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Anwohner verunsichertSSRF in Allrode: Das antwortet die spirituelle Gruppe auf Sorgen und Kritik

24. Oktober 2021, 19:00 Uhr

Seit im Sommer eine spirituelle Gruppe namens "Spiritual Science Research Foundation" (SSRF) eine frühere Hotelanlage in Allrode bei Thale gekauft hat, herrscht Unruhe in dem Harzort. Manche Anwohner blicken kritisch auf die neuen Besitzer. Die haben nun erstmals zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. MDR SACHSEN-ANHALT war vor Ort.

Allrode im Harz – hierher kommt normalerweise, wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht und die Natur genießen möchte. Doch seit dem Sommer herrscht Unruhe in dem Ort. Denn eine internationale spirituelle Organisation namens "Spiritual Science Research Foundation" – kurz SSRF, auf Deutsch: Spirituelle Wissenschafts- und Forschungsstiftung – hat das frühere Harzresort "Waldesruh" gekauft, das etwas außerhalb des 600-Seelen-Dorfes direkt am Waldrand liegt. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie übernachteten dort vor allem Touristen. Was nun in der früheren Hotelanlage, zu der drei Gebäude gehören, vor sich geht, ist weitgehend unklar.

Fragwürdige Inhalte auf der Website, umstrittener Gründer

Klar ist: Mit "Science", also Naturwissenschaft, haben die Inhalte, die die hinduistisch geprägte Gruppe auf ihrer Website verbreitet, wenig zu tun. So spricht die SSRF dort unter anderem von der "Spirituellen Heilung" von physischen und psychischen Krankheiten. Ein Artikel auf der Website warnt zudem mit martialischen Bildern vor einem angeblich bevorstehenden dritten Weltkrieg.

Gründer und spirituelle Inspirationsquelle der SSRF ist laut der Website Jayant Athavale. Er gilt als indischer Hindunationalist und Gründer der Gruppe Sanatan Sanstha, der in Indien die Beteiligung an Bombenanschlägen und Morden vorgeworfen wird. (Mehr zum Hintergrund der SSRF erfahren Sie im Interview mit dem Weltanschauungsbeauftragten der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Sören Brenner.)

In Allrode tritt die SSRF zurückhaltender auf als im Internet. Anwohnerinnen und Anwohner berichten, dass die neuen Nachbarn so gut wie nie im Ort zu sehen seien. Manche fürchten, bei der SSRF könnte es sich um eine gefährliche Gruppe handeln. "Diese Gruppe ist bisher überhaupt noch nicht im Ort aufgetreten, ich habe sie nur im Vorfeld einmal kennengelernt im Rahmen der Verkaufsgespräche", sagt Allrodes Ortsbürgermeister Wolfgang Kurch.

Wir hätten uns einen anderen Käufer für das Objekt gewünscht, der die Anlage weiterhin als Hotel nutzt und Touristen in den Ort lockt.

Wolfgang Kurch, Ortsbürgermeister von Allrode

Kurch berichtet von einem anderen Kaufinteressenten, der in den Verhandlungen mit den Vorbesitzern des Resorts "Waldesruh" schon sehr weit gewesen sei. Dann jedoch sei die SSRF gekommen und habe plötzlich den Zuschlag erhalten, so Kurch. Über die Gründe könne man nur mutmaßen.

So lief der Besuch des MDR-Teams vor Ort

Wie viele Menschen aus der Umgebung ist deshalb auch Wolfgang Kurch neugierig, als die SSRF am 22. Oktober zum Tag der offenen Tür einlädt. Ein Team von MDR SACHSEN-ANHALT begleitet ihn an dem windigen und verregneten Freitag im Herbst zu der Veranstaltung. Trotz des widrigen Wetters treffen wir unterwegs einige andere Menschen aus Allrode, die zum Tag der offenen Tür wollen oder bereits da waren. Alle bei der SSRF seien sehr freundlich gewesen, berichtet eine Anwohnerin, die gerade auf dem Heimweg ist. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Gruppe gefährlich oder gar eine Sekte sei, und empfehle allen, sich ein eigenes Bild zu machen, sagt sie.

Auf dem ehemaligen Hotelparkplatz, der nun zum Gelände der SSRF gehört, stehen Autos mit Kennzeichen aus Österreich und der Schweiz, außerdem ein Campervan mit dem Logo der SSRF. Auch wir werden freundlich in einem der früheren Hotelgebäude empfangen. Am Eingang müssen wir unsere Schuhe gegen Stoffpantoffeln tauschen. Auf Monitoren flimmern Werbefilmchen für die SSRF. Bild- und Tonaufnahmen sind zunächst verboten.

Gleichzeitig mit Ortsbürgermeister Kurch und uns, dem Team von MDR SACHSEN-ANHALT, sind etwa zehn weitere Gäste da, dazu kommen etwa acht Vertreterinnen und Vertreter der SSRF. Die, mit denen wir sprechen, stammen aus Österreich, Belgien und Frankreich. Deutsche treffen wir unter den SSRF-Anhängerinnen und Anhängern nicht.

Große Pläne für die Zukunft

Ebenfalls vor Ort ist Cyriaque Vallee. Der Franzose ist Vizepräsident des Vereins, der in Deutschland hinter der SSRF steckt, und tritt als ein spiritueller Anführer der SSRF auf. So bietet er auf YouTube und der Website der SSRF regelmäßig Livestreams für Gruppenmeditationen an. Er begrüßt die Gäste auf Englisch. Auch Bhavna Shinde, Präsidentin der SSRF in den USA, ist in Allrode, hält sich jedoch eher im Hintergrund.

Zwei junge Frauen aus Österreich führen die Besuchergruppe durch die Räumlichkeiten und erläutern die Pläne für das Seminarzentrum für spirituelle Workshops, das in Allrode entstehen soll. Zunächst seien aber Reparatur- und Umbauarbeiten nötig. Im nächsten Jahr solle dann mit den mehrtägigen Workshops begonnen werden. Teilnehmen könne jede und jeder – unabhängig davon, welcher Religion er oder sie angehöre. Es gebe bei der SSRF auch keine Mitgliedsstrukturen oder -gebühren. Die Workshops sollen zwar Geld kosten, aber nur so viel, dass die Kosten gedeckt seien, versichern die Vertreterinnen der SSRF.

Im Souterrain des Gebäudes hat die SSRF einen Meditationsraum mit Blick auf den Wald und ein kleines Filmstudio für Livestreams im Internet eingerichtet. An den Wänden hängen Bilder verschiedener spiritueller Führer, darunter auch von Jayant Athavale, dem mutmaßlichen Hindunationalisten.

Freundliche Stimmung, vage Antworten

Die Stimmung ist freundlich, es gibt Kaffee und Kuchen, doch manche Antworten auf Fragen der Bürgerinnen und Bürger bleiben vage. Bisweilen steht auch die Sprachbarriere dem Austausch zwischen den meist englischsprachigen Anhängern der SSRF und den Menschen in Allrode im Weg. Frank Ulrich, der Leiter der örtlichen Feuerwehr, äußert im Anschluss gar die Sorge, dass es künftig zu Kommunikationsproblemen kommen könnte, falls ein Einsatz auf dem Gelände der SSRF nötig sein sollte.

Im Anschluss an das offizielle Programm sind wir mit Cyriaque Vallee und Bhavna Shinde, den beiden führenden Köpfen der SSRF, zum Interview verabredet. Im Vorfeld war lange unklar, ob sie mit uns sprechen würden. Nun aber inszenieren sie sich so wie der Rest der Gruppe: freundlich und offen. Wir wollen erfahren, was das Ziel der SSRF ist. "Unsere Hauptaufgabe ist es, über die spirituelle Dimension aufzuklären", sagt Cyriaque Vallee.

Wir helfen Menschen dabei, spirituell zu wachsen.

Cyriaque Vallee

Er und Shinde betonen ebenfalls, dass die SSRF Menschen mit allen religiösen Hintergründen offenstehe. Die SSRF wolle keine Gewinne erzielen und finanziere sich durch Spenden. In Deutschland sei die Gruppe offiziell als Verein organisiert. Auch die Anlage in Allrode sei durch Großspenden, unter anderem aus der Schweiz, bezahlt worden. Allein in Deutschland habe die SSRF bis zu 500 praktizierende Anhängerinnen und Anhänger, so Vallee. Überprüfen lassen sich diese Aussagen nicht. Das geplante Seminarzentrum in Allrode sei das erste der SSRF weltweit. Die idyllische Umgebung und die zentrale Lage in der Mitte Europas hätten für den Standort gesprochen.

Der dritte Weltkrieg – nur eine Metapher?

Die "Spirituelle Heilung", die durch die Workshops in Allrode vermittelt werden soll, sei nicht als Ersatz für eine ärztliche Behandlung zu verstehen, sondern allenfalls als Ergänzung, sagt Bhavna Shinde. Wir sprechen sie und Cyriaque Vallee auch auf Jayant Athavale und die Gruppe Sanatan Sanstha an. Vallee bestätigt uns, dass Athavale ein spiritueller Anführer der SSRF ist. Er habe ihn vor einiger Zeit persönlich in Indien getroffen. Zu Sanatan Sanstha bestünden jedoch keine Verbindungen, beide Gruppen hätten nie etwas miteinander zu tun gehabt. Ein Besuch von Jayant Athavale in Allrode sei nicht geplant und "unwahrscheinlich", sagt Vallee.

Als wir Vallee und Shinde fragen, warum auf der Website der SSRF Theorien zum vermeintlich bevorstehenden Dritten Weltkrieg verbreitet werden, erklären sie, dass der Dritte Weltkrieg als Metapher für verschiedene Katastrophen, etwa den Klimawandel, zu verstehen sei.  Es gehe vor allem darum, mit einer Art übernatürlichem sechsten Sinn Katastrophen vorherzusehen. Viele Tiere könnten dies angeblich. "Wenn wir dieses Wissen hätten – dann wäre es sehr hilfreich für die Menschheit, um sich zu schützen vor dem, was kommt. Darum geht es in unseren Artikeln über künftige Zeiten. Es geht um diese Art von Wissen, diesen Sinn", sagt Bhavna Shinde.

MDR SACHSEN-ANHALT veröffentlicht an dieser Stelle das Interview mit Cyriaque Vallee und Bhavna Shinde, um Transparenz zu schaffen. Das Interview wurde auf Englisch geführt. Die Aussagen, die die "Spiritual Science Research Foundation" in diesem Interview trifft, werden in demselben nicht überprüft und eingeordnet. Das Interview kann nach Auffassung der Redaktion aber einige der Fragen klären, die sowohl die Anwohnerinnen und Anwohner in Allrode, als auch Fachjournalistinnen und Fachjournalisten anderer Medien und Expertinnen und Experten zu Weltanschauungen religiöser Kleingruppen wie der "Spiritual Science Research Foundation" haben.

Why we publish this interview

MDR SACHSEN-ANHALT publishes this interview with Cyriaque Vallee (Sadguru SSRF Germany) and Bhavna Shinde (President SSRF USA) to create transparency. The interview was conducted in english language. All the statements made by the Spiritual Science Research Foundation that you hear in this interview are not checked and classified. But: In our opinion the interview can clarify some of the questions that residents of Allrode as well as specialized journalists from other media and experts may have on the Spiritual Science Research Foundation.

Was bleibt?

"Die Leute machen einen offenen Eindruck, sind nett und freundlich, gehen auf die Menschen zu. Aber was wirklich dahinter steht, kann man auch nach dem heutigen Tag nicht einschätzen", sagt Ortsbürgermeister Wolfgang Kurch, als wir ihn nach der Veranstaltung vor der Tür wiedertreffen. Er habe den Eindruck, dass die SSRF recht planlos und unorganisiert an dem Projekt in Allrode arbeite.

Andere Menschen aus Allrode, die wir nach dem Tag der offenen Tür ansprechen, erzählen, sie würden ein durchaus positives Bild von der SSRF mitnehmen. Ein Mann, der allein auf dem Nachhauseweg ist, sagt, er sei froh, dass die Hotelanlage überhaupt wieder genutzt und nicht dem Verfall preisgegeben werde. Und so gibt es für die Menschen in Allrode nach diesem Tag nur in einem Gewissheit: Die SSRF wird sie noch eine Weile beschäftigen.   

Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Über den AutorLucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

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MDR/Lucas Riemer, Roland Jäger

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 24. Oktober 2021 | 19:00 Uhr

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