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Langenstein-ZwiebergeNachkommen von KZ-Überlebenden fordern Erweiterung von ehemaligem KZ-Stollen

19. September 2024, 16:00 Uhr

Die Enkel und Kinder der ehemaligen Häftlinge kritisieren die Privatisierung eines ehemaligen KZ-Stollens bei Halberstadt und fordern eine Erweiterung des Stollens. Ein sächsischer Investor kaufte die Stollen-Anlage, in der mehr als 2.000 Menschen im Nationalsozialismus durch Zwangsarbeit umkamen und plant darin eine Bunker-Anlage. Das Land Sachsen-Anhalt entschied sich dagegen, das Areal zu kaufen.

von Lars Frohmüller, Katharina Gebauer, Ulf Kalkreuth

Am Mittwoch kamen Vertreter der Angehörigen der Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers (KZ) Langenstein-Zwieberge nahe Halberstadt mit Vertretern des Landes in der Gedenkstätte des KZ zusammen. Anfang Juli hatte der Sohn des bereits verstorbenen ehemaligen Gefangenen, Louis Bertrand, Jean-Louis Bertrand in einem offenen Brief um ein Gespräch mit den Verantwortlichen des Landes gebeten. Er wollte über die Zukunft des wichtigen Gedenk-Ortes zu sprechen.

Die Stollen-Anlage befindet sich seit 2022 in Privatbesitz eines sächsischen Investors. Bertrand kritisiert, das Land hätte die Anlage erwerben sollen: "Ich wollte das Land dazu motivieren, den Stollen in öffentliche Hand zu überführen. Das ist derzeit noch keine Priorität, aber zukünftig eine Möglichkeit", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT.

Auch die Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, Hanka Rosenkranz, fordert vom Land: "Der Stollen ist das Herzstück für die pädagogische Arbeit in der Gedenkstätte, der Stollen plus das Gelände der Gedenkstätte. In diesem Rahmen hat das Land Sachsen-Anhalt eine hohe Verantwortung, diesen Zugang [zum Stollen] dauerhaft zu ermöglichen." Die öffentliche Hand sei dafür die beste Möglichkeit.

Das ehemalige KZ Langenstein-Zwieberge ist ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. In Langenstein-Zwieberge wurden mehr als 7.000 Juden, Widerstandskämpfer und politisch Verfolgte unweit des Konzentrationslagers dazu gezwungen, ein 13 Kilometer langes unterirdisches Stollen-System für die Rüstungsindustrie der Nazis zu errichten.

Nachkommen fordern Erweiterung des Stollens

Im Fokus steht für Bertrand und Rosenkranz die Erweiterung der für die Besucherinnen und Besucher zugänglichen 120 Meter. Ein kleiner Teil ist laut Gedenkstätte noch erhalten, wie 1945 errichtet. Dieser Stollen-Abschnitt liegt hinter den 120 Metern und ist derzeit aus Sicherheitsgründen nicht begehbar. Dahinter sollen sich zwei Querschläge befinden. Überlebende forderten bereits in einer Petition 2018, dass man diesen Kreis als "Kreis der Erinnerung" der Öffentlichkeit erlebbar machen sollte. Wie viel dieser Ausbau kosten würde, ist unklar.

Das Land Sachsen-Anhalt hat eine hohe Verantwortung, diesen Zugang [zum Stollen] dauerhaft zu ermöglichen.

Hanka Rosenkranz | Vorsitzende Förderverein

Rosenkranz kritisiert, dass die Anlage erneut in Privatbesitz gelandet ist: "Es ist ein Schlag ins Gesicht gegenüber unseren Forderungen [...], dass der Stollen in das Eigentum des Landes gehen soll, dass das für die Gedenkstätte ein Ort sein soll, der für die pädagogische Arbeit umfassend genutzt werden kann." Bislang sei man für die Gedenk-Arbeit immer auf den Besitzer angewiesen, seit 1995 befindet sich der Stollen in Privatbesitz. Das Land habe in ihren Augen eine wichtige Chance vertan, den Stollen als Landeseigentum zu sichern.

Die Priorität des Landes ist nach wie vor, den Zugang zum Stollen und die Bildungsarbeit der Gedenkstätte langfristig zu sichern. Staatssekretär Putz stellt sich hinter die Forderung, den bisherigen Stollenabschnitt zu erweitern. Dafür gebe es drei Möglichkeiten: Der Kauf des authentisch erhaltenen Stollenabschnitts, eine rechtliche Verpflichtung des Besitzers ähnlich die des Vorbesitzers sowie die generelle Pflicht des Eigentümers, im Rahmen des Denkmalschutzgesetzes, ein Denkmal für Öffentlichkeit zugänglich zu halten. Konkrete Schritte zur Realisierung müssten nun vom Land geprüft werden.

Eigentümer plant private Bunker auf ehemaligem KZ-Gelände

2022 kaufte Peter Jugl weitere Teile des Stollens auf, nun gehört ihm das gesamte Areal, der Spiegel (€) berichtete zuerst. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT schickt Peter Jugl eine Website mit seinen Plänen. Demnach soll in dem Stollen ein Notfall-Bunker für Krisenzeiten nach Vorbild von Elon Musk, Donald Trump und Wladimir Putin entstehen. Die Bunker-Pläne beinhalten unter anderem Wohnbereiche, ein Waffenlager, medizinische Versorgung und eine Samenbank. Im Herbst soll der Vorverkauf des sogenannten "Bunkercoins" beginnen, einer eigenen Kryptowährung.

Wie passt das mit respektvollem Gedenken an diesen historischen Ort zusammen? "Es ist nicht beabsichtigt, den Besuchern den Zugang zur Anlage zu verwehren, ganz im Gegenteil, wir sind daran interessiert, dass der Zugang zur Anlage öffentlich bleibt", so Jugl auf Anfrage. Bauanträge lägen dafür bisher keine vor. Nach einer Einschätzung vom Landesverwaltungsamt und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, hält es das Land für wenig realistisch, dass diese Pläne Realität werden könnte.

Jean-Louis Bertrand ist entrüstet über dessen Pläne. Mit der Vernichtung durch Arbeit dürfe kein Profit gemacht werden: "Die Pläne sind nicht vereinbar mit einem würdigen Gedenken und dem Respekt vor diesem Ort." Die Stadt Halberstadt wies den neuen Eigentümer auf die Historie und einen sensiblen Umgang hin. Zwar sei Privatbesitz bei Denkmalschutz nicht grundsätzlich auszuschließen, "speziell für die Gedenkstätte Langenstein hätten wir uns das Eigentum in öffentlicher Hand gewünscht", so der Stadtsprecher.

Gedenken in ehemaligem KZ-Außenlager bei Halberstadt abhängig von Besitzer

Derzeit sei die Verabredung des Vorbesitzers weiterhin gültig, der den Zugang des Stollens für die Öffentlichkeit durch die Gedenkstätte möglich macht. Doch das war nicht immer so: Im Jahr 2000 besuchten Überlebende und Angehörige unter anderem aus den Niederlanden die Gedenkstätte und wollten dabei auch in den Stollen hinein. Dies wurde ihnen damals verwehrt, die Überlebenden organisierten eine spontane Protestaktion.

Nur wenn man hier drin ist und das sieht, erschließen sich die Dimensionen bei Besucherinnen und Besuchern.

Gero Fedtke | Leiter der Gedenkstätte

Dr. Gero Fedtke, Leiter der Gedenkstätte des ehemaligen KZ, befürchtet derzeit nicht, dass der vordere Teil des Stollens der Öffentlichkeit verwehrt bleibt. "Solange wir […] mit Gruppen hier reingehen und unsere pädagogische Arbeit hier umsetzen können, können wir in diesem Stollen tätig sein", sagt Fedtke. Für ihn ist klar: "Nur wenn man hier drin ist und das sieht, erschließen sich die Dimensionen bei Besucherinnen und Besuchern."

Gedenkstättenleiter Gero Fedtke vor einem Tor im Stollen. Dahinter vergibt sich ein unberührter Stollenabschnitt aus der NS-Zeit. Bildrechte: MDR/Hartmut Gatzsche

Wenn man weiter reingehen könnte, könne man als Gedenkstätte einen besseren Eindruck vermitteln, wie der Ausbau-Zustand zu NS-Zeiten war. Dazu gehörten auch die Größenverhältnisse. Fedtke schätzt den nötigen Umfang auf etwa einen Kilometer.

Land Sachsen-Anhalt schlug Angebot aus, das Gelände inklusive Stollen zu kaufen

Um diesen Teil ging es auch im Rechtsstreit zwischen dem jetzigen Besitzer und dem Land Sachsen-Anhalt. Da das Areal Insolvenzmasse war, hatte das Land kein Vorkaufsrecht, entschied das Verwaltungsgericht in Magdeburg im Mai 2024. Zuvor sei dem Land das Gelände inklusive Stollen für eine Million Euro vom Insolvenzverwalter André Löffler angeboten worden.

Der Eingang zum Privatgrundstück Jugls. Dahinter befindet sich der Eingang zum Stollen. Bildrechte: MDR/Hartmut Gatzsche

Kulturminister Rainer Robra (CDU) erklärt dazu: "Wenn wir kaufen, müssen wir wissen, was wir kaufen und welche Teile der Anlage noch begehbar gemacht werden könnten und welche unwiderruflich zerstört wurden." Nur bei einem zumutbaren Preis werde das Land Teile der Anlage erwerben. Um den Zugang für die Besucherinnen und Besucher zu ermöglichen, müsse das Land das Gelände aber nicht unbedingt kaufen. Stattdessen müsse man vor allem durch eine Vereinbarung das Denkmalschutzrecht inklusive des öffentlichen Zugangs durchsetzen.

SPD-Politiker Erben spricht von Maximal-Schaden für Sachsen-Anhalt

Rüdiger Erben, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen Anhalt, kritisiert das Vorgehen der Landesregierung. Für ihn sei der Maximal-Schaden für das Land eingetreten. Mindestens den Stollen-Teil ohne NVA-Überbau hätte das Land sichern müssen. "Ich bin der Auffassung, dass dieser kleine Teil, der überhaupt noch im Originalzustand ist [...], dass der für das Gedenken im Rahmen der Gedenkstättenstiftung erhalten bleiben muss."

Eine kommerzielle Nutzung oder Vermarktung des authentischen Teils der Stollen-Anlage schließt sich aufgrund der Geschichte und der Würde des Gedenk-Ortes nicht nur aus moralischen, sondern insbesondere auch aus denkmalschutzrechtlichen Gründen aus.

Landesregierung von Sachsen-Anhalt | Antwort auf eine Kleine Anfrage

In der Antwort auf seine Kleine Anfrage an die Landesregierung, die er im Juli 2024 stellte, heißt es: "Alle Veränderungen baulicher Art oder der Nutzung sind [...] genehmigungspflichtig. Eine kommerzielle Nutzung oder Vermarktung des authentischen Teils der Stollen-Anlage schließt sich aufgrund der Geschichte und der Würde des Gedenk-Ortes nicht nur aus moralischen, sondern insbesondere auch aus denkmalschutzrechtlichen Gründen aus."

Hinter der MDR-Recherche Dieser Artikel ist im Rahmen des Investigativ-Teams des Mitteldeutschen Rundfunks entstanden, in dem Journalistinnen und Journalisten aller drei Landesfunkhäuser (MDR SACHSEN-ANHALT, MDR THÜRINGEN, MDR SACHSEN) zusammenarbeiten. Ziel ist, regionale Kompetenzen zu stärken. Recherche-Schwerpunkte sollen unter anderem Rechtsextremismus, organisierte Kriminalität und Korruption auf kommunaler Ebene sein. Bei Anregungen zu investigativen Themen erreichen Sie das neue Investigativnetzwerk MDR Recherche unter recherche@mdr.de

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MDR (Lars Frohmüller, Katharina Gebauer, Ulf Kalkreuth)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 15. August 2024 | 19:00 Uhr

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