Bordsteinstreit Calvörde
Viele Probleme: Die Anwohner von Calvörde sind mit dem Straßenausbau nicht zufrieden. Bildrechte: Max Hensch

Straßenausbau Der Bordsteinstreit von Calvörde

10. Juni 2023, 12:02 Uhr

Rund 600 Meter ist die Velsdorfer Straße im Norden von Calvörde lang, sie führt vom beschaulichen Stadtzentrum in Richtung des Mittellandkanals. Feuerwehr, Friedhof und einige Dutzend Eigenheime sind hier zu finden. Eine neue Straße macht also Sinn – nur die Menschen, die hier wohnen, sind mit dem Ergebnis der Bauarbeiten nicht zufrieden.

Max Hensch Reporter MDR SACHSEN-ANHALT
Bildrechte: MDR/André Plaul

Der Reihe nach: Die Sanierung der Velsdorfer Straße war schon mehr als zehn Jahre geplant. Der Landkreis Börde erneuert die Fahrbahn; die Nebenanlagen, wie Regenrinnen, Gräben oder Beleuchtung die Verbandsgemeinde Flechtingen. Die hat dafür mehrfach Kredite aufgenommen. Noch im Sommer soll die Straße frei gegeben werden. Aktueller Kostenpunkt für die Flechtinger Kasse: 1,2 Millionen Euro. Zudem wird Glasfaser in der Straße verlegt. Was eigentlich eine gute Sache sein sollte, wird für Bewohner zum Streitfall. Sie klagen.

Der Ärger der Anwohner mit dem Bauvorhaben dreht sich unter anderem um die Frage: Gab es vor den Bauarbeiten einen Gehweg in der Straße oder nicht? Ist dem nicht so, müssten die Anwohner für eine Erschließung zahlen. Beträge bis in den fünfstelligen Bereich würden fällig werden. Es handelt sich dann nicht mehr um die abgeschafften Straßenausbaubeiträge, sondern um einen Neubau, also einen Erschließungsbeitrag.

Gab es schon einen Fußweg?

Kurz vor den Bauarbeiten war entlang der Straße noch ein Trampelpfad zu erkennen. Schlecht gepflegt durch die Gemeinde, sagen die Anwohner. Sie sprachen mehrfach in Ausschuss- und Ratssitzungen vor, zeigten Bild- und Videomaterial von früher. Zu sehen sind unbefestigte Sandwege oder Schotterstreifen neben dem Bordstein der alten Straße.

Ein Anwohner moniert, dass in den neu angelegten Gräben deutlich die Schotterdecke eines ehemaligen Weges zu sehen sei. Nachbar Martin Lellau ergänzt, seine Gäste hätten in der Vergangenheit Strafzettel für das "Parken auf Gehwegen erhalten", als sie ihre Autos am Trampelpfad geparkt hatten. Hierauf antwortet die Verbandsgemeinde nicht. In einem schriftlichen Statement an den MDR äußert sie sich allerdings zu den Erschließungsbeiträgen – Maßstab für die Gebührenerhebung war demnach der Ausbauzustand vor mehr als 30 Jahren:

Gemäß den uns vorliegenden Unterlagen waren die Nebenanlagen in Calvörde um 1990 überwiegend in Gehwegplatten aus Beton oder einer wassergebundenen Schotterdecke befestigt. Laut Prüfung waren die Nebenanlagen der Velsdorfer Straße nicht in solch einer Form und auch nicht auf ganzer Länge ausgebildet.

Verbandsgemeinde Calvörde

Auch ein Gutachter hatte dies bestätigt. Ein Grundstückseigentümer muss nach Angaben seiner Nachbarn mehrere Zehntausend Euro zahlen, deshalb habe er sein Grundstück mit einem sanierungsbedürftigen Haus verkauft.

Die Gesamtsumme, die die Anwohner tragen müssten, wenn ihre Klage scheitert, liegt wohl jenseits von 178.000 Euro. Damit hatte die Verbandsgemeinde noch im September kalkuliert. Aktuelle Angaben will sie aufgrund des laufenden Verfahrens nicht machen. 

Sorgen hören nicht beim Geld auf

Die Verbandsgemeinde unterstreicht in ihren Antworten auf MDR-Anfragen, die Anwohner zweimal auf Bürgerversammlungen über die Planungen informiert und Anregungen berücksichtigt zu haben. Die Anlieger der Velsdorfer Straße zeichnen ein anderes Bild. Sie fühlen sich übergangen und nicht ernst genommen. Viele Anregungen seien an der Verwaltung abgeperlt. "Man hat sich nicht um die Sorgen der Anwohner gekümmert", sagt eine von ihnen, Anna May.

Denn die Sorgen der Anwohner hören nicht bei Erschließungsbeiträgen auf. Durch die neue Regenwasserkanalisation sind Straße und Bordstein deutlich erhöht worden. Deshalb fallen Ein- und Ausfahrten der Grundstücke nun wesentlich steiler aus als zuvor. Auch hier ist Martin Lellau betroffen: "Die Einfahrt ist jetzt so extrem steil, dass man mit einem normalen Auto aufsetzt. Meine Eltern bekommen ihren Wohnwagen gar nicht mehr raus."

Kosten für resultierende Umbauten auf ihrem eigenen Grund und Boden tragen die Anwohner nach eigenen Angaben selbst. Übrigens auch, wenn Martin Lellau wieder einen befestigten Weg vor seinem Gartentor haben will. Denn vor dem Tor liegt nun der neue Entwässerungsgraben – "das hat der Planer angeblich übersehen." Die Querung zur Garage will er nicht bezahlen.

Bordsteinstreit Calvörde
Die Velsdorfer Straße im Norden von Calvörde wird zum Streitobjekt. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE

Barriefreie Bushaltestelle sorgt für neue Barriere

Nur wenige Meter weiter: Das Rentnerehepaar May, beide Dialyse-Patienten, hat nun an der Grundstückstür eine dreistufige Treppe. Von dort aus mit den Fahrrädern zu starten, ist für beide ein Kraftakt. Die neue Barriere für das Rentnerpaar hat übrigens den Grund, dass die Bushaltestelle vor dem Haus nun höher und somit barrierefrei angelegt ist. Tochter Anna sorgt sich um die Mobilität ihrer Eltern im Alter. Auch Kompromissvorschläge der Verbandsgemeinde, wie ein Geländer oder Schienen, hält sie nicht für zielführend.

Bordsteinstreit Calvörde
Durch die neue barrierefreie Bushaltestelle entstehen andere Barrieren. Bildrechte: Max Hensch

Ähnliche Beispiele finden sich viele in der Velsdorfer Straße. Von schief geplanten Carport-Einfahrten über Zufahrten, die nicht auf voller Länge gepflastert wurden bis hin zu Zweifel an der Entwässerung bei Starkregen. Fast jeder Anwohner hat hier etwas auf dem Herzen. Neben den Anwälten, die bereits mit den Erschließungsbeiträgen befasst sind, wollen sich die Anwohner der Velsdorfer Straße in Calvörde nun an die Bauaufsicht wenden.

MDR (Max Hensch, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 09. Juni 2023 | 19:00 Uhr

5 Kommentare

Ein Dorfjunge vor 45 Wochen

Und die nächste Gemeinde, die meint sie wäre bei der Suche nach Schlupflöchern schlauer als alle anderen. Doch Calvörde vergisst dabei dass dies zu einen bösen Bummerang werden wird und weder die Kommunalaufsicht noch die Gerichte zu Späßen aufgelegt sind, wenn krampfhaft (aus nachvollziehbaren Gründen) versucht wird irgendwie das neue Gesetz zu umgehen, das kann und wird sehr teuer für Calvörde.

Nur bei der Haltestelle sind die Regeln und Gesetze auf Seite der Gemeinde und das ist auch gut so, denn die Barrierefreiheit im ÖPNV ist seit einem Jahr gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt aber auch Fördermittel mit denen der Umbau bezahlt wird. Doch hier wäre es schon besser, es hätte mehr Absprachen mit den Anwohnern gegeben um eine baulich bessere Lösungen (z.B. Rampe) zu finden.

Mich würde aber mal interessieren, ob es dort schon immer eine Haltestelle gab, denn dann gab es ja schon vorher eine Trennung Straße-Gehweg.

Erichs Rache vor 45 Wochen

"Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?"

wuff vor 45 Wochen

Das hab ich schon oft gesehen, hätte man einmal nach gemessen, wäre diese unmögliche Höhe der Strasse auffallen müssen. Die Barrierefreiheit sollte eigentlich auch beim Strassenbau gelten, gerade bei privaten Grundstücken.

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