Wanderung mit einem Nationalpark-Ranger Zurück zur Wildnis: Die Verwandlung des Waldes im Harz

29. Juli 2019, 10:57 Uhr

Der Wald im Harz stirbt – und der Nationalpark sieht tatenlos zu. So wirkt es auf Besucher. Was passiert, wenn man der Natur freien Lauf lässt: Beim Rundgang erklärt ein Ranger, welchen Plan der Nationalpark für den Wald hat. Teil 4 der Serie über Waldschäden in Sachsen-Anhalt.

Maria Hendrischke
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Schierke im Harz, ein Dienstagvormittag im Juli. Cafés und Restaurants haben noch geschlossen, Menschen sind nur wenige zu sehen. Außer vor der Tourist-Info. Auf der schattigen Terrasse neben dem rotbraunen Holzhaus haben sich etwa 20 Personen aller Altersklassen versammelt. Sie wollen an einer Wanderung teilnehmen, die von einem Ranger des Nationalparks geführt wird. Es soll um den Wald im Harz gehen. Denn dieser sieht an vielen Stellen im Park besorgniserregend tot aus.   

Die Wanderer sind überpünktlich, offenbar ehrlich am Thema der Tour interessiert. Punkt 10 Uhr geht es schließlich los. "Mit dem Glockenschlag", sagt Harald Papies – Sonnenbrille, Schirmmütze, Schnauzer – der sich als Ranger vorstellt.

Harzbesucher machen sich Sorgen um den Wald

Der Nationalpark Harz bietet die Führung "Wald im Wandel" erst seit diesem Jahr an. Der Grund: Touristen haben die Mitarbeiter in den Nationalpark-Zentren oder die Ranger häufig auf die kahlen Bäume angesprochen. "Der Grundtenor war: 'Oh Gott, warum sieht der Wald so schrecklich aus?'", erzählt Papies. Einige seien aber auch ausfällig geworden und hätten den Rangern vorgeworfen, dass sie ihre Arbeit nicht ordentlich machten. "Dadurch haben wir gesehen: Es gibt Informationsbedarf." Neben der Führung informiert der Nationalpark auch mit einem Video und Flyern.  

Schon am Vormittag ist es in der Sonne fast unerträglich heiß. Am Ortsrand von Schierke beginnt direkt der Wald. Zum Glück, denn dort ist es deutlich kühler, den Schatten spendenden Bäumen sei Dank. Papies legt den ersten Stopp ein. Er erzählt, wie der ursprüngliche Buchenwald des Harzes für den Bergbau abgeholzt wurde. Anschließend sei zwar überall wieder aufgeforstet worden, aber mit Fichten, die schnell wachsen und zudem gutes Bauholz liefern. Von Natur aus kommt diese Baumart im Harz jedoch erst ab 700 Metern Höhe vor. Und fast 60 Prozent des Nationalpark-Areals liegen unter dieser Höhe.

Borkenkäfer hat sich über die Fichten hergemacht

Es ist der Anblick der Fichtenwälder, der Harz-Touristen Sorgen macht: Denn diese sind großflächig geschädigt. Grau-braune, staksige Stämme statt dichter, grüner Nadelwald. Dort hat Borkenkäfer zugeschlagen. Der sei immer mal wieder durch den Harz gezogen – aber so stark und schnell wie in den vergangenen Jahren habe sich der Käfer nie ausbreiten können, sagt Papies, der seit 22 Jahren im Nationalpark arbeitet.

Baumschäden nach Stürmen und die anhaltende Trockenheit haben die Verbreitung des Borkenkäfers begünstigt. Hinzu kommt noch ein Faktor, den der Mensch zu verantworten hat: Die Fichten im Harz sind alle gleich alt, weil sie angepflanzt wurden. In einem natürlichen Wald würden nicht alle Bäume gleich alt sein, sagt Papies. Der Borkenkäfer gehe nur in schwache – ältere – Fichten und in überhaupt keine andere Baumart. Die alten, reinen Fichtenbestände sind also buchstäblich ein gefundenes Fressen, während der Käfer in einem naturbelassenen Mischwald keinen so flächendeckenden Schaden anrichten könnte.

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#MDRklärt: Darum ist der Wald im Harz so geschädigt

Do 18.07.2019 15:34Uhr 00:48 min

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Natur einfach Natur sein lassen

Was tut der Nationalpark gegen den Borkenkäfer? Nichts, sagt Papies. Also, fast nicht. An Straßen werden betroffene Bäume, die umfallen könnten, zur Sicherheit gefällt. Ebenso werden sie an den Grenzen des Nationalparks entfernt, damit der Borkenkäfer nicht auf die benachbarten, wirtschaftlich genutzten Forste übergreift. Papies zeigt das an einer etwa 500 Meter breiten, freigeräumten Schneise, auf der einst Fichten standen. Nun blüht dort lila Fingerhut.

Zeit spielt im Wald im Nationalpark keine Rolle.

Harald Papies, Ranger im Nationalpark Harz

Ein paar Meter höher liegen die toten, trockenen Stämme noch im Wald. Es ist nicht geplant, sie wegzuräumen: Dort bleibe es der Natur und den darauf spezialisierten Arten überlassen, die Zersetzung der Bäume an Ort und Stelle zu übernehmen, erklärt Papies. Viele Lebewesen nutzen das tote Holz als Nahrungsquelle. "Wie lang dauert es, bis die Stämme ganz verrottet sind?", erkundigt sich eine Frau. Papies zuckt mit den Schultern. "Das kommt drauf an. Wenn das Holz feucht ist, geht es schneller." Er schmunzelt, bevor er weiterredet. "Es dauert so lange, wie es dauert. Zeit spielt im Wald im Nationalpark keine Rolle."

Grundsteinlegung für den Wald-Neubau

Wo ehemals Fichtenwald stand, zeigt Papies der Wandergruppe eine holzumzäunte Fläche. Das unscheinbare Rechteck ist gewissermaßen ein Grundstein für einen Wald-Neubau im Harz. Dort wachsen Laubbäume, die noch ganz klein sind: Buchen, Birken, Ebereschen. Die Buchen sind von Nationalpark-Mitarbeitern gepflanzt worden. Denn weit und breit steht keine Buche, die sich von selbst vermehren könnte. Der Holzzaun schützt die jungen Bäume vor hungrigem Wild. "Leider hat der Wolf den Harz bisher links liegen lassen", sagt Papies. Als natürlicher Jäger wäre er hier eigentlich äußerst willkommen.

80 Prozent aller Bäume im Nationalpark Harz sind Nadelbäume – vorrangig Fichten. Wenn es nach der Nationalpark-Verwaltung geht, soll sich das grundlegend ändern: Nadelbäume sollen nur noch 32 Prozent ausmachen. Die übrigen zwei Drittel sollen Laubbäume sein. Vor allem Buchen, die vor der wirtschaftlichen Rodung den Harz dominiert haben.

Während der fichtenvernichtende Borkenkäfer in wirtschaftlich genutzten Forsten eine Katastrophe sein kann, wird er im Nationalpark Harz eher als Abrisshelfer betrachtet. Er schafft Platz für den geplanten Mischwald.  

Trockenheit macht es den Bäumen schwer

Die anhaltende Trockenheit erschwert den Waldumbau im Nationalpark. Denn sie mache den Bäumen zu schaffen, auch den jungen, erklärt Papies. Die neu gesetzten Bäume könnten durch das Wetter eingehen. "Ein Förster meinte in einem Interview, seinetwegen könnte es ab jetzt bis Dezember durchregnen. Ich würde mich da anschließen", so der Ranger. Wobei zu viel Regen natürlich auch wieder schlecht für den Wald wäre, ergänzt er.

Die Wandergruppe hört den Erklärungen des Rangers aufmerksam zu. Und sie fragen nach: Auch zwischen den Stopps der Führung wird Papies stets um noch mehr Details gebeten. "Also haben wir im Harz jahrhundertelang die falschen Bäume gepflanzt – und jetzt machen wir es richtig?", will zum Beispiel eine junge Frau wissen. "Zumindest richtiger", antwortet Papies. Zwar orientiere man sich an dem ursprünglichen Buchenwald, der den Harz bis ins Mittelalter bedeckt habe. Doch dieser echte Urwald sei unwiederbringlich verloren, stellt Papies klar. Beim "Nachbau" handele es sich lediglich um einen sogenannten naturbelassenen Wald, nicht aber um einen wirklich natürlich entstandenen Wald.

Natur-Baustelle im Harz braucht viel Zeit

Möglicherweise werde der neu entstehende Wald im Harz nicht wie der vor etwa 500 Jahren vor allem aus Buchen bestehen, sondern sich ganz anders zusammensetzen, sagt Papies. Überhaupt: "'Fertig' ist ein naturbelassener Wald nie." Stattdessen sollte sich so ein Wald immer wieder von selbst wandeln.

Was wir jetzt für den Wald im Harz machen, ist für die Generationen nach uns.

Harald Papies, Ranger im Nationalpark Harz

Wann genau statt toter Fichten wieder flächendeckend grüne Laubbäume den Harz prägen werden, sei überhaupt nicht abzuschätzen, sagt Papies. Das verdeutlichen einige vor 20 Jahren gepflanzte Buchen, die im Vergleich zu den abgestorbenen Fichten im Hintergrund immer noch eher klein sind – und nur einen winzigen Teil des Harzwalds ausmachen. Klar ist aber: "Was wir jetzt für den Wald im Harz machen, ist weniger für uns, sondern viel mehr für die Generationen nach uns."

Maria Hendrischke
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Über die Autorin Maria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT - in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.

Quelle: MDR/hm

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Juli 2019 | 12:00 Uhr

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