gorr, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bildung und Kultur der CDU-Fraktion, sagte: "Dieses Meldeportal halte ich für ungeheuerlich. In der Schule muss ein Austausch von Argumenten stattfinden. Die Schule muss Rahmenbedingungen präsentieren, damit die Diskussion über politische Inhalte funktioniert."
Wenn wir anfangen, uns dadurch einschüchtern zu lassen und nicht mehr unsere Meinung sagen, ist das eine Gefahr für die Demokratie.
Im Zentrum der Forderungen der Lehrer: eine deutliche Aufwertung des Sozialkundeunterrichts. Aktuell sei dieser mit nur einer Wochenstunde unterrepräsentiert und außerdem in der Oberstufe abwählbar, prangerten die Lehrer an. "Diese Anregung nehmen wir mit", sagte Angelor Gorr, mahnte jedoch an: "Die ganze Schulbildung ist bei diesem Thema gefragt und nicht nur ein Fach. Das sollte auch in der Lehrerausbildung in den Fokus genommen werden und fächerübergreifend Bestandtteil der Ausbildung sein."
Ist das Meldeportal rechtswidrig?
Ein Sozialkundelehrer wollte im Rahmen der Diskussion wissen: Wenn das Lehrermeldeportal rechtswidrig ist, warum kann es dann nicht verboten werden? Der Landesbeauftragte für Datenschutz habe ihm mitgeteilt, nicht tätig werden zu können, weil sich der Raum des Parlamentes seiner Entscheidungsgewalt entziehe, erklärte Sebastian Striegel, Parlamentarischer Geschäftsführer des Bündnis90/Die Grünen. Obwohl das Portal wohl datenschutzrechtlich unzulässig sei.
Lehrer, die konkret betroffen sind, könnten allerdings die Verletzung ihrer individuellen Rechte geltend machen, so Striegel weiter. Auch die Verwendung von Fraktionskosenzuschüssen sollte vom Landesrechnungshof laut dem Grünen-Politiker überprüft werden. Schließlich würden die finanziellen Mittel für die parlamentarische Arbeit und nicht für die Schulaufsicht bereitgestellt. "Was sie hier betreiben, ist schlicht Veruntreuung von Steuermitteln", sagte Striegel in Richtung von Tillschneider. "Wir gehen mit den Daten sensibel um. Das alles dient nur dazu, Informationen für die parlamentarische Arbeit zu sammeln", entgegnete dieser.
Ob das Lehrermeldeportal nun künftig verboten wird oder nicht: Es hat für Verunsicherung bei den Lehrern gesorgt. Sollten sie ihre politische Meinung in der Schule also lieber verschweigen? "Auf keinen Fall, so könnten sie keine Vorbildfunktion haben", sagt Professor Andreas Petrik. "Ein Sportlehrer muss sportlich sein und ein Politiklehrer muss politisch sein." Die Frage sei nur, wann und wie äußere ich als Lehrer meine Meinung. "Wenn ich zum Beispiel Parteimitglied bin, sollte ich das offenlegen und den Schüler dann sagen: Messt mich daran, ob ich alle Parteien gleich behandele, auch die AfD." Die Lehrer könnten laut Petrik selbstbewusst im Umgang mit dem Portal sein, denn: "Die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Ich muss sie als Lehrer also als kritischen Prüffall behandeln, habe sogar die Pflicht dazu."
Jörg Ennuschat, Professor für öffentliches Recht an der Ruhr-Universität in Bochum, sagte am Mittwoch sogar: "Ein Lehrer kann selbstbewusst und mutig im Umgang mit dem Portal sein. Wenn er alles richtig macht, kann er auch dazu stehen – und dann wäre ein Eintrag ins Meldeportal in gewisser Weise wie ein demokratischer Ritterschlag." Denn Lehrer dürften sehr wohl ihre politische Meinung kundtun, müssten eben zugleich nur die freie Meinungsbildung sicherstellen.
Für Kathrin Hartmann aus Magdeburg war die Tagung in Halle eine Bestätigung ihrer täglichen Arbeit – und die Diskussionen nahmen ihr wie so vielen ihrer Kollegen die Unsicherheit. "Wenn wir anfangen, uns dadurch einschüchtern zu lassen und nicht mehr unsere Meinung sagen, ist das eine Gefahr für die Demokratie", sagte sie zum Lehrermeldeportal. "Wir diskutieren kontrovers. Nicht völlig wertfrei, aber immer unter dem Gebot, keinen der Schüler mit unseren Meinugen zu überwältigen. Wir gewährleisten Meinungsfreiheit und diskutieren über verschiedene Standpunkte. So, wie wir es machen, machen wir es richtig."
Über den Autor
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung als Sportredakteur und berichtete hauptsächlich über die besten Fußballklubs Sachsen-Anhalts: den 1. FC Magdeburg und den Halleschen FC.
Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Quelle: MDR/dg
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. Februar 2019 | 19:00 Uhr