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Kita-SozialarbeitWie eine Sozialarbeiterin den Kita-Platz des kleinen Tommy gerettet hat

06. Februar 2022, 17:21 Uhr

Noch ist Kita-Sozialarbeit in Sachsen-Anhalt eine Seltenheit – ein Beispiel aus Magdeburg zeigt jedoch, warum sie so wichtig sein kann. Wie Sozialarbeiterin Sophie Kelm den Kita-Platz des kleinen Tommy gerettet hat – und warum ihre Zukunft in der Kita trotzdem noch ungewiss ist.

  • In vielen Schulen gibt es inzwischen Sozialarbeiterinnen und -arbeiter. In Kitas sind sie noch die Ausnahme. In Magdeburg etwa haben nur 18 von 143 Kitas eine Sozialarbeiterin.
  • Die Geschichte von Sozialarbeiterin Sophie Kelm zeigt aber, wie wichtig die Sozialarbeit in Kitas sein kann – nicht nur für Kinder und ihre Eltern.
  • Auch deshalb hoffen Eltern, Einrichtung und Jugendamt auf eine Fortführung der Kita-Sozialarbeit. Das aber hängt am Geld.

Wenn Sophie Kelm den Raum betritt, dann wird erst einmal getanzt. Das ist inzwischen ein liebgewonnenes Begrüßungsritual. Denn die Kinder der Kita "Die Brücke" in Magdeburg freuen sich, wenn sie kommt. Und natürlich: Die 28-Jährige tanzt mit. 

"Dadurch bin ich viel näher dran, als wenn ich nur in der Tür stehen und zugucken würde", sagt Sophie Kelm. "Das ist ganz wichtig, dass man auf die Kinder drauf zugeht, sich auf ihre Ebene begibt und im Geschehen dabei ist."

Mittendrin, das sind Kita-Erzieherinnen jeden Tag. Doch Sophie Kelm ist keine Erzieherin, sondern Sozialarbeiterin. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeitet sie nun schon in der Kita im Stadtteil Olvenstedt. Und sie sagt: "Zu sehen, wie viel ich mit meiner Arbeit für die Familien erreichen kann, ist ein tolles Gefühl."

In 18 Magdeburger Kitas sind Sozialarbeiterinnen im Einsatz – 143 Einrichtungen gibt es insgesamt. Bildrechte: MDR/Daniel George

Hilfe für Kinder, Eltern und Erzieherinnen

Sozialarbeit in der Kita, das ist noch eher eine Seltenheit in Sachsen-Anhalt. Denn finanzielles Engagement der Städte und Kommunen ist gefragt. So wie in Magdeburg. Dort gibt es seit Dezember 2020 in 18 Kindertagesstätten, meist in sozial schwächeren Stadtteilen, jeweils eine Kita-Sozialarbeiterin. Zur Einordnung: 143 Kitas gibt es in der Landeshauptstadt insgesamt.

Seit Dezember 2020 gehört Sophie Kelm zum Team der Kita "Die Brücke". Anders als die Erzieherinnen arbeitet die 28-Jährige nicht nur mit den Kindern. Auch den Eltern hilft sie bei Problemen, genau wie den Mitarbeiterinnen der Einrichtung und der Kita-Leitung.

"Ich kannte das im Vorfeld überhaupt nicht", sagt Ellen Raddatz, die Leiterin der Kita, über die Kita-Sozialarbeit. Aber: "Seitdem Sophie bei uns ist, kann ich viele Dinge abgeben. Zum Beispiel Problemfälle mit Kindern, mit Familien. Es ist für mich ein gutes Gefühl, dass es jemanden gibt, mit dem ich mich austauschen und beraten kann. Und dann weiß ich, dass die Familie oder das Kind dort in guten Händen ist."

Wenn der Kita-Platz in Gefahr ist

Auch Tommy tanzt an diesem Montagmorgen im Januar zur Begrüßung von Sophie Kelm. Ein lebhafter Junge mit blondem Haar, fünf Jahre alt. Er spielt ganz unbeschwert. Doch im vergangenen Jahr hätte Tommy seinen Kita-Platz fast verloren. Der Grund: nicht gezahlte Beiträge. Seine Mutter Melanie Zivny hatte sich im Bürokratie-Dschungel verloren.

Die Erzieherin von Tommy machte Sophie Kelm auf die Situation aufmerksam. Die wiederum nahm Kontakt zur Mutter auf. "Wir haben die Probleme dann gemeinsam angepackt", sagt die Sozialarbeiterin. "Im Fokus stand dabei immer Tommy. Das ist so ein bisschen mein Motto: Ich bin Anwältin des Kindes. Denn wenn es familiär alles in den richtigen Bahnen abläuft, geht es auch dem Kind gut."

Melanie Zivny nahm die Hilfe der Sozialarbeiterin dankend an – auch, wenn es ihr zu Beginn schwer fiel, sich zu öffnen. "Es ist schwer gewesen, diesen Schritt zu wagen", sagt die 36-Jährige heute. "Wir haben uns drei-, viermal gesehen. Da hat sie dann gesagt: 'Irgendwas stimmt nicht'. Und dann habe ich die Karten auf den Tisch gepackt und die Wahrheit auch gesagt. Also es hat eine Weile gedauert, aber dann habe ich mit ihr über alles geredet."  

Sophie Kelm unterstützte die alleinerziehende Mutter bei Anträgen für das Jugendamt und das Jobcenter, gab Rat bei anderen privaten Problemen. Und manchmal half es schon, dass sie einfach nur zuhörte. "Sie ist auch persönlich für mich da gewesen und hat eigentlich mehr geleistet, als sie hätte müssen", sagt Melanie Zivny. "Dafür bin ich ihr sehr dankbar."

Der Kita-Platz von Tommy ist inzwischen gerettet. Zu wissen, dass sie helfen konnte, ist für die Sozialarbeiterin das größte Lob. So sagt Sophie Kelm:

Finanzierung läuft aus – Zukunft noch ungewiss

Das Beispiel von Sophie Kelm zeigt, wie wichtig Sozialarbeit in Kitas sein kann. Zumal die 28-Jährige mit mehreren Familien zusammenarbeitet, unter anderem auch Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund anbietet.

"Die Gesellschaft wird immer vielfältiger und es gibt ganz unterschiedliche Lebenswelten. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen und Bedarfe in den Einrichtungen. Diese müssen individuell begleitet werden, um allen Kindern die gleiche Chance zu geben", sagt Christin Rose, die beim Jugendamt Magdeburg für die Kita-Sozialarbeit zuständig ist. "Der präventive Ansatz, Benachteiligungen von Kindern abzubauen, kann durch die Unterstützung der Kita-Sozialarbeiter*innen gesichert werden. Sie haben die Möglichkeit, die Eltern ganz individuell und ausführlich zu beraten und zu begleiten. Dafür fehlt den Erzieher*innen im stressigen und oft turbulenten Kita-Alltag meist die Zeit."

Finanziert wird die soziale Arbeit in den Magdeburger Kitas zum einen vom Land und zum anderen aus dem Haushalt der Stadt. Die Finanzierung der Stelle von Sophie Kelm läuft allerdings Ende 2022 aus. Noch ist ihre Zukunft in der Kita "Die Brücke" offen. Christin Rose erklärt: "Momentan ist noch ungewiss, wie es für fünf Standorte nach 2022 weitergeht, da dann die Mittel aus dem Gute-Kita-Gesetz nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir hoffen auf ein frühzeitiges Signal der Landesregierung, ob auch nach 2022 – nach Auslaufen der Bundesmittel – finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Aufgebaute Strukturen würden ansonsten wegbrechen."

Mutter Melanie Zivny sagt jedenfalls: "Frau Kelm muss bleiben. Das steht außer Frage. Sie ist freundlich, ein herzensguter Mensch und immer für alle da. Gerade für alleinerziehende Eltern wie mich ist sie eine große Unterstützung." Und auch für Kita-Leiterin Ellen Raddatz ist klar:

Das Sozialministerium erklärt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT zur Zukunft der Kita-Sozialarbeit: "Im Koalitionsvertrag wurde das Ziel verankert, die hohe Qualität von Bildung und Betreuung sowie die Teilhabe von benachteiligten Kindern abzusichern und im Rahmen des Gute-Kita-Gesetz den Mindestpersonalschlüssel in den Kitas mit besonderen Bedarfen zu erhöhen. Dabei sollen unter anderem auch Sozialarbeiter*innen eingesetzt werden können."

Und zur Kita-Sozialarbeit in Magdeburg heißt es: "Als Land begrüßen wir das kommunale Engagement und den Ansatz, individuelle Benachteiligung durch sozialarbeiterische Begleitung auszugleichen."

Die Chancen, dass die Kita-Sozialarbeit in Magdeburg längerfristig fortgesetzt wird, stehen also wohl nicht schlecht – zumindest, wenn Land wie Stadt die Kita-Sozialarbeit tatsächlich weiter fördern. Sophie Kelm jedenfalls hofft, dass es weitergeht – und sie noch lange von tanzenden Kindern begrüßt wird.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. Februar 2022 | 19:00 Uhr

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