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Fehlender Hochwasserschutz Leben mit der Angst: Lostau wartet seit fast zehn Jahren auf den Deich

08. Oktober 2022, 15:36 Uhr

Die Müllers aus Lostau im Jerichower Land sind sauer. Sie haben alles gemacht, was in ihrer Macht stand: Spundwände gesetzt und Pumpen rangeholt. Und trotzdem hatten sie Hochwasser im Haus. Ein Deich, der so etwas künftig verhindern sollte, war vor Jahren versprochen worden. Doch bis jetzt ist nicht viel passiert. Die Behörden sprechen von Kommunikationsfehlern.

Am Rand von Alt Lostau ist viel Idylle: Grüne Wiesen, Störche auf der Suche nach Futter. Claus Dieter Müller steht im Garten hinter seinem Haus am Ende der Dorfstraße. Nach ihm kommt nur noch die Weite. Er genießt den Blick und die Stille.

Das war jedoch schon anders: 2013 war Müller in Chemnitz unterwegs, zu Besuch bei den Kindern, als es zu regnen beginnt. Ein ungutes Gefühl überkommt ihn: Der Regen wirft Blasen auf dem Asphalt. Das hatte er schon einmal erlebt. 2002 wurde sein Haus vom Hochwasser heimgesucht, 2013 steigen die Pegel Juni dramatisch an. Für Familie Müller ist klar: Sie wollen nur noch nach Hause.

Aussichtsloser Kampf gegen die Fluten

Als Müllers 2002 von den Fluten heimgesucht wurden, haben sie vorgesorgt: Das Haus wurde befestigt, es wurde ein Notfallplan erarbeitet: "Der alte Bahndamm in Lostau hat bei der letzten Flut das Wasser nicht zurückhalten können. Ich wusste, wir brauchen mehr Höhe", so Müller im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

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Darum hatte er nicht nur Pumpen von seiner Familie aus Hamburg organisiert, die sein Grundstück vom Wasser befreien sollten, sondern auch Spundwände für 20.000 Euro, die eine Firma in Windeseile aufstellte. "Klar, das ist viel Geld, aber im Vergleich zu den möglichen Schäden: Das war's mir wert."

Hinter ihrer künstlichen Hochwassersperre harren sie aus und pumpen drückendes Wasser ab. In der Nacht zum 7. Juni steigen die Pegel aber weiter. "Der Strom war weg, wir haben unsere Notstromaggregate angeworfen. Nur mit Taschenlampen saßen wir im Haus. Es war gespenstisch." Dann floss das Wasser über den künstlichen Deich und stand über einen Meter im Haus. Zum zweiten Mal wussten Müllers: Wir müssen von vorn anfangen.

Neuanfang mit der Hoffnung auf Schutz

Als Familie Müller 2002 schon einmal vor dem Nichts stand, waren die Voraussetzungen jedoch andere: "Damals hatten wir noch eine Versicherung gegen Elementarschäden. Diese hat uns jedoch gekündigt. Wir waren also unversichert. Zunächst haben wir anderthalb Jahre bei Freunden in Möser gewohnt. Und hatten sogar den Plan, auf deren Grundstück ebenfalls zu bauen."

Das Land Sachsen-Anhalt und die Gemeinde überzeugten sie: Wenn Müllers in Alt Lostau bleiben, gebe es einen Ausgleich für die Schäden und Schutz gegen künftige Hochwasser, hieß es. "Es sollte der Charakter des alten Dorfes erhalten werden, hatte die Landesregierung gesagt und dass wir uns keine Gedanken machen sollen: 'Ihr bekommt sehr kurzfristig einen Deich.'" Das war 2013. Seitdem wurde viel Papier beschrieben, Termine wurden gemacht und Pläne wieder verworfen. Schon jetzt ist klar: Auch 2023 wird es keinen Spatenstich für einen Deich in Lostau geben.

Frust über viel Bürokratie und die Angst vor der nächsten Flut

Schon im September 2013 stand der Deichbau in Lostau auf der Dringlichkeitsliste weit oben. Vier Varianten wurden dem Ortschaftsrat vorgestellt. Geplanter Baustart: 2017. Für fast zehn Millionen Euro. Doch dann verzögert sich das Projekt. Spätestens die Corona-Pandemie lässt das Verfahren weiter ins Stocken geraten. 2021 landet endlich der Bauabschnitt "Altes Dorf Lostau" zur Prüfung beim Landesverwaltungsamt. Hier zieht man die Notbremse: Es muss erst ein Planfeststellungsverfahren erfolgen.

Nach fast zehn Jahren steht das Projekt damit wieder auf Anfang: "Es wurde uns von Jahr zu Jahr vom Hochwasseramt versprochen: Der Deich kommt. Insgesamt wurden schon 400.000 Euro für Planungen ausgegeben. Jetzt heißt es aus dem Hochwasseramt‚ für Lostau liegt keine weitere Priorität vor, da wird nichts gebaut, wir haben wichtigere Planungen, wurde uns gesagt."

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Müller ist seit diesem Jahr in Rente. Er hat das Haus als Altersvorsorge gebaut. Noch einmal "Absaufen", sagt er, kann er sich nicht leisten. Und die Angst vor dem nächsten Hochwasser steht jedes Jahr wieder vor der Tür. "Es macht mich ohnmächtig. Wir hatten einen fürchterlich trockenen Sommer. Der Boden ist verdichtet, nimmt kein Wasser auf. Ein heftiger Regen kann dazu führen, dass es uns wieder richtig schlecht geht."

Kein Termin in Sicht

Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT teilt der Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) mit: "Die Umsetzung der Maßnahme steht hier in keiner Weise in Frage. Dies wurde auch in einem Arbeitsgespräch zwischen dem LHW und dem Bürgermeister der Gemeinde Möser im Juli dargelegt. Die nächsten Arbeitsschritte zur Erlangung der erforderlichen wasserrechtlichen Genehmigung als Grundlage zur Umsetzung der Maßnahme werden derzeit im LHW durchgeführt."

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Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch das zuständige Ministerium: "Umweltministerium und LHW stimmen darin überein, dass die Maßnahme Deichlückenschluss Gerwisch – Lostau weiterhin eine hohe Priorität hat und im Zeitraum 2022 bis 2027 einen Bearbeitungsschwerpunkt darstellt. Die geplanten Gesamtkosten betragen ca. 13.660.000 Euro."

Die Lostauer machen Druck bei der Landesregierung und dem Landtag

Jetzt soll die Politik vermitteln: Müller hatte sich bereits während der Landtagswahl 2021 an seine Abgeordneten vor Ort gewendet. Das Interesse war zunächst groß. Viele Mails wurden geschrieben, nach der Wahl blieb jedoch nur Elrid Pasbrig von der SPD am Thema dran, sagt Müller. Der Petitionsausschuss im Landtag sollte helfen. Für Müller der erste Termin in so einem Kreis. Mit dabei: Vertreter des LHW und des Umweltministeriums. Nervös notiert der Mitarbeiter des Hochwasserbetriebs die Fragen von Müller und Pasbrig. Auf vieles gibt es keine Antworten.

Nach der Sitzung: der Versuch, zu beschwichtigen: Vieles sei nicht gut kommuniziert worden, gesteht der Mitarbeiter ein. Müller macht klar: "Wenn jetzt der Deich ein Planfeststellungsverfahren kommt, braucht das acht Jahre. Ich habe Krebspatienten betreut. Ich weiß, wie es ist gegen die Zeit, zu arbeiten", sagt der ehemalige Mediziner. Pasbrig ist etwas zuversichtlicher: "Das ist leider nicht das erste Hochwasserprojekt, das wir im Petitionsausschuss behandeln müssen. Zumindest ist uns jetzt Transparenz versprochen worden."

Bereits Anfang des nächsten Jahres will der Ausschuss erneut die Behörden befragen, wie es mit dem Deichbau vorangeht. Noch besteht die Hoffnung, dass es nicht acht Jahre dauert bis der Deich kommt.

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MDR (Lars Frohmüller, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 07. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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