Sanierungsplan steht Fleischerei aus Magdeburg – Warum Delikata trotz Insolvenz optimistisch in die Zukunft blickt
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02. September 2024, 12:54 Uhr
Die traditionsreiche Magdeburger Fleischerei "Delikata" hat im April dieses Jahres Insolvenz angemeldet. Das passte ins Bild, denn Statistiken zufolge gehen immer mehr Unternehmen in Sachsen-Anhalt pleite, zumindest im Vergleich zum Vorjahr. Doch so bedrohlich wie es scheint, ist die Lage laut Experten keineswegs. "Delikata" darf auf eine Rettung hoffen – auch dank einem der bekanntesten Insolvenzverwalter Deutschlands.
- Die Zahl der Insolvenzanträge von Unternehmen ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 25 Prozent gestiegen.
- Auch die Magdeburger Traditionsfleischerei Delikata musste Insolvenz anmelden. Insolvenzverwalter Lucas Flöther aus Halle übernahm.
- Die Mitarbeitenden haben inzwischen wieder Hoffnung. Der Sanierungsplan steht. Eine Rettung ist in Sicht.
Der Geruch erinnert Lucas Flöther an seine erste Pleite. 1999 war das. Eine kleine Fleischerei aus Hettstedt steckte in finanziellen Problemen. Flöther, mit damals 25 Jahren jüngster Insolvenzverwalter Deutschlands, übernahm den Fall. Und: "Da roch es genau so wie hier", sagt der 50-Jährige und lächelt.
Lucas Flöther lächelt oft. Vor allem für einen, der immer dann erscheint, wenn Existenzen bedroht sind – oder vielleicht gerade deshalb, denn: "Insolvenzverwalter gucken immer nur nach vorne, das zeichnet sie aus." Die große Frage sei: "Wie kann ich die Werkzeuge des Insolvenzrechts so einsetzen, dass ich das Unternehmen so gesund, die Braut so schön machen kann, dass ich einen Investor finde oder es anderweitig retten kann?"
Flöther – gebürtig aus Leipzig, beheimatet in Halle – steht vor dem Werksverkauf von Delikata nahe Magdeburg. Ein Fleischereibetrieb wie damals. Eine Insolvenz wie damals. Es riecht nach Wurst. "Der Schornstein raucht. Es wird Wurst und Fleisch verarbeitet. Die Lieferanten halten die Stange. Die Kunden sind weiterhin treu", sagt Flöther. "Deshalb sehe ich gute Chancen, das Unternehmen über einen Insolvenzplan zu erhalten."
Pleitewelle in Sachsen-Anhalt? "Mit diesem Begriff wäre ich vorsichtig"
Immer mehr Unternehmen in Sachsen-Anhalt melden Insolvenz an. Das teilte das Statistische Landesamt kürzlich mit. Demnach sei die Zahl der Insolvenzanträge von Unternehmen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 25 Prozent gestiegen. Von einer "Pleitewelle" geht er dennoch nicht aus.
"Mit diesem Begriff wäre ich vorsichtig, denn: Mit welchen Zahlen vergleichen wir das?", gibt Lucas Flöther zu bedenken. "Oftmals wird das mit den Zahlen aus der Corona-Pandemie oder der Zeit direkt danach verglichen. Da gab es aber praktisch keine Insolvenzanmeldungen. Der Gesetzgeber hatte die Insolvenzanmeldepflicht ausgesetzt. Deshalb gibt es jetzt bei Unternehmen, denen es schon damals schlecht ging, einen gewissen Nachholeffekt."
Der Insolvenzverwalter bestätigt damit die Einschätzung von Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Müller sagte MDR SACHSEN-ANHALT, er sorge sich vergleichsweise wenig um Sachsen-Anhalt. Denn: "Sachsen-Anhalt hat im Bundesvergleich sehr wenige Unternehmensinsolvenzen pro Einwohner." Und: "Wir sehen bei den Frühindikatoren keine auffälligen Werte. Deswegen denke ich nicht, dass die Insolvenzen in den nächsten zwei, drei, vier Monaten durch die Decke gehen werden."
Auch das Wirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT: "Gegenwärtig lässt sich noch nicht beurteilen, ob es sich bei der aktuellen Entwicklung um einen Trend oder eine Normalisierung des Insolvenzgeschehens handelt."
Delikata: "Der Schritt in die Insolvenz war ein schwerer"
Trotzdem: Es gibt aktuelle Härtefälle. Lucas Flöther hat solche in seiner mittlerweile 25-jährigen Laufbahn als Insolvenzverwalter und Sanierungsexperte oft erlebt. Der Hallenser gilt als einer der bekanntesten und renommiertesten Männer seines Fachs in ganz Deutschland. Flöther sollte Air Berlin retten, war bei MIFA, Mäc-Geiz oder der Unister-Gruppe als Insolvenzverwalter tätig.
Nun also Delikata. "Die Zusammenarbeit mit Professor Flöther und seinem Team empfinden wir als extrem angenehm. Wir haben das Gefühl, dass wir gegenseitig an einem Strang ziehen", sagt Dirk Cuno, einer von zwei Geschäftsführern bei Delikata.
Ihm gegenüber sitzt Kai Gründel, der zweite Geschäftsführer des Unternehmens, und nickt: "Der Schritt in die Insolvenz war ein schwerer, der uns schlaflose Nächte bereitet hat. Auch die Betroffenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war groß", sagt er, aber: "Die Sanierungsmaßnahmen greifen inzwischen und wir sind optimistisch, dass es Anfang des Jahres ohne Insolvenzverwalter für uns weitergeht."
Delikata-Geschäftsführer mit dem Unternehmen groß geworden
Fünf Filialen wurden geschlossen. Ein Teil der Mitarbeitenden wurde vom Nachfolge-Betrieb übernommen. 17 Angestellten musste Delikata dennoch kündigen. "Das waren Kollegen, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, die immer pünktlich waren", blickt Geschäftsführer Dirk Cuno zurück. "Das war extrem schwierig für uns."
Dirk Cuno, seit 1992 im Unternehmen, und Kai Gründel, seit 1985 dabei, leben Delikata. "Ich bin mit dem Unternehmen groß geworden", sagt der 58 Jahre alte Cuno. "Mein Großvater hat es einst gegründet, mein Vater war vor uns einer von zwei Geschäftsführern."
Umso schwerer sei der Schritt in die Insolvenz gewesen, denn: "Es ist ein sehr bedrückendes und extrem unangenehmes Gefühl, weil einem letztendlich bewusst wird, dass man den wirtschaftlichen Anforderungen nicht gerecht wird und nicht in der Lage war, ohne eine Insolvenz das Unternehmen vernünftig weiterzuführen", sagt Cuno. "Das bewegt einen persönlich sehr."
Zuversicht bei Delikata-Mitarbeitenden
Auch Karolin Funk gibt zu, dass die vergangenen Monate nicht immer leicht waren. Sie packt gerade Schinken in die Vakuumverpackung und sagt: "Als ich das mit der Insolvenz gehört habe, ging es mir erst mal sehr schlecht damit, weil ich glücklich in der Firma bin." Der Zukunft sehe sie inzwischen aber ebenfalls optimistisch entgegen: "Wir ziehen alle an einem Strang und hoffen das Beste", sagt sie. "Sicherlich ist es noch eine Belastung, weil wir nicht wissen, wie es weitergeht – aber wir sind ja zuversichtlich."
Dustin, der seinen Nachnamen nicht verraten will, befüllt gerade einen Wurstdarm und nickt: "Die ersten Tage war große Ungewissheit da, weil wir nicht wussten: Geht es weiter? Und wenn ja: Wie geht es weiter?" Er habe in dem Unternehmen gelernt, arbeite seit 2012 bei Delikata. "Ich war schon geschockt", sagt er, aber: "Als der Insolvenzverwalter kam, waren wir auch froh, weil damit die Botschaft verbunden war, dass das Unternehmen gerettet werden soll. Das ist auch mein Wunsch. Ich will hier ja weiterarbeiten."
Das waren die Gründe für die Insolvenz von Delikata
40 Mitarbeitende sind dem Unternehmen von ursprünglich 74 noch geblieben, genau wie vier Filialen. Warum es überhaupt zur Insolvenz kam? "Schon vor zwei Jahren sind die Materialpreise enorm gestiegen", erzählt Dirk Cuno. "Dann haben sich zu Beginn des Jahres 2023 die Mindestlohnpreise deutlich erhöht. Das waren noch kalkulierbare Größen. Nicht mehr kalkulierbar waren dann aber die plötzlich gestiegenen Energiekosten aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine und die damit einhergehenden Preissteigerungen bei Bedarfsmitteln wie zum Beispiel das Verpackungsmaterial. Alles wurde sprunghaft um teilweise 200 Prozent teurer."
Zu Beginn dieses Jahres seien dann auch noch Energie-Rückzahlungen dazu gekommen. "Letztendlich hat das alles dazu geführt, dass wir feststellen mussten, dass wir so nicht weiterarbeiten können", sagt Cuno. Am 10. April reichte Delikata den Insolvenzantrag ein. "Mit der Insolvenzverwaltung von Herrn Flöther haben wir dann erst versucht, Partner-Unternehmen zu suchen und auch erwogen, das Unternehmen komplett zu verkaufen."
Sanierungsplan statt Verkauf von Delikata
Mangels Angeboten sei stattdessen aber ein Sanierungsplan aufgestellt wurden, "sodass wir mit deutlich verkleinerten und angepassten Kosten selbstständig weitermachen können", sagt Cuno. Und: "Jetzt sind wir optimistisch, dass wir das Unternehmen retten und die Tradition erhalten können." Delikata war 1962 als Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) gegründet worden. Zu DDR-Zeiten hatte das Unternehmen 28 Filialen mit 220 Beschäftigten, Mitte der Neunziger noch 21 Filialen mit 180 Mitarbeitern.
Lucas Flöther verabschiedet sich – noch nicht generell von Delikata, aber für diesen Tag. "Retten um jeden Preis geht nicht", sagt der Insolvenzverwalter zum Abschied. "Du kannst nur Unternehmen retten, die einen gesunden Kern haben. Ansonsten würde man Zombie-Unternehmen kreieren." Delikata dürfte kein solches werden: "Wir haben versucht, das Unternehmen so zuzuschneiden, dass es mit dem gesunden Kern, der jetzt übrig bleibt, überleben kann." Flöther lächelt. Die Chancen für Delikata stehen gut.
MDR (Daniel George), zuerst veröffentlicht am 01.09.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 01. September 2024 | 19:00 Uhr
pwsksk vor 5 Wochen
"Deshalb sehe ich gute Chancen, das Unternehmen über einen Insolvenzplan zu erhalten."
Und, das heißt jetzt was?
Kenne ich aus eigener Erfahrung.
Ein neuer Geldgeber (Unternehmer und Bürgschaften) wird gesucht, einige Mitarbeiter dürfen evtl. gehen, die bisherigen Zahlungsausstände an die alten Lieferanten (machen Näse) werden auf Null gesetzt...
Bis in 2 Jahren dann wiederholt wird oder auch nicht.
Die Lebensläufe von Unternehmern interessieren dabei herzlich wenig.
Peter vor 5 Wochen
Was jetzt, Insolvenz heißt noch lange nicht Schließung und Arbeitslosigkeit? Das müssen so manche Herrschaften noch lernen. Danke deshalb für den Artikel zu Delikata.
pwsksk vor 5 Wochen
@Daniel, heute mal falsch geträumt? Gehen sie erst einmal in ihre Spät- oder Nachtschicht und überlegen sie nochmal.
Es läuft gerade so, wie @Shantuma es beschrieben hat. Und ihre CNC Maschine gibt's in ein paar Jahren nur noch für Granathülsen.