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Neues MobilitätskonzeptGrüne wollen ländlichen Raum besser anschließen, aber auch das Auto zurückdrängen

03. März 2021, 14:47 Uhr

Die Landtagsfraktion der Grünen will allen Sachsen-Anhaltern eine "Mobilitätsgarantie" geben und den CO2-Ausstoß deutlich senken. Helfen soll ein Paket an Fördermaßnahmen für ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Parken hingegen sollte nach Meinung der Grünen teurer werden. Eine Zusammenfassung der Pläne.

Das Auto soll gegenüber Bus, Bahn und Rad immer unattraktiver, das Angebot für Letztere hingegen ausgeweitet werden. Bildrechte: imago images/Olaf Döring

Geht es nach den Grünen, so sind in Sachsen-Anhalt bald immer weniger Menschen mit dem eigenen Auto unterwegs. Stattdessen sollen wieder stärker Bus, Bahn, Straßenbahn und Rad die Fortbewegungsmittel der Wahl sein – mit einem deutlich verbesserten Angebot. So lässt sich ein neues Papier zusammenfassen, auf das sich die Landtagsfraktion der Partei am Dienstag geeinigt hat. Die Fraktion selbst spricht von einer "Mobilitätsgarantie", die sie gerne allen im Land geben würde.

Derzeit werden landesweit rund 60 Prozent aller Wege mit dem Auto bestritten. Die Grünen würden diesen Teil gerne durch Umstieg auf ÖPNV und Rad um ein Drittel reduzieren – und das binnen der nächsten neun Jahre, also bis 2030. Insgesamt sollen die CO2-Emissionen im Verkehr gesamt im selben Zeitraum um mehr als ein Drittel (35 Prozent) reduziert werden. Unter dem Slogan "Mobilität für alle" soll deshalb gesetzlich festgelegt werden, dass ÖPNV, Radverkehr und Fußgänger im staatlichen Handeln Vorrang haben vor dem Auto. Dafür wäre ein deutlicher Ausbau vor allem des Angebots an Landbussen und Rufbussen bzw. Sammeltaxis notwendig. Zugleich soll die Politik eine "nachhaltige Mobilitätsgarantie" abgeben.

Konkret knüpft das Papier an den sogenannten Sachsen-Anhalt-Takt an, eine Forderung, die sich bereits im Entwurf für das kommende Wahlprogramm der Partei findet. Mindestens einmal pro Stunde soll demnach jeder Ort mit mehr als 1.000 Einwohnenden von Zug, S-Bahn, Straßenbahn, Bus oder Anruf-Sammeltaxi angefahren werden – auch dann, wenn die Nachfrage zunächst gering bleibt. Für kleinere Orte mit mindestens 100 Einwohnern soll der Takt bei zwei Stunden liegen.

Neue Finanzierungsmöglichkeiten für ÖPNV und ein Landesprogramm für Radschnellwege

Was der CSU in Bayern das Flugtaxi ist, ist den Grünen der autonom fahrende Kleinbus. Von künstlicher Intelligenz gesteuert, soll er auch in ländlichen Regionen wie der Altmark die Menschen von einer größeren Haltestelle bis an die eigene Tür bringen. Die bisherige Forschung dazu entwickle sich vielversprechend, heißt es im Papier. Die Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg arbeitet etwa seit Jahren an Projekten zum autonomen Fahren.

Ebenfalls gesetzlich geregelt werden soll, dass Fördergelder für den ÖPNV mindestens dauerhaft an Inflation und Änderungen bei Tarifverträgen angepasst werden. Einer der Knackpunkte des Papiers ist aber ein Modellprojekt, für das noch der willige Landkreis zu suchen ist. Die Grünen wollen dem ÖPNV neben Fördermitteln und Ticketerlösen ein drittes finanzielles Standbein unterstellen. Für ein solches kommen verschiedene Szenarien infrage, etwa auch eine allgemeine Abgabe. Die Fraktion legt sich da aber nicht fest, außer beim zeitlichen Rahmen: Bis 2023 soll das Modellprojekt ausgeschrieben werden.

Die Mittel für den Radwegebau im Land sollen zudem auf 15 Millionen Euro pro Jahr steigen. Der Fraktion schwebt ein eigenes Landesprogramm für Radschnellwege vor. Fahrradwege an Straßen sollen zudem breiter und sicherer werden, Tempo-30-Zonen will man ausweiten. 

Laut Innenministerium starben im Jahr 2019 137 Menschen bei Verkehrsunfällen. 15 von ihnen waren mit dem Rad unterwegs. Die Grünen wollen beide Zahlen gerne auf null drücken.

Parken dürfte teurer werden, neue "klassische" Parkplätze kaum noch hinzukommen

Das Papier listet allerdings nicht nur Maßnahmen, die Bus, Bahn und Rad attraktiver machen sollen. Das eigene Auto soll auch gezielt an Attraktivität verlieren. Denn: Im ländlichen Raum sei das Auto zwar weiterhin notwendig, aber Familien sollten nicht mehr auf ein Zweit- oder gar Dritt-Auto angewiesen sein. Eine ausgemachte Stellschraube dafür ist das Parken. 

Maximal 50 Cent kostet die angefangene Parkstunde in Sachsen-Anhalt derzeit. Während vieles im Land teurer wurde, auch ÖPNV-Tickets, blieb es jahrelang bei dieser Preisgrenze. Öffentlicher Raum werde so "unangemessen entwertet" heißt es im Papier. Der grüne Gegenvorschlag dazu: Sachsen-Anhalts Kommunen können künftig selbst entscheiden, wie viel ein Parkplatz in der Gemeinde kosten soll. Etwaige Mehreinnahmen sollen dann aber wieder in andere Verkehrsarten fließen.

Die Vorgaben für Parkplätze bei Neubauten sollen künftig auch mit Ladesäulen für E-Fahrzeuge, Car-Sharing-Parkplätzen oder sicheren Rad-Abstellplätzen erfüllt werden können. Letztere sollen rund um Haltestellen zudem erheblich ausgebaut werden.

Außerdem sollen staatlich gefördert oder zumindest unterstützt werden: Mitfahrgelegenheiten, E-Bikes und E-Lastenräder, die Gewinnung von Fachkräften für den ÖPNV, Videotelefonie in Unternehmen, aber auch Schulungen zu "ökologischen Fahrweisen im PKW-Bereich" für Landesbedienstete.

Anbindung des ländlichen Raums wird Wahlkampfthema

Die Anbindung gerade des ländlichen Raums dürfte ein zentrales Wahlkampfthema vor der Landtagswahl im Juni werden. Im Vordergrund steht dabei die Frage: Wie kann jeder Sachsen-Anhalter und jede Sachsen-Anhalterin Ärzte, Geschäfte, Ämter und Freizeitmöglichkeiten schnellstmöglich erreichen? Die Grünen würden hier ergänzen: Wie kann er oder sie das möglichst ökologisch tun?

In dieser Woche hat die Grünen-Fraktion auch das Ergebnis einer einjährigen Ideensammlung für eine Aufwertung des ländlichen Raums vorgestellt. Fraktionschefin Cornelia Lüddemann sagte MDR SACHSEN-ANHALT, man dürfe "keine Regionen abschreiben". Stattdessen wolle sie in den großen Städten für das Land werben und auf dem Land wiederum Dorfzentren mit Gemeinschaftsläden, medizinischen Praxisräumen und Co-Working-Angeboten stärken.

Zuerst hatte die "Mitteldeutsche Zeitung" über den Entwurf für das Papier berichtet (€). Lüddemann sagte der Zeitung damals: "Wir wollen nichts mit Zwang durchsetzen." Auch wurde das Papier im Ton nochmal leicht abgeschwächt. In der finalen Version finden sich nun nicht mehr die Formulierungen, vom "aktuellen Trend", dass das Auto als "(männliches) Statussymbol" an Strahlkraft verlieren würde, und vom "Ende der Auto-Zentrierung".

Auch wenn die Fraktion im Papier ein "umfassendes Mobilitätsgesetz" anstrebt, dürfte der Vorstoß vor allem symbolischer Natur sein. Dass die Koalition ein solches noch vor der Landtagswahl im Juni beschließt, gilt als unwahrscheinlich. Das zeigt auch eine erste Reaktion des verkehrspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion, Frank Scheurell. Scheurell nannte die aus dem Entwurf bekannten Vorschläge in einer Pressemitteilung "grüne Großstadt-Ideologie", die "an den Realitäten des ländlichen Raums" vorbeigehe.

Allgemein

Wie kann ÖPNV in Sachsen-Anhalt flächendeckend zu einer Alternative zum Auto werden? Sollen Fernverkehrsstraßen weiter ausgebaut werden? Die Konzepte der Parteien zum Thema "Mobilität" können Sie hier nachlesen.

CDU

Die CDU möchte die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahl der Verkehrsmittel nicht bevormunden. Es sollen aber Anreize für eine möglichst umweltschonende Fortbewegung gesetzt werden. Die Partei will daher etwa die Zahl der neu gebauten Radwege in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Zugleich soll der Autobahn- und Straßenbau weiter vorangetrieben werden. Spätestens 2025 sollen die A14 und die A143 komplett fertiggestellt sein. Darüber hinaus will sich die CDU für einen sechsspurigen Ausbau der A14 auf besonders stark belasteten Abschnitten einsetzen, ebenso für eine Nordverlängerung der A71 von Sangerhausen nach Bernburg. Die Mittel für den Landes- und Kommunalstraßenbau sollen auf jeweils 100 Millionen Euro pro Jahr angehoben werden und danach jährlich steigen. Tempolimits auf den Autobahnen in Sachsen-Anhalt lehnt die CDU ab. Fördern will die Partei Pendlerparkplätze, Pilotprojekte für autonomes Fahren sowie Bus- und Bahnverbindungen insbesondere im ländlichen Raum.

AfD

Die AfD möchte die bestehende Verkehrsinfrastruktur ausbauen und unter anderem Straßen und Brücken schneller als bisher sanieren. Auch für den Radverkehr will die Partei zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Für Lastwagen sollen an den Fernstraßen zusätzliche Parkflächen geschaffen werden. Landesweit will die AfD die Auslastung von Behindertenparkplätzen überprüfen, um etwaige Überkapazitäten abzubauen. Maßnahmen zur Reduzierung des Motoradlärms, zu denen der Bundesrat 2020 die Bundesregierung aufgefordert hatte, lehnt die AfD ab. Ebenso wendet sich die Partei gegen Fördermittel für Lastenräder oder Elektromobilität.

DIE LINKE

Die Linke möchte insbesondere den Umweltverbund fördern, also Fuß- und Radverkehr sowie Carsharing, Bus und Bahn. Einen guten Nahverkehr will die Partei als kommunale Pflichtaufgabe festschreiben und entsprechend mit höheren Landesmitteln finanzieren. Die Nutzung des ÖPNV soll "mittelfristig" kostenlos sein. Kurzfristig möchte die Linke kostengünstige und ganzjährig geltende Schüler-, Azubi, Studierenden- und Sozialtickets durchsetzen. Den Radverkehr will die Partei unter anderem mit höheren Landesmitteln fördern. Außerdem soll die Bewilligung von Fördermitteln für den Straßenbau an den Ausbau von Rad- und Fußwegen geknüpft werden.

SPD

Die SPD möchte, dass der ÖPNV in Sachsen-Anhalt flächendeckend zur vollwertigen Alternative zum Auto wird. Dazu gehört nach Ansicht der Partei auch ein ausgebauter Bahnverkehr. Das Stilllegen von Strecken soll verboten werden, die Reaktivierung von Trassen hingegen geprüft. Acht Prozent aller Straßenbaumittel wollen die Sozialdemokraten für den Radverkehr aufwenden und ein Programm für Radschnellwege auflegen. Bauprojekte an den Autobahnen sollen abgeschlossen und danach der Fokus auf den Erhalt der Infrastruktur gelegt werden.

GRÜNE

Die Grünen wollen den sogenannten Umweltverbund von Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV stärken. Deren Anteil am Gesamtverkehr soll bis 2030 auf 60 Prozent steigen. Um das Ziel zu erreichen, sind Förderprogramme vorgesehen. Unter anderem soll der Kauf von Lastenrädern weiterhin finanziell unterstützt werden. Bei Bus und Bahn soll es nach Vorstellung der Grünen in Sachsen-Anhalt eine "Mobilitätsgarantie" geben. Darunter versteht die Partei, dass jeder Ort mit mehr als 100 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens alle zwei Stunden, mit mehr als 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern jede Stunde mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar ist. Die Einnahmen, um den Umbau und die Förderprogramme finanzieren zu können, wollen die Grünen durch höhere Parkgebühren für Autos generieren.

FDP

Für die FDP sind nach eigenen Angaben alle Formen der Mobilität und alle Antriebsarten gleichwertig. Die Partei spricht sich für den weiteren Ausbau von Fernverkehrsstraßen und anderen Straßen aus. Dabei sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Vom Einreichen bis zur Erteilung der Baugenehmigung soll alles komplett digital möglich sein. Förderprogramme will die FDP vereinfachen und zusammenfassen. Auch das Radwegenetz möchte die Partei ausbauen und dabei ebenfalls Planungs- und Umweltvorschriften vereinfachen. Im Schienenverkehr sollen Nebenstrecken reaktiviert und Bahnhöfe zu "Mobilitätszentren" ausgebaut werden, an denen etwa ausreichend Parkplätze für alle Verkehrsmittel zur Verfügung stehen.

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MDR/Thomas Vorreyer/Ulrich Wittstock

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 02. März 2021 | 13:40 Uhr

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