200 Jahre späterWernigeröder wandert "Harzreise" nach: "Heine war auch müde, als er auf dem Brocken ankam"
Vor 200 Jahren wanderte der damals noch unbekannte Student Heinrich Heine durch den Harz. Daraus entstand sein Werk "Die Harzreise", die seinen literarischen Durchbruch kennzeichnete. Zum 200. Jubiläum dieser Wanderung ist der Wernigeröder Michael Lütje auf Heines Spuren unterwegs, verkleidet als Heinrich Heine.
- Im September 1824 ist Heinrich Heine durch den Harz gewandert.
- 200 Jahre später wandert Michael Lütje auf den Spuren des Dichters.
- Er will nachempfinden, was Heine damals erlebt hat.
"Müde, ich bin wirklich müde". Michael Lütje wirkt geschafft. Es ist ein sonniger warmer Nachmittag, und er hat gerade den Brockengipfel erstiegen, bekleidet mit Baumwollhosen und einer warmen Jacke aus Samt. "Heine war auch müde, als er auf dem Brocken ankam", sagt Lütje und lächelt. Der 60 Jahre alte Wanderfan, der als Mitarbeiter der Kommunalen Beschäftigungsagentur (Koba) vor Jahren das Konzept der Harzer Wandernadel entwickelte, wandelt nun auf Poetenspuren. Er wandert Heines Harzreise nach.
"Auf die Berge will ich steigen, Wo die frommen Hütten stehen…" So dichtet Heinrich Heine in seiner "Harzreise". Die erschien im Jahr 1826. Sie sei in ihrer Kombination aus romantischen Naturschilderungen und bissigen kritischen Kommentaren damals etwas ganz Neues gewesen, sagt der Wernigeröder Historiker Uwe Lagatz, der eine Heine-Ausstellung im Harzmuseum in Wernigerode mitgestaltet hat. In seiner "Harzreise" verarbeitet Heine seine Eindrücke, die er zwei Jahre zuvor auf einer Wanderung durch das Mittelgebirge gesammelt hatte.
Heinrich Heine wandert vor 200 Jahren durch den Harz
Im September 1824 unternahm Heine seine Wanderung. Er studierte an der Universität in Göttingen. Unter den dortigen Studenten sei es damals absolut üblich gewesen, mehrtägige Wanderungen durch den Harz zu unternehmen, so Historiker Lagatz. Hinzu kam, dass sein Arzt ihm wegen oft auftretender Kopfschmerzen viel frisch Luft empfohlen hatte und dass Heine wohl auch seines Studiums der Rechtswissenschaften überdrüssig war.
Heine startete am 13. oder 14. September in Göttingen. Die Route verlief von Göttingen über Osterode, Clausthal und Goslar hinauf auf den Brocken, dann über Ilsenburg und Wernigerode nach Elbingerode und Rübeland. Über Eisleben, Weimar, Eisenach und Kassel ging es dann zurück nach Göttingen. Am Ende hatte Heine innerhalb eines Monats über 500 Kilometer zurückgelegt.
Start der Tour: "Englischer Hof" in Herzberg
Heines erste Etappe führte ihn über Nörten und Northeim nach Osterode am Harz. Nach über 40 Kilometern kam er damals in "pechdunkler" Nacht an. Er übernachtete am Kornmarkt im Hotel "Englischer Hof". Genau hier beginnt Michael Lütje seine Tour. Ein Bronzeschild erinnert an das früher hier stehende Hotel und daran, dass hier Heine einst nächtigte.
Von Osterode wanderte Heine nach Clausthal-Zellerfeld, das damals nur Clausthal hieß. Hier ist mit Datum 16. September 1824 sein Besuch in einem Bergwerk registriert. In der "Krone" aß er "frühlingsgrüne Petersiliensuppe, veilchenblauen Kohl" und Fisch, einen Bückling, "Bücking", wie er selbst schreibt.
Wandern auf Heines Spuren – mit Zylinder und Samtjacke
200 Jahre später macht all das auch Michael Lütje. Er will nachempfinden, was Heine einst bewegt haben mag. Und wirklich: So wie einst Heinrich Heine bricht auch Michael Lütje möglichst früh auf zu seinen Tagesetappen. Heine bewunderte Morgennebel und auch Lütje staunt über solche Naturphänomene.
Und: Michael Lütje wandert nicht einfach nur Heines Route nach. Er wandert sie in historischer Kleidung, in solcher, wie sie Heine laut Beschreibung eines Zeitgenossen getragen haben soll. So ist Lütje zweihundert Jahre später in gelben knielangen Tuchhosen unterwegs. Er trägt ein weißes Hemd, eine dunkle Weste und eine braune Jacke aus schwerem Samt sowie einen Zylinder auf dem Kopf. Eine schweißtreibende Angelegenheit sei das, findet der Wernigeröder schon am ersten Tag. Erst recht ist das nach der Tour auf den Brockengipfel der Fall. Da wisse man die Vorzüge moderner Funktionskleidung zu schätzen, sagt Lütje.
Doch der historische Aufzug macht Eindruck. Immer wieder sprechen den Heine-Wanderer unterwegs Menschen an. Viele würden gleich auf Heine zu sprechen kommen, einige würden ihn sogar direkt als Herrn Heine anreden, so Lütje. Für ihn ist das der Beweis, dass Heines "Harzreise" heute noch – zumindest in den Köpfen von Wanderern – präsent ist.
Übernachtung auf dem Brocken
Heinrich Heine übernachtete am 20. September 1826 beim Brockenwirt. Den Reim von den müden Beinen schrieb er wohl nicht, stattdessen aber: "Ich fand das Haus voller Gäste". Den Sonnenaufgang hat er von einem Aussichtsturm aus beobachtet. Auch 200 Jahre später übernachtet der Heine von heute auf dem Brocken und auch ihm ist am anderen Morgen der Wettergott wohlgesonnen. Es herrscht Inversionswetterlage: Der Gipfel erstrahlt im Sonnenschein, darunter liegt ein Wolkenmeer. "Gigantisch schön" und "absolut genial", entfährt es Lütje spontan. Dann geht es weiter Richtung Ilsenburg.
Heine bezeichnete das durch Ilsenburg fließende Flüsschen Ilse als lieblich. "Das ist nun die Ilse, die liebliche, süße Ilse", schreibt er in der "Harzreise". Kurz vor Ilsenburg kletterte Heine auf den Ilsestein und dichtete romantisch: "Ich bin die Prinzessin Ilse, Und wohne im Ilsenstein; Komm mit nach meinem Schlosse, Wir wollen selig seyn".
160 Kilometer Wanderung durch den Harz
Auch Michael Lütje will unbedingt rauf auf den Ilsestein – nachfühlen, was vor 200 Jahren Heinrich Heine auf seiner Harzwanderung empfunden hat. Dann wird er weiterwandern, über Ilsenburg und Wernigerode nach Elbingerode und dann nach Rübeland und zur Rosstrappe. Am Ende wird Michael Lütje 160 Kilometer gewandert sein – auf der Route, die vor 200 Jahren Heinrich Heine gegangen ist.
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MDR (Carsten Reuß, Fabienne von der Eltz)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. September 2024 | 19:00 Uhr
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