Ein Rentnerin geht am Stock
"Den Traum, dass ich im Alter noch meinen Interessen nachgehen kann, musste ich aufgeben", sagte eine Rentnerin MDR SACHSEN-ANHALT. (Symbolfoto) Bildrechte: Colourbox.de

In der DDR Geschiedene Weil sie geschieden sind: Rente unter der Armutsgrenze

14. Juni 2018, 20:39 Uhr

Etwa 150.000 Frauen, die in der DDR geschieden wurden, bekommen heute häufig eine Rente unter der Armutsgrenze – obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben. Ihnen steht kein Versorgungsausgleich für gemeinsame Ehejahre zu. Das wurde im Einigungsvertrag schlicht vergessen. Doch womöglich kommt jetzt Bewegung in das Thema.

"Man fühlt sich als Mensch zweiter oder dritter Klasse." Vera Hesse wird traurig, wenn sie über ihre Rente spricht. 44 Jahre lang hat sie als gelernte Industriekauffrau gearbeitet. Doch nun bleiben ihr nur rund 700 Euro Rente. Sie hat ein kleines Haus in Wahlitz im Jerichower Land, mit einem Stück Garten. "Da baue ich für mich noch ein bisschen was an und spare auch wieder Geld." Hobbys wie das Malen hat sie aufgegeben – zu teuer sind ihr Farben und Materialien.

"Den Traum, dass ich im Alter noch meinen Interessen nachgehen kann, musste ich aufgeben", sagt die 70-Jährige bitter. Bis zur Wende hatte sie ein Heim für vietnamesische Gäste betrieben. Als das 1991 aufgelöst wurde, machte sie sich selbstständig und hielt sich mit einem Lottoladen in der Magdeburger Leiterstraße bis zur Rente knapp über Wasser.

Ähnlich geht es Brunhilde Pantzke aus Heyrothsberge, östlich von Magdeburg. 688 Euro bekommt sie monatlich überwiesen, davon gehen allein schon 420 Euro Miete ab. Mit 75 Jahren arbeitet sie darum noch nebenbei – sie wässert Gärten, fährt weniger fitte Menschen zum Arzt oder Frisör, übernimmt die Pflege, wenn Angehörige im Urlaub sind. Gelernt hat sie Schuhstepperin, war aber auch Revolverdreherin, Kranfahrerin, Erzieherin und Archivarin. Nach der Wende wurde sie arbeitslos und sollte eine Umschulung zur Hauswirtschafterin machen. "Man sollte ja meinen, mit über 40 kann man sowas längst – aber ich habe es halt getan."

Versorgungsausgleich im Einigungsvertrag schlicht vergessen

Vera Hesse und Brunhilde Pantzke sind zwei Beispiele für etwa 300.000 Frauen, die unter einem Satz aus dem deutschen Einigungsvertrag von 1990 leiden: "Einen Versorgungsausgleich für vor 1992 in den neuen Bundesländern geschiedene Frauen gibt es nicht". Ein Satz, der nicht korrigiert wurde und im Grunde bis heute Bestand hat. Das bedeutet: Den Frauen wurden mit dem Einigungsvertrag und dem Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) wesentliche Rentenansprüche aberkannt.

Nach der Wende wurde das gesamte Erwerbsleben zur Rentenberechnung herangezogen, und nicht wie in der DDR zuvor üblich, nur die letzten 20 Jahre. Arbeiteten Frauen während der Kindererziehung oder Pflege der Angehörigen weniger, konnten sie ihre Rentenansprüche mit einem Beitrag von drei Mark im Monat aufrechterhalten. Nach der Wende wurden diese Zeiten aber viel geringer bewertet, sie wurden als Verdienstjahre gewertet.

Was ist der Versorgungsausgleich? Auch wenn ein Partner – meist die Partnerin – eine Zeitlang nicht gearbeitet hat, stürzt sie das nur in den seltensten Fällen ins Elend. Denn nach bundesdeutschem Rentenrecht bekommt die Frau für diese Zeit die Hälfte der Rentenansprüche, die ihr Mann erarbeitet hat. Das nennt sich Versorgungsausgleich. Von dieser Regelung profitieren aber all jene nicht, die schon zu DDR-Zeiten geschieden wurden. Den Versorgungsausgleich gibt es in der BRD seit den 1970er Jahren.

Frauen wollen Anerkennung der Lebensleistung

Weil die Frauen in der DDR gut abgesichert und nicht vom Mann abhängig waren, wurden während der Ehe erworbene Rentenansprüche zwischen den Partnern nicht geteilt, wie es in der Bundesrepublik geschah. "In der DDR gab es keinen Versorgungsausgleich, warum sollte es ihn jetzt geben – das war das Argument von Finanzminister Schäuble", erklärt Gerlinde Scheer. Sie ist im Vorstand des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen und empfindet diese Argumentation als zynisch.

Die Folge: Etwa 150.000 der in der DDR geschiedenen Frauen und damit die Hälfte der Betroffenen, lebt heute in Armut – sie bekommen weniger als die 960 Euro, die als Armutsgrenze gelten. Den Frauen fehlt laut Aussagen des Vereins im Schnitt etwa ein Viertel der Rente. Hinzu kommt, dass Löhne und Renten in der DDR niedriger lagen als in der Bundesrepublik. "Das wurde bei der Rentenberechnung nicht beachtet", sagt Gerlinde Scheer. Es geht um etwa 100 bis 400 Euro, die jede Betroffene mehr bekommen müsste. "Das ist der Unterschied, der das Leben annehmbar machen würde", betont Vera Hesse, "wir wollen keinen Reichtum. Nur eine Anerkennung unserer Leistungen."

Die Forderung: Ein Fonds

Die Frauen fordern nicht, dass ihre Exmänner, falls sie noch leben würden, ihre Renten aufstocken. Sie wollen einen steuerfinanzierten Fonds, aus dem Entschädigungen und ab sofort höhere Renten gezahlt werden. "Letzteres ist wichtig, weil Entschädigungen in unserem juristischen System meist nicht mehr als dreistellige Zahlen sind", so Marion Böker. Die Menschenrechtsberaterin aus Berlin unterstützt den Verein seit Jahren.

Der Aufwand sei zu hoch und die Finanzierung unklar – das sieht Böker als Gründe dafür, dass sich bisher nichts getan hat. "Das Thema wird auch noch zu wenig verstanden", meint sie. "Natürlich würde es einiges kosten, Entschädigungen und höhere Renten zu zahlen – aber es spielt auch eine ideologische Komponente eine Rolle: Hätte man das DDR-Rentensystem beibehalten, wäre das eine Anerkennung für die gute Absicherung für Frauen in der DDR gewesen." 

Bitten an die Regierung bisher ungehört

Geldstücke und Rente
Auch ein UN-Ausschuss hat sich schon mit der Ungerechtigkeit für die in der DDR geschiedenen Frauen beschäftigt. Bildrechte: imago/Steinach

So ist politisch bisher wenig passiert. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) von 1991 wurde auch eine Entschließung des Bundestags getroffen, bis 1997 eine Rentenreform zu verabschieden, die die frauenspezifischen Elemente des DDR-Rentensystems in Westrecht überführt. Im Jahr 2000 verabschiedete der Bundestag eine Initiative, eine "zeitnahe" Lösung des Problems zu finden. Zehn Jahre später bat der Bundesrat die Bundesregierung erneut, eine Lösung zu finden. 2011 nahm sich der UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen (UN-CEDAW) der Problematik an und untersuchte sie. Im März 2017 forderte der UN-Frauenrechtsausschuss Deutschland auf, einen Ausgleichsfonds einzurichten, der die Rentenberechnung korrigiert und die geschiedenen Frauen entschädigt.

Doch nun könnte noch mehr Bewegung in das Thema kommen. Der Vorstand des Vereins geschiedener DDR-Frauen durfte am Donnerstag im Bundestag sprechen; weitere Mitglieder demonstrierten zeitgleich vor dem Gebäude. Der Frauenrechtsausschuss der Vereinten Nationen hat die Bundesregierung schon im Februar 2017 dazu aufgefordert, einen Umsetzungsbericht vorzulegen, wie die Frauen entschädigt werden sollen. Bis Februar 2019 soll das geschehen.

Über die Autorin Christine Warnecke ist gebürtige Niedersächsin und arbeitet seit September 2017 bei MDR SACHSEN-ANHALT für die Radio- und Online-Redaktion, insbesondere das Studio Magdeburg. Davor hat sie in Praktika bei der Bild-Zeitung Hannover, bei Radio mephisto 97.6 und der Zeitung "Costa del Sol"-Nachrichten in Spanien Erfahrung gesammelt. Sie studierte Journalistik an der Universität Leipzig und volontierte bei der Neuen Westfälischen Zeitung in Bielefeld. Nach diesem Abstecher in den Teutoburger Wald fühlt sie sich nun fast überall nahe der elbischen Fluten wohl.

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Quelle: MDR/lk

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. Juni 2018 | 13:00 Uhr

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