Landtagswahl 2021 Kampf um die Erststimmen: Wo die Grünen erstmals die CDU schlagen könnten

03. Juni 2021, 20:33 Uhr

Der Landtagswahlkampf ist geprägt vom Zweikampf zwischen CDU und AfD um die Direktmandate. Dabei droht der CDU auch Gefahr von anderer Seite: In Magdeburg könnte die grüne Kandidatin Madeleine Linke das erste Direktmandat für ihre Partei holen und den bisherigen Abgeordneten Tobias Krull ablösen. Ein Ortsbesuch.

Thomas Vorreyer
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Tobias Krull (CDU), Kandidat für die Landtagswahl, stützt vor der Vorstellung der Wahlplakatkampagne der CDU Sachsen-Anhalt ein Plakat
Die Konkurrenz kommt von links: CDU-Wahlkämpfer Tobias Krull muss bei der Landtagswahl sich nicht gegen die AfD, sondern vor allem gegen die Grüne Madeleine Linke bewähren. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

Madeleine Linke hat einen Zollstock mitgebracht, um ihrem Gast etwas zu beweisen. An einem Mittwochmorgen Ende Mai schiebt Magdeburgs grüne Stadträtin das Holz durch einen Bauzaun und misst den neu angelegten Radweg. "Oha, 99 Zentimeter." "Da pass ich mit meinem Lastenrad aber nicht durch", sagt Parteifreund Sebastian Striegel. Striegel lässt sich an diesem Tag von Linke ausgemachte Fehlplanungen am innerstädtischen Tunnelbau zu Magdeburg zeigen.

Linke ist Radaktivistin und Verkehrspolitikerin. Und sie will dorthin, wo Striegel sonst sitzt: in den Landtag. Ähnlich knapp wie der Radweg am städtischen Großbauprojekt könnte auch das Wahlergebnis für Linke ausfallen: Denn wo sonst im ganzen Land CDU und AfD um die Direktmandate konkurrieren, hat Linke laut Prognosen die Chance, die erste direkt gewählte Landtagsabgeordnete von Sachsen-Anhalts Grünen zu werden.

Grüne fahren reine Zweitstimmenkampagne

"Ein super Zeichen" wäre das, sagt Linke. Von dem auf den Straßen im Magdeburger Osten aber noch nichts zu sehen ist: Wie die anderen grünen Kandierenden darf Linke keine Plakate mit ihrem Gesicht aufhängen. Die Partei fährt eine reine Zweitstimmenkampagne. Das Wählerklientel im Wahlkreis sei ohnehin "sehr jung, dynamisch und viel im Netz unterwegs". Dort, wo Linke auch ist, Kochshows macht, einen Podcast aufnimmt. Auch die Tour mit Striegel hat die vor allem fürs Netz gedacht.

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2018 erst trat sie in die Partei ein, wurde ein Jahr später direkt Fraktionsvorsitzende im Magdeburger Stadtrat und sagt über sich selbst, sie sei "gut vernetzt" in der Stadt. Den Einzug in den Landtag hat sie durch die starken Umfragewerte der Grünen und ihrem Listenplatz sieben quasi sicher. Damit es aber auch mit dem Direktmandat klappt, muss sie erst ein politisches Schwergewicht schlagen.

Dieses Schwergewicht steht zwei Tage später am Breiten Weg und macht Straßenwahlkampf zwischen den Mittagsbummlern. Beinahe fegt der Wind die Hundeleckerlis, Gummibärchen, Koriandersamen vom Klapptisch. Auf allen klebt das Gesicht von Tobias Krull. 

Der 44-jährige Krull ist seit elf Jahren Kreisvorsitzender der CDU in Magdeburg und seit dem Einzug in den Landtag vor fünf Jahren der wichtigste Sozialpolitiker der Landespartei. Er weiß gut, dass manche Bürger jetzt lieber etwas loswerden als mitnehmen wollen.

Ein Passant will von Krull wissen, warum die CDU nicht mit der AfD koalieren würde, um diese zu schrumpfen. Immerhin sei die Partei ja nicht verboten. Krulls Antwort: "Unser Land ist mir zu schade für Experimente."

Ein anderer Mann wirft Krulls Partei vor, für den Weggang junger Menschen aus Sachsen-Anhalt verantwortlich zu sein. "Ihr habt die alle weggeschickt", ruft er. Irgendwann glaubt Krull seinen Trumpf ziehen zu müssen: "Ich kann Sie nur fragen: Wollen Sie diesen MP oder einen anderen MP?" Nur, der Mann sorgt sich wenig um Ministerpräsident Haseloff.

Wenig später steht eine Dame vom Heimatverein "Werderaner Freunde" da und sagt Krull, es wäre doch bald mal wieder Zeit fürs Sommerfest. In 14 Vereinen sei er Mitglied, sagt Krull anschließend nach kurzem Nachdenken. Seine grüne Gegenkandidatin sagt über ihn, er komme oft nur für die Fotos zu Terminen.

Krull, der sich im Wahlkampf so vielen Diskussionsforen gestellt hat wie kaum ein anderer CDU-Kandidat, sagt über Linke, dass sie im Magdeburger Stadtrat oft viele mit ihrer Art vor den Kopf stoße. Es wirke so, als respektiere sie die Arbeit Alteingesessener nicht. Politisch aber sind sich beide vergleichsweise nahe. Die Angriffe von Parteifreunden, Grüne als weltfremde Großstadtmenschen darzustellen, hört man von ihm nicht.

Wahlkreis Magdeburg II wählt immer wieder anders

Für CDU-Verhältnisse ist Krull so etwas wie links. Er ist Mitglied der Arbeitnehmervereinigung in der Union. Im Landtag wird er auch mal aus der Linksfraktion gelobt. Über die Kenia-Koalition sagt er, sie sei nicht konfliktfrei, aber doch "zuverlässig" gewesen. Eine Neuauflage würde definitiv nicht an Krull scheitern.

Madeleine Linke hält Krull fachlich für einen "Guten". Sie selbst wie im Landtag nach der Wahl Bündnisse mit den "progressiven Kräften" in der CDU schließen. Andere CDU-Politiker würden ihr eher Bauchschmerzen bereiten.

Krull sagt, die CDU, seine Partei könne nur stark sein, wenn sich Konservative, Liberale und Christlich-Soziale darin wiederfänden. Er steht für Letztere und dafür, nicht die Nähe zu der Fraktion rechts von ihm suchen. "Eine durchzechte Nacht an der Hotelbar ist für mich mit AfD-Abgeordneten nicht vorstellbar", so Krull. Das sehen in seiner Partei nicht alle so. Dennoch, Krull legt sich fest: Eine Zusammenarbeit mit der AfD nach der Wahl wird es nicht geben. Die Beschlusslage sei klar.

Trotzdem bleibt die AfD für die CDU in Sachsen-Anhalt, was die Grünen im Bund sind: der Hauptkonkurrent. So hat es der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet vor einigen Wochen analysiert. Ministerpräsident Haseloff warnte seine Partei allerdings bereits, dass seine Partei auch Themen der Grüne abdecken müsste. Sonst drohe langfristig ein ähnliches Schicksal wie den Parteifreunden in Baden-Württemberg.

Im Wahlkreis Magdeburg II könnte es am Sonntag dafür einen Vorgeschmack geben. Vom studentisch geprägten Stadtfeld Ost reicht der Wahlkreis über die Altstadt bis ins gut situierte Ostelbien, wo die CDU zuletzt einige ihrer besten Ergebnisse erzielte. Die Stadtteile entschieden sich von Wahl zu Wahl anders. Schwarz bei der Landtagswahl, rot-grün bei den Kommunalwahlen. "Es gibt keine Erbhöfe", sagt Krull. Er vermutet, dass dieses Mal viele taktisch wählen werden. Nur wen? Und was passiert nach der Wahl?

Sollte sie in den Landtag kommen, dann will Madeleine Linke gern, dass die Grünen in einer zukünftigen Koalition das Landesentwicklungsministerium übernehmen. Sie will mehr ÖPNV – auf dem Land wie in der Stadt – und weniger Großbauprojekte.

Krull sieht seine Schwerpunkte in der Sozialpolitik. Er will zielgerichtet in Krankenhäuser investieren und nicht – wie angeblich die SPD – "einfach alles versprechen". Zunächst sei es aber wichtig, die Folgen der Corona-Krise zu bekämpfen. Er sorgt sich um Kinder, die zurückgeblieben sein könnten, etwa weil die Eltern nicht im Home Office arbeiten konnten, sondern an der Kasse oder der Teerwalze standen. Also zuerst Lernrückstände ermessen. Das habe Priorität.

Vielleicht dann auch wieder in einer Koalition mit den Grünen. Am liebsten natürlich aber mit einer starken CDU und weiterhin als direkt gewählter Abgeordneter.

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Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR/Thomas Vorreyer

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR extra: Die Entscheidung in Sachsen-Anhalt | 06. Juni 2021 | 17:45 Uhr

56 Kommentare

Wessi am 05.06.2021

@ Frau K ...nö, die Ökos wollen mit Zwang handeln+das Soziale tritt da zurück, wo das Ökotum dominiert.Wer Zwang ausübt ist Faschist.Da gibts nur inhaltlich Unterschiede zwischen Grünen und AfD...das empfinde ich wenigstens so.Ich möchte KEINE andere Republik, weder so, noch so!

Anni22 am 05.06.2021

Ohne CO2 haben wir gar keine Zukunft ;-)! Spaß beiseite hohe Preise ändern nichts. Der Verbraucher muss Sie zahlen, weil das E-Auto z.Bsp noch viel zu teuer und für Mietwohnungenbesitzer unbrauchbar ist. Das mehr Flüchtlinge kommen, liegt nicht am Klima sondern schlicht an Armut, Überbevölkerung, Kriegen und Perspektivlosigkeit. Hohe Preise in Deutschland, werden das wohl nicht ändern...
Wieso haben wir durch die EU mehr Geld für "Soziales" ? Das Geld wird nicht mehr, es wird höchstens umverteilt oder man druckt Geld, ist aber auch nicht hilfreich auf Dauer....

Chrbinokel am 05.06.2021

Wenn ich die Kommentare lese, dann ist die Angst vor Geldverlust größer als vorhergesagte Katastrophen. Das halte ich für unvernünftig. Geld tauscht man immer nur aus. Dann hat es ein anderer. Die Absicht ist aber schneller auf Elektrizität bei Mobilität zu kommen. Mit Benzin geht das Geld meist zu den Ölscheichs. Wir haben keine glückliche Zukunft mit CO2. Es werden tatsächlich Kriege befürchtet. Aber auch mehr Flüchtlinge. Warum interessiert das niemand? Und ohne die EU hätten wir als Zentralstaat wesentlich weniger Geld für soziales. Cirka 10 % weniger Wirtschaft heißt ganz knappe Kassen. Und leider müssen wir auch Geld in die Hand nehmen, um viele Aspekte des Klimawandels zu beheben.

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