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Ein Dorf verstummtVölkische Siedler: Blankenburgs Bürgermeister fordert, ein Verbot zu prüfen

14. November 2022, 21:38 Uhr

Eine völkische Gruppierung mit rechtsextremen Verbindungen hat 2018 den alten Gasthof in Wienrode im Harz gekauft. Kritische Stimmen im Dorf sind nahezu verstummt. Blankenburgs Oberbürgermeister fordert nun, ein Verbot der Gruppe zu prüfen.

Heiko Breithaupt (CDU), Bürgermeister der Stadt Blankenburg, äußert im Interview mit MDR exactly Zweifel an der Verfassungstreue der Gruppe "Weda Eylsia", die sich 2018 im Ortsteil Wienrode angesiedelt hat.

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"Ich sehe das deshalb sehr kritisch, weil aus meiner Sicht einfach ein Deckmantel der Heimatverbundenheit genutzt wird, um Interessen durchzusetzen, die nach meiner Auffassung nicht unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechen", sagte Breithaupt.

Formell aus meiner Sicht ist hier klar zu prüfen, ob es nicht auch Möglichkeiten gibt, die Gruppierung zu verbieten.

Heiko Breithaupt, Bürgermeister von Blankenburg

Der CDU-Politiker ist der Ansicht, "dass Vereine nicht dazu missbraucht werden sollten, irgendwelche ideologischen Ansichten zu vertreten", betont Breithaupt. Er sieht das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt in der Pflicht: "Formell aus meiner Sicht ist hier klar zu prüfen, ob es nicht auch Möglichkeiten gibt, die Gruppierung zu verbieten." Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt gab auf MDR-Anfrage an, zu vereinsrechtlichen Prüfverfahren grundsätzlich keine Auskunft zu erteilen.

Mitglieder der Gruppe, die sich "Weda Elysia" nennt, haben 2018 den verfallenen ehemaligen Gasthof im Zentrum des Dorfes gekauft. Eigenen Veröffentlichungen zufolge will die Gruppe den Gasthof sanieren und zu einem kulturellen Zentrum in Wienrode umbauen. Dafür ruft "Weda Elysia" online zu Spenden auf. Der Gruppe sind drei Vereine mit den Namen Weda Elysia e.V., Weda Elysia Treuhand e.V. und Lindenquell e.V. zuzurechnen.

Antisemitische Bücher als Grundlage

Nach Angaben auf ihren Webseiten beruft sich "Weda Elysia" auf die sogenannten Anastasia-Bücher. Die russische Romanreihe ist auch bekannt unter dem Titel "Die klingenden Zedern Russlands". In den Bänden finden sich neben Esoterik und Ratschlägen für ein naturverbundenes Leben und Selbstversorgertum auch antisemitische Aussagen und Verschwörungsmythen.

Die Anastasia-Mythologie basiert auf einer antisemitischen, einer rassistischen und antimodernen Weltanschauung.

Matthias Quent, Rechtsextremismus-Forscher

Hinter der Anastasia-Buchreihe stehe eine gefährliche ideologische Mischung, analysiert der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent: "Die Anastasia-Mythologie basiert auf einer antisemitischen, einer rassistischen und antimodernen Weltanschauung. Und da haben wir schon drei ganz zentrale Elemente des Faschismus wiedergefunden." Beispielsweise finden sich in den Büchern antisemitische Verschwörungsmythen über vermeintlich gierige Juden, die "Schuld auf sich geladen" hätten.

Kontakte in die rechtsextreme Szene

Sachsen-Anhalts Innenministerium führt die Gruppe "Weda Elysia" in einer Antwort vom 2.3.2022 auf eine Kleine Anfrage zu völkischen Siedlungsbestrebungen auf. MDR-Recherchen belegen zudem Kontakte der Gruppe "Weda Elysia" in die rechtsextreme Szene. So nahm der Vereinsvorsitzende Maik Schulz an einer Freiluft-Theateraufführung in Bischofswerda im September 2018 teil. Viele der Darsteller und Zuschauer der Veranstaltung stammten aus dem rechtsextremen Spektrum – etwa aus der NPD oder rechtsextremen Jugendorganisationen.

In einem Onlineshop der Gruppe werden unter anderem CDs des rechtsextremen Liedermachers Axel Schlimper verkauft, der auf zahlreichen Neonazi-Veranstaltungen aufgetreten ist. Mitglieder von "Weda Elysia" sind außerdem auf einem im Internet kursierenden Video bei einer Demonstration gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen in Berlin zu sehen. Im Sommer 2020 beteiligten sie sich dort an einer Art Volkstanz während dieser Demo. Und zwar gemeinsam mit dem rechtsextremen Videoblogger Nikolai Nerling, der unter dem Namen "Der Volkslehrer" bekannt wurde und wegen Volksverhetzung rechtskräftig verurteilt ist.

Auf telefonische und persönliche Nachfrage des MDR wollte sich Vereinschef Maik Schulz nicht zu den Recherchen äußern. Auf schriftliche Nachfrage antwortete er ebenfalls nicht. Seine Frau, die ebenfalls im Vorstand des "Weda Elysia" e.V. sitzt, drohte den MDR-Reportern in einer E-Mail mit Strafanzeigen und Schadenersatzforderungen.

Ein verstummtes Dorf

Derweil wollen die meisten Menschen in Wienrode nicht offen über "Weda Elysia" sprechen. Viele im Ort hätten Angst, sich zu positionieren, berichten Einwohner, die anonym bleiben wollen. Eine Person aus Wienrode beschreibt ein Klima des Schweigens im Ort. Zwar gebe es viele Anwohner, die die Aktivitäten von "Weda Elysia" kritisch sähen. Es traue sich aber niemand mehr, das offen zu sagen. Die Person erklärt, Anwohner, "die das kritisch gesagt haben", seien später angegriffen worden, indem ihnen die Reifen zerstochen wurden.

Wie die zuständige Staatsanwaltschaft dem MDR bestätigte, wurden in Wienrode im Dezember 2019 an sechs Fahrzeugen innerhalb einer Nacht die Reifen zerstochen. Täter wurden nie gefunden, die Ermittlungen wurden eingestellt. Über das Motiv können die Betroffenen bis heute nur mutmaßen.

Im vertraulichen Gespräch schildert der Anwohner, dass Mitglieder von "Weda Elysia" gezielt auf die Wienröder zugingen und versuchten, Einfluss auf die Dorfgemeinschaft zu gewinnen. Ein Eindruck, den Ruth Fiedler teilt. Sie sitzt für Die Linke im Stadtrat von Wernigerode und engagiert sich im Harz gegen die rechtsextreme Szene. Sie beobachtet, "dass ein Teil der Dorfgemeinschaft hinter 'Weda Elysia' steht", sagte Fiedler im Interview. Diese Menschen würden kritische Anwohner "unter Druck setzen". Es seien teilweise Drohungen ausgesprochen worden, so Fiedler. Für ihre öffentliche Kritik an "Weda Elysia" in einem Interview hatte die Gruppe sie im Herbst 2021 wegen Verleumdung angezeigt. Die Ermittlungen wurden im Oktober 2022 durch die Staatsanwaltschaft eingestellt.

Widerstand gegen Rechtsextremismus hat Konsequenzen

Die Stadträtin und Mutter zweier Kinder ist für ihr Engagement gegen Gruppen vom rechten Rand bereits bedroht worden. Sie schildert: "Letztes Jahr stand einer vor meinem Haus, vor meinem Privathaus und hat mich aufs Übelste laut beschimpft, richtig heftig, und auch gedroht, dass er mich umbringt und dass er das Haus mit meinen Kindern anzündet." Doch sie sei überzeugt, dass Schweigen keine Option sei. "Irgendjemand muss es machen. Und da hab ich beschlossen, ich mach's", betont Fiedler.

Sie ist seit 2019 im Kontakt mit kritischen Anwohnern aus Wienrode, die sich von der Politik alleingelassen fühlten. Fiedler meint, vom Bürgermeister über den Landkreis bis zur Landesebene sei den Siedlern von "Weda Elysia" zu wenig entgegensetzt worden. Die kritischen Anwohner hätten sich gewünscht, "dass sich da mal irgendwer stark macht".

Quent: Schweigen spielt Rechtsextremen in die Hände

Der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent hält den Umgang mit den völkischen Siedlern in Wienrode für problematisch. Das Schweigen und der fehlende spürbare Widerstand spielten "Weda Elysia" in die Hände, so Quent: "Wenn etwas nicht problematisiert wird, dann wird es zum Teil der Normalität. So wird Normalität hergestellt. Das ist letztlich die wichtigste Waffe der Rechtsextremen, dass niemand sich dagegen wehrt."

So wird Normalität hergestellt. Das ist letztlich die wichtigste Waffe der Rechtsextremen, dass niemand sich dagegen wehrt.

Matthias Quent, Rechtsextremismus-Forscher

Rechtsextreme Akteure versuchen laut Quent gezielt, "lokale Gemeinschaften zu unterwandern, einzusickern und Stück für Stück ihre Ideologie weiterzuverbreiten, Menschen anzulocken, sogar Menschen anzusiedeln, zu größeren Siedlungsprojekten in mehreren Regionen Deutschlands, aber auch hier, bis diese Regionen übernommen werden können."

Kommunen müssten dem aber nicht tatenlos zuschauen. Die Verwaltung in den betroffenen Gemeinden könnte zum Beispiel Vorkaufsrechte prüfen, um Grundstückskäufe zu verhindern. Auch das Prüfen von steuerrechtlichen oder baurechtlichen Aspekten habe sich als wirksam erwiesen, um die Ausbreitung extrem rechter Projekte zu begrenzen oder sie sogar zu vertreiben. Wichtig sei, dass sich lokal anerkannte Akteure wie Bürgermeister, Pfarrer, Unternehmer, die Feuerwehr oder der Sportverein klar gegen rechts positionieren. Denn an ihnen würden sich auch viele Bürger und Bürgerinnen orientieren.

Über die AutorenJana Merkel studierte nach dem Abitur Germanistik und Soziologie. Seit 2008 ist sie als freie Mitarbeiterin beim MDR tätig. Zunächst arbeitete sie im Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt bis sie 2014 nach Leipzig in die Redaktion des Nachrichtenmagazins "exakt" wechselte. Zu ihren thematischen Schwerpunkten gehören Politik und Soziales.

Tim Schulz stammt aus Sachsen-Anhalt und hat in Chemnitz Politikwissenschaft studiert. Er arbeitet seit 2019 beim Mitteldeutschen Rundfunk unter anderem für die politischen Magazine Exakt und FAKT.

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MDR (Tim Schulz, Jana Merkel)

Dieses Thema im Programm:SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. November 2022 | 19:00 Uhr

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