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Jerichower LandNiegripp: Wo sich die Zugezogenen um den Heimatverein kümmern

20. September 2019, 18:10 Uhr

Dörfliche Regionen gelten oftmals als abgehängt. Doch auch hier gibt es Menschen, die sich um die Zukunft ihrer Heimat kümmern. In Niegripp hat sich vergangenes Jahr ein Heimatverein gegründet, der die Gemeinschaft stärken will. Teil 2 der Reihe zu Zukunftschancen im Jerichower Land.

von Kalina Bunk, MDR SACHSEN-ANHALT

"Ich wollte hier noch nie weg. Niegripp war für mich immer schon ein Kleinod." Wenn Kerstin Ackmann über ihre Heimat spricht, dann schwärmt sie. Und wenn man durch den 1.000-Einwohner-Ort spaziert, versteht man, was sie meint. Direkt an den Ort grenzt ein Landschaftsschutzgebiet, ringsherum sind die Elbe, der Elbe-Havel-Kanal und der Niegripper See. In der Ferne sieht man die Kaliberge in Zielitz. Ansonsten gibt es nur eine große Haupt- und ein paar Nebenstraßen.

Trotzdem ging es für Ackmann irgendwann in die Großstadt, nach Düsseldorf – der Arbeit und des Studiums wegen. Doch die Sehnsucht nach der Heimat blieb. Als sie nach ein paar Jahren dann nach Sachsen-Anhalt zurückzog, fehlte allerdings etwas. "Ich bin wiedergekommen und habe festgestellt, dass die Gemeinschaft, wie ich sie früher kannte, irgendwie abgerissen war", erzählt Ackmann. Viele Bekannte von früher waren nämlich weggezogen oder es gab einfach keinen Kontakt mehr.

Verein soll Zukunft lebenswert machen

Allerdings hatte Niegripp nun auch einige neue Gesichter. Kristin Meier zum Beispiel. Auch sie hatte Lust, die Gemeinschaft im Ort zu stärken – mit kreativen Projekten. Zusammen mit einigen anderen jungen Eltern im Ort gründeten die Frauen deswegen vergangenes Jahr den Verein "Niegripper Heimatfreu(n)de zwischen Fluss und See".

Über die Reihe "Zukunftschancen im Jerichower Land"

Welche Regionen in Deutschland haben die besten Zukunftsaussichten? Dieser Frage ist das Wirtschaftsforschungsinstitut "Prognos" nachgegangen. Verglichen wurden dabei zum Beispiel Daten zur Bevölkerungsentwicklung, zur Kaufkraft, zur Kriminalitätsrate sowie zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

In der im Sommer veröffentlichten bundesweiten Studie schnitten die meisten Landkreise Sachsen-Anhalts nicht gut ab, darunter das Jerichower Land. Der Kreis landete auf Platz 399 von 401. Aber auch hier gibt es engagierte Menschen, die ihre Heimat schätzen und sich für eine positive Entwicklung der Region einsetzen. Um sie geht es in unserer Reihe zu Zukunftschancen im Jerichower Land.

Die Mitglieder des Heimatvereins wollen das Dorf lebendig halten. Ein Anliegen, das offenbar viele hatten. "Nach der Gründung kamen sie wirklich alle, wir brauchten gar nichts machen. Plötzlich waren wir dann 40 Leute, die intensiv etwas bewegen wollen. Und dabei ist es auch geblieben", sagt Meier.

Seitdem gibt es Schreibwerkstätten für Kinder und Eltern, Lesungen, Töpferaktionen, der Verein macht beim Weihnachtsmarkt mit, beim Erntedankfest, veranstaltet Floh- und Pflanzenmärkte. "So kommen Menschen wieder zusammen. Es ist wichtig, sich neben der Arbeit auch um diesen sozialen Bereich zu kümmern", meint Ackmann. Durch den Verein würden sich auch Menschen einbringen, die sich sonst vielleicht nicht trauen.

Neu-Niegripper bewegen etwas

Das Ungewöhnliche am Heimatverein: Er besteht größtenteils aus Zugezogenen. Inzwischen haben sich aber auch "Ureinwohner" angeschlossen. "Die wollten erstmal vorsichtig gucken", erzählt Peggy Degener, die ebenfalls Vereinsmitglied ist. "Jetzt tut man sich generationsübergreifend gut, gibt einander etwas", ergänzt Mandy Friedrich aus dem Verein.

Durch mehrere Aktionen wurden Jung und Alt bereits zusammengebracht. Die älteren Bewohner haben dabei historische Fotos des Ortes aus ihren Alben herausgekramt. Sie wurden digitalisiert, zum Teil auf Acrylplatten gedruckt und sind nun an mehreren Plätzen in Niegripp angebracht. An den Stellen kann man jetzt sehen, wie es dort früher aussah.

Was Niegripp aus Sicht des Heimatvereins braucht, ist ein Ort für Begegnungen. Denn hier gibt es ein Problem, das viele Dörfer haben. Es existieren zwar eine Grundschule und eine Kita. Aber der Konsum wird schließen und wie es mit den beiden Gaststätten weitergeht, ist ebenfalls ungewiss. Der Heimatverein will das Gebäude des alten Einkaufsladens deswegen erhalten und als Vereinsgebäude nutzen, später vielleicht mal eine Grundversorgung anbieten. Denn bis auf einen Kiosk bleibt im Ort sonst keine Einkaufsmöglichkeit.

Da wird man teilweise auch belächelt von den Alteingesessenen. Aber wenn es keiner anpackt, wird das nie was.

Kerstin Ackmann, Niegripper Heimatverein

In Dörfern wird Ehrenamt gebraucht

Angst davor, dass ihr Zuhause veröden könnte, ist den Niegripperinnen nicht anzumerken. Sie wollen ihre Zukunft anpacken. Zurück in die Stadt zu ziehen, ist für sie keine Option, sie schätzen die Nähe zur Natur und ihren Freundeskreis im Jerichower Land. Aber sie sind sich einig: Auf dem Land müsse man sich stärker ehrenamtlich einbringen, wenn man das Leben am Wohnort positiv gestalten wolle. In den Städten sei dagegen vieles gegeben.

Aus Sicht der Landesregierung ist das Ehrenamt sogar einer der wichtigsten Faktoren, um attraktive Lebensbedingungen im ländlichen Raum zu erhalten – neben Mobilität, medizinischer Versorgung und dem Internetausbau. Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, SPD und Grünen heißt es: "Das ehrenamtliche Engagement hat für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine herausragende Bedeutung. Ob Deutscher Landfrauenverband, Landjugend, Naturschutz-, Landschaftspflege- oder Heimatverbände; sie alle leisten einen unschätzbaren Beitrag für die Entwicklung unseres Landes."

Kerstin Ackmann, Kristin Meier, Peggy Degener und Mandy Friedrich haben ihr Kleinod Niegripp bereits ein wenig weiterentwickelt – und nehmen sich vor, das auch weiter zu tun. Sie wollen mit den anderen im Dorf weiter zusammenwachsen und gemeinsam dort alt werden.

Über die AutorinKalina Bunk arbeitet seit 2015 für MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online- und in der Hörfunkredaktion. Sie schreibt für mdrsachsenanhalt.de, verfasst und spricht die Nachrichten im Radio und ist als Reporterin im Land unterwegs. Aufgewachsen ist sie in Bremen. Dort und in Madrid studierte sie Kulturwissenschaft und Germanistik. Danach war sie für mehrere private Radiosender in Bremen und Berlin tätig. An der Arbeit als Redakteurin fasziniert sie, dass jeder Arbeitstag anders aussieht und dass man täglich etwas Neues dazu lernt.

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Quelle: MDR/kb

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Juli 2019 | 15:00 Uhr