Interview Politikberater: "Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wird Referendum über Corona-Politik"

17. Januar 2021, 23:11 Uhr

Johannes Hillje ist Experte für Wahlkämpfe. Er hat beobachtet, wie Corona Wahlen verändert und wie Parteien potenzielle Wählerinnen und Wähler jetzt am besten erreichen können. Hillje sagt: "Die Medien müssen sicherzustellen, dass es kein Ein-Thema-Wahlkampf wird." MDR SACHSEN-ANHALT hat mit ihm gesprochen.

Sachsen-Anhalt wählt am 6. Juni 2021 einen neuen Landtag. Erstmals müssen die Menschen im Land unter Corona-Bedingungen abstimmen. Das verändert vieles, weiß der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. Er begleitet Wahlkämpfe beruflich und erklärt im Interview, was wir für die kommenden Monate erwarten dürfen, wie Parteien auf die neue Situation reagieren werden und welche Rolle den Medien jetzt zukommt.

Politikberater Johannes Hillje
Der Politikberater Johannes Hillje sieht die Medien in der Verantwortung: Im Landtagswahlkampf müssen auch andere Themen neben Corona wichtig sein Bildrechte: imago images / IPON

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MDR SACHSEN-ANHALT: Seit Beginn der Corona-Pandemie haben in Deutschland mehrere Wahlen stattgefunden. Wie verändert Corona den Wahlkampf?

Johannes Hillje: Es gibt mindestens drei Entwicklungen. Erstens, die Wahlkampfkommunikation verlagert sich noch stärker vom analogen in den digitalen Raum. Zweitens, der Anteil der Briefwähler und -wählerinnen steigt erheblich an – und das verändert den Zeitplan des Wahlkampfs erheblich. Es gibt dann nicht mehr nur einen Wahltag, den Sonntag, sondern mehrere Wahlwochen. Und drittens, wird Corona natürlich wichtig für die Wahlentscheidung sein. Es wird das zentrale Wahlkampfthema werden.

Was bedeutet das?

Diese Wahl wird ein Referendum über die Politik der Landesregierung. Und das kann im Endergebnis für die Opposition gut oder schlecht sein, je nachdem, wie eben die Bevölkerung die Corona-Politik der Landesregierung dann bewertet. Aber es hat in jedem Fall einen Nachteil für die Opposition:

Wahlkampf ist immer auch ein Kampf um die Themen, die dann im Zentrum der Wahlentscheidung stehen. Und diese Themen können die Oppositionsparteien nicht zu ihren Gunsten verändern, wenn so ein zentrale, alles überstrahlenden Großthema wie die Pandemie im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Johannes Hillje

Sie haben davon gesprochen, dass Wahlkampf stärker digital stattfinden wird. Nun bewerten nicht alle Parteien den Ernst der Lage gleich. Werden wir eine sehr unterschiedliche Wahlkampfführung erleben – digital vs. von Angesicht zu Angesicht –, durch die sich die Parteien voneinander abgrenzen können?

Schauen wir zunächst auf die Positionen der Parteien in der Corona-Politik. Der – in diesem Fall – wesentliche Unterschied besteht zwischen der AfD und den anderen Parteien. Die AfD ist für die Aufhebung aller Schutzmaßnahmen, die anderen Parteien sind grundsätzlich für Schutzmaßnahmen, unterscheiden sich aber in ihren Positionen zu einzelnen Maßnahmen.

Die AfD hat da so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Das kann sie aber nur dann in einen elektoralen Erfolg, sprich: Wählerstimmen, übertragen, wenn es eine ausreichend große Menge an Menschen gibt, die dieser Position zustimmen.

Wir sehen grundsätzlich, dass selbst die AfD-Wählerschaft bundesweit beim Thema Corona gespalten ist – anders als beim Thema Migration. Corona eignet sich deshalb nur bedingt als starkes Mobilisierungsthema. Die AfD wird es sicher nutzen, um gegen die Regierung zu schießen. Aber ihre Anhängerschaft ist bei Fragen wie 'Wie gefährlich ist dieser Virus?', 'Sollen Maßnahmen ergriffen werden oder nicht?' viel gespaltener, als sich das die Partei wünscht.

Johannes Hillje

Das ist unser Experte

Johannes Hillje machte sich 2014 als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel selbstständig. Der studierte Publizist und Politikwissenschaftler war zuvor u.a. als Journalist beim ZDF und später als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei während der Europawahlen 2014 tätig. Als Berater hat er schon für die SPD, die Grünen, das Auswärtige Amt, zahlreiche Bundesministerien und Stiftungen sowie für den DGB und den NABU gearbeitet.

Und der digitale Wahlkampf, wie sah der bei den Wahlen der letzten Monate aus?

Weil physische Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr in dem Maße wie unter Normalbedingungen möglich sind, hat der Digital-Wahlkampf mehr als ohnehin schon an Bedeutung gewonnen. Die Parteien haben dort also mehr Ressourcen investiert. Die hatten sie wiederum, weil sie zum Beispiel keine großen Hallen mieten konnten für analoge Veranstaltungen.

Der Digital-Wahlkampf hat die Schwäche, dass er keine physische Begegnung von Politikern und Bürgern ermöglicht. Wir wissen aber aus der Wahlkampfforschung, dass eine Kandidatin einen Wähler oder eine Wählerin im physischen, direkten, persönlichen Gespräch am effektivsten überzeugen kann. Digitaler Wahlkampf muss diesen persönlichen Kontakt zwischen Partei und Wählerschaft auf eine andere Art und Weise ermöglichen.

Johannes Hillje

Da gibt mittlerweile auch vielfältige Formate, nicht nur auf den "Social Media"-Plattformen: Messenger-Apps wie WhatsApp oder Telegram werden jetzt verstärkt genutzt. Sie haben den Vorteil, dass man dort direkt eine Pushmeldung auf sein Smartphone bekommt.

Da sind auch Ideen gefragt. Welche innovative Wahlwerbung ist Ihnen zuletzt aufgefallen?

Wahlkampf ist vor allem dann effektiv, wenn er vom Plakat bis zum Social-Media-Post eine einheitliche Botschaft vermittelt. In Dänemark gab es Wahlplakate, die gesprochen haben. Wenn die Bürgerin oder der Bürger sein oder ihr Smartphone vor das Plakat gehalten hat, wurde dieses dank Augmented Reality zum Leben erweckt: Der Kandidat auf dem Plakat sprach zu einem. Solche Verbindungen zwischen analogem und digitalem Wahlkampf halte ich für sehr erfolgsversprechend – als Ergänzung zur direkten Kommunikation.

Leider waren Landtagswahlkämpfe bislang aus Kosten- und Ressourcengründen eher keine Innovationstreiber.

Johannes Hillje

Welche Gruppen von Menschen bleiben außen vor, wenn sich der Wahlkampf derart verlagert?

90 Prozent der Deutschen nutzen mittlerweile das Internet. Aber insbesondere die höheren Altersklasse finden sich seltener auf Social-Media-Plattformen. Für sie ist die Reduzierung physischer Veranstaltungen und Begegnungen in jedem Fall ein Problem – sei es der Wahlkampfstand auf dem Marktplatz, sei es das Haustürgespräch. Dort wurden relevante Wählergruppen erreicht und eben auch die Wählergruppen, die über andere Kanäle vielleicht nicht so effektiv erreicht werden können.

Deswegen müssen Parteien hier Strategien entwickeln, wie sie diese physischen Begegnungen mit bestimmten Wählergruppen kompensieren können. Und es gibt natürlich andere Medienformate wie die Zeitung, das Fernsehen, das Radio, über die man auch diese Zielgruppen noch erreichen kann.

Lassen Sie uns über die Rolle der Medien sprechen. Welche Aufgabe fällt Berichtenden unter diesen Bedingungen zu?

Der Journalismus hat eine ganz bestimmte Rolle in Wahlkämpfen: die unabhängige Einordnung. Er stellt die Positionen aller Parteien nebeneinander, vergleicht diese, befragt Experten zur Bilanz der Regierung.

Natürlich ist die Pandemie eine Herausforderung für den Journalismus. Es war – für Bürgerinnen und Bürger genauso wie für Journalistinnen und Journalisten – nicht immer einfach zu beurteilen, ob jetzt eine Maßnahme der Landes- oder Bundesregierung eigentlich sinnvoll ist in der Bekämpfung der Pandemie oder nicht. Man war selber sehr stark auf externe Experten angewiesen. Da wurden Lernprozesse durchgemacht.

Andererseits haben wir in der Pandemie eine besondere Hinwendung zu den etablierten Medien erlebt, speziell zu den öffentlich-rechtlichen Medien. Das war eine Art Vertrauensbeweis der Bevölkerung, dass man eben bei seriösen, etablierten Medien Orientierung gesucht hat.

Wenn Corona das zentrale Wahlkampfthema ist, was ist dann mit den vielen anderen wichtigen Themen, gehen die unter?

Die Medien müssen sicherstellen, dass es kein Ein-Thema-Wahlkampf wird. Corona ist für das Jetzt und Heute natürlich unglaublich einflussreich. Aber diese Pandemie wird auch zu Ende gehen, hoffentlich beschleunigt durch den Impfstoff. Und dann werden all die Themen, die vorher schon da waren und durch Corona nicht weggegangen sind, wieder eine größere Rolle spielen.

Johannes Hillje

Themen, die von Corona in den Hintergrund gerückt wurden, zum Beispiel die Klimapolitik, die Verteidigungspolitik, die Sicherheitspolitik, soziale Gerechtigkeit muss die Politik dann mit Lösungen beantworten. Und Medien müssen diese Lösungsansätze der Parteien zur Debatte stellen und in den Vordergrund des Wahlkampfs neben Corona rücken, damit es eben nicht nur ein Referendum über die Corona-Politik ist. Ein solches wäre ein Blick in die Vergangenheit – und nicht unbedingt ein Blick nach vorne zu den Themen, die in den nächsten fünf bis zehn sogar 20 Jahren unsere Gesellschaft mit prägen werden und eine große Herausforderung darstellen werden.

Auch wenn der Trend zuletzt positiv war: Sachsen-Anhalt hat einige Landtagswahlen mit niedriger Wahlbeteiligung erlebt. Wie wird sich Corona auf diese auswirken?

Die Pandemie hat die Gesellschaft politisiert. Das sind in der Regel gute Voraussetzungen für die Wahlbeteiligung, weil die Politisierung, das Nachdenken über politische Themen eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass Menschen sich überhaupt für Wahlen interessieren und an diesen teilnehmen.

Johannes Hillje

Zur selben Zeit wollen einige Menschen aus Gründen des Infektionsschutzes kein Wahllokal betreten, was nachvollziehbar ist. Diese Menschen steigen dann aber auch nicht unbedingt auf die Briefwahl um, weil auch das an Voraussetzungen geknüpft ist. Man muss die Unterlagen erst anfordern, das machen nicht alle. Ich rechne deswegen nicht mit einer sinkenden Wahlbeteiligung, aber auch nicht mit einer signifikanten Steigerung.

Dieses Interview ist im Rahmen unseres neuen wöchentlichen Newsletters zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt entstanden. Dieser erscheint von nun an jeden Freitagabend und bietet Ihnen eine Übersicht über die wichtigsten Entwicklungen rund um die Wahl im Juni. Nachfolgend können Sie ihn abonnieren.

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Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Quelle: MDR/tv

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 15. Januar 2021 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

DermbacherIn am 16.01.2021

Grundsätzlich geht man davon aus, dass Posten nach Eignung und Qualifikation besetzt werden. Dies ist besonders in fachspezifischen Bereichen von Vorteil.
Bei politischen Posten geht es aber eher um strategische Ausrichtung, Weichenstellungen für die Zukunft. Grundsätzlich wäre auch hier ein gewisses Verständnis für die Materie gut. Minister haben in der Regel für den fachlichen Input und die Umsetzung der Strategie die Mitarbeiter ihrer Häuser, die sich um die "profanen" Aspekte kümmern.
Werden Schlüsselpositionen nur mit Leuten besetzt, deren einzige Daseinsberechtigung absolute Loyalität ist, so werden diese wohl kaum emanzipierte Persönlichkeiten sein, die vor Innovation und Tatendrang strotzend Leuchtturmprojekte verwirklichen.

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