Wohnen in Halle-Neustadt "Heutzutage lebt jeder für sich allein"

03. Mai 2021, 10:57 Uhr

In Großstädten wie Leipzig oder Berlin ist Gentrifizierung längst ein Dauerthema – und das kommt langsam auch in Sachsen-Anhalt an. Warum ein Bündnis für bezahlbaren Wohnraum in Halle trotzdem gescheitert ist.

Daniel George
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Lange galt das Thema Preise für Wohnungen im Osten als unproblematisch, nun ziehen die Preise auch hier an. Wohnungsmarkt und Baubranche boomen. Woran liegt das und welche Folgen hat das? Dieses Thema beleuchten wir in einer mehrteiligen Themenreihe. Das ist Teil drei:

Als Petra* die Vier-Zimmer-Wohnung in Halle-Neustadt bezog, lebte sie noch in der DDR. 32 Jahre – so lange ist das nun schon her. Seitdem sind viele Nachbarn gekommen und gegangen. Mit ihrem Mann hat die heute 64-Jährige in dem Hochhaus zwei Kinder großgezogen, die mittlerweile schon ausgezogen sind. Doch das Ehepaar wohnt noch immer hier.

"Wir haben unsere Wohnung vom ersten Tag an geliebt und lieben sie auch heute noch. Der Blick über Halle ist einfach nur traumhaft", sagt Petra, die ihren vollständigen Namen lieber nicht veröffentlicht sehen will. Denn sie denkt, das könnte negative Folgen haben. Vielleicht komische Blicke der Nachbarn, vielleicht Probleme mit dem Vermieter.

Mit dem habe es schon öfter Ärger gegeben, sagt sie. Auch mit anderen Vermietern in anderen Straßen. Doch ein gemeinsames Aufbäumen sei schwierig. "So etwas schafft man nur zusammen", sagt die Rentnerin, doch fügt ernüchtert hinzu: "Heutzutage können wir uns ja nicht mal im Block einigen. Jeder lebt für sich alleine."

"Häufig von der Öffentlichkeit unbemerkt"

Dabei gibt es gemeinsame Probleme. Stichwort: Gentrifizierung. Das bedeutet per Definition: Die Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird.

In Großstädten wie Leipzig oder Berlin ist das längst ein Dauerthema. Aber auch in Halle? Michael Karrer sagt: ja! Der 33-Jährige engagiert sich beim "Transit Magazin", einem laut eigener Aussage "Debattenmagazin für Halle und Umgebung". Regelmäßig geht es dort um Gentrifizierung. Zum Beispiel im Paulusviertel, wo es schon immer teuer war, sich Normalverdiener mittlerweile aber kaum mehr eine Wohnung leisten können.

Vielen Menschen bleibt dann nur der Wegzug in weniger beliebte Viertel.

Michael Karrer über Gentrifizierung in Halle

"Anfang der Nullerjahre haben dort noch vermehrt Studierende und Familien gewohnt", sagt Michael Karrer. "Heute können sie sich diese Lage oft nicht mehr leisten. Häufig geschieht das von der Öffentlichkeit unbemerkt durch das Wegziehen von Menschen mit geringerem Einkommen und dem Zuzug wohlhabenderer Klassen." Das Projekt rund um das ehemals besetzte Haus in der Hafenstraße 7 in Halle, des sogenannten "HaSi", hätte beispielsweise darauf aufmerksam gemacht.

Inwiefern auch in Halle-Neustadt eine Gentrifizierung in Gang gesetzt wird, bliebe abzuwarten, so Karrer. Noch gibt es genügend bezahlbaren Wohnraum. Doch: "Mit der Freiraumgalerie könnten der Prozess der Gentrifizierung auch dort beginnen", sagt er. "Also das Abschöpfen von kulturellem Kapital durch die Immobilienwirtschaft." Im Rahmen der Freiraumgalerie sollen Wandmalereien und urbane Kunst den Stadtteil lebendiger gestalten.

Karrer sagt: "In diesem Fall sorgen zuerst Künstler und Künstlerinnen dafür, dass der Stadtteil attraktiver wird, es profitieren aber am Ende vor allem die Wohnungseigentümer von dieser Aufwertung, da sie höhere Mieten verlangen können. Vielen Menschen bleibt dann wieder nur der Wegzug in weniger beliebte Viertel."

Engagement im Bündnis "Recht auf Stadt"

So war es bei Petra aus Halle-Neustadt zwar nicht. Doch auch die Rentnerin ärgerte sich über ihren Vermieter. Es ging um die Betriebskosten. "Jahrzehntelang haben wir immer Geld wiederbekommen und auf einmal sollten wir 175 Euro mehr bezahlen", erinnert sie sich. Doch auch ein Rechtsanwalt konnte dem Ehepaar nicht helfen. "Wir haben das dann bezahlt."

Trotzdem war es für Petra der Anlass, sich zu engagieren. Vor zwei Jahren war das. Das Bündnis "Recht auf Stadt" machte mobil. 20 Menschen trafen sich zu besten Zeiten. Dadurch wurde die 64-Jährige auch auf den Unmut anderer Mieter im Stadtteil aufmerksam, deren Miete teilweise drastisch erhöht werden sollte.

Symbolfoto zum Thema Armut in Deutschland : Eine Frau in einer Unterfuehrung an einer Plattenbau-Siedlung in Halle-Neustadt
Hohe Arbeitslosenquote, oft wenig Perspektive: Das Leben in Halle-Neustadt kann trist sein. Bildrechte: imago/epd

"In Halle-Neustadt wurden mehrere Blöcke von einem Unternehmen aufgekauft und dort kam es dann zu Mieterhöhungen von teilweise 20 Prozent – obwohl nichts verbessert wurde", sagt Michael Karrer, der sich in dem Bündnis engagierte.

"Unser Ziel war ein Recht auf Teilhabe an der Stadtgestaltung, nicht nur, was das Wohnen angeht, sondern auch kulturell", sagt der 33-Jährige. "Es war der Versuch, eine Interessengemeinschaft zu bilden. Denn es ist immer tragisch zu sehen, wenn Einzelne mit ihrem Widerstand nur wenig erreichen. Als Gemeinschaft wollen wir stärker sein."

Wollten, besser gesagt, denn nach einem Jahr des Bestehens löste sich "Recht auf Stadt" im vergangenen Jahr wieder auf. Aber: "Das Thema bleibt aktuell", sagt Karrer, "vielleicht lebt das Bündnis noch einmal auf."

"Hoffen wir, dass das so bleibt"

Das Thema Gentrifizierung könnte an Bedeutung gewinnen. "An sich ist Gentrifizierung erst mal gar nicht so schlimm", schätzt Michael Voigtländer, Immobilienökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ein. "Etwa, wenn man Viertel aufwertet, Arbeitsplätze schafft, wenn Investitionen folgen, in Schulen und Kitas. Sie wird dann zum Problem, wenn eine überwiegende oder gar vollständige Verdrängung stattfindet, ohne Alternativen für die, die verdrängt werden. Man muss also dafür sorgen, dass alle Viertel einer Stadt attraktiv sind und es auch bleiben."

Und dafür, dass alle soziale Schichten vertreten sind. "Die soziale Durchmischung zu erhalten, ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit einer Stadt", sagt Voigtländer. Wie das gelingen kann? "Der Staat kann den sozialen Mix beeinflussen – etwa, indem er Bauland an einen Investoren verkauft, der einen Mix aus Eigentums-, normalen Miet- und Sozialwohnungen anbietet."

Die Sanierung von so manchem Wohnhaus wäre in Halle-Neustadt jedenfalls notwendig, sagt Petra. "Ein paar Blöcke sehen aus wie nach dem Krieg", sagt die 64-Jährige. "Da muss etwas getan werden." Generell meint sie: "Noch gibt es für alle ausreichend günstige Wohnungen hier. Hoffen wir, dass das so bleibt."

*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.

Daniel George
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR/Daniel George

Dieses Thema im Programm: "FAKT IST!" | 03. Mai 2021 | 22:10 Uhr

3 Kommentare

Horst Hessel am 04.05.2021

Gentrifizierung wird doch auch von den Kommunen selbst aktiv gefördert in dem in den Innenstädten ausschließlich an Immobilienhaie und Investmentgesellschaften das Bauland zu Höchstpreisen verkauft werden und sozialer Wohnungsbau wo er denn noch stattfindet in den schon immer nicht sehr besonders gefragten Lagen stattfindet. Die Gier nach Einnahmen befördert eben auch die Spaltung der Gesellschaft und LinksRotGrün macht es voll mit wie man sich z.B. in Erfurt wunderbar anschauen kann. Eigentumswohnungen mit Domblick zu Preisen eben die sich die Masse der Ostdeutsche kaum leisten können. Das es mit Grün noch schlimmer wird ist abzusehen denn die Abzocke im Namen des " Klimaschutzes" wird vorallem die ärmeren Bevölkerungsschichten treffen denn Grün muss man sich leisten können. Denn die Auflagen beim Neubau werden weiter verschärft und Eigenheime werden sich nur noch wirklich begüterte leisten können.

Ritter Runkel am 03.05.2021

Die Immobilienpreise sind extrem hoch. Aber für Selbstnutzer macht es kaum einen Unterschied zu früher, wo der Kaufpreis die Hälfte betrug, aber die Zinsen über 8 % lagen. Auf die Tilgungsdauer gesehen kostet die Immobilie ziemlich ähnlich. Das Geld hat jetzt nur der Verkäufer und nicht die Darlehensbank. Für Investoren ist die Situation natürlich eine andere. Allerdings richten sich Mieten immer auch nach der Nachfrage und die üblichen Städte wären auch mit höherem Leitzins höchst problematisch für Mieter. Die niedrigen Zinsen sind daher eigentlich eine Einladung für Kommunen, Genossenschaften usw. jetzt massiv zu investieren und Wohnraum zu schaffen, der außerhalb der Marktgesetze vermietet wird. Anders als bei sozialem Wohnungsbau bliebe dieser dauerhaft in der Zweckbindung.

Atheist am 03.05.2021

„....etwa, indem er Bauland an einen Investoren verkauft, der einen Mix aus Eigentums-, normalen Miet- und Sozialwohnungen anbietet."
Wer bezahlt eine teure Eigentumswohnung wenn ein „bedürftiger“ der Nachbar ist, wenn man sich nicht grüßt oder gar in die Augen schauen darf wenn man nicht die gleiche Sprache spricht....
Eine Durchmischung gab es nur in der DDR wo der Betriebleiter neben der Reinigungskraft wohnte, allerdings waren Löhne und Gehälter nicht so extrem auseinander und die Mieten hoch subventioniert.
Wir werden wohl bald wie aktuell in Dänemark reagieren müssen.

Mehr Politik in Sachsen-Anhalt