Anschlag in MagdeburgEhrenamtliche Einsatzkräfte erinnern sich: "Es war schlimmer als erwartet"
Als vor gut einem Monat ein Auto auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt raste, sechs Menschen tötete und 300 verletzte, begann für Hunderte ehrenamtliche Kräfte ein psychisch und kräftemäßig zehrender Einsatz. Kameraden vom Magdeburger Deutschen Roten Kreuz (DRK) erinnern sich – an ihre ersten Eindrücke, viele Aufgaben und die schlaflose Nacht, die für sie auf den Anschlag folgte.
- Die Freiwilligen vom DRK Magdeburg wurden am Abend des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt zu einem "Unfall mit mehreren Verletzten" gerufen.
- Vor Ort empfanden sie die Situation als einschüchternd und schlimmer als erwartet.
- Die Helfer bekamen auch selbst Hilfe – in Form von vielen Gesprächen.
Es war kurz nach 19 Uhr, als Sascha Paasche am 20. Dezember den Voralarm über eine Notfallapp erhielt. Ein Unfall mit mehreren Verletzten wurde gemeldet – auf dem Weihnachtsmarkt. Blitzartig schoss dem Bundeswehr-Ausbilder der Gedanke durch Kopf: "Das kann kein Unfall sein!" Wie er ließen die anderen Mitglieder des DRK-Regionalverbands Magdeburg/Jerichower Land an diesem Freitagabend vor Weihnachten alles stehen und liegen und fuhren zu ihrem Stützpunkt.
Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburg: Das ist keine Übung
"Wir haben kontrolliert, ob die Ausrüstung vollständig und einsatzbereit ist", erinnert sich Sascha Paasche. Erst dann ging es für die 26 ehrenamtlichen Helfer des DRK in Richtung Weihnachtsmarkt. "Mein erster Eindruck am Weihnachtsmarkt war: Das ist keine Übung, das ist ein Ernstfall. Es war schlimmer als erwartet." Die Kameraden des DRK verschafften sich einen Überblick und sahen sich um, wo sie helfen konnten.
Überwiegend ehrenamtliche Helfer
"Der erste Eindruck war einschüchternd", ergänzt Philipp Barnebeck, der im Hauptberuf für einen großen Versicherer arbeitet und zum Sanitätsdienst gehört. "Wir machen das alle ehrenamtlich, und es waren so viele vor Ort. Wir hatten ja schon unterwegs gehört, was der Hintergrund ist." Die DRK-Kameraden und -Kameradinnen, die sonst Lehrerin, Hausmeister, Elektriker, Sekretärin oder Studenten sind, packten an, wo sie gebraucht wurden. Sie bauten Zelte auf, verteilten Decken, kümmerten sich um Tee und Essen für die Einsatzkräfte, betreuten Verletzte, fuhren sie ins Krankenhaus. Die meisten Helfer in dieser Nacht waren Ehrenamtliche.
In wenigen Stunden alle Verletzten versorgt
"Es waren über 500 Einsatzkräfte", sagt Sascha Paasche. "Feuerwehrleute, Rettungsdienste, Notfallseelsorger aus Magdeburg und dem Umland." Vieles lief in dieser Nacht, ohne nachzudenken. Jeder wusste, was er zu tun hat – wenngleich es Übungen in dieser Größenordnung nie gegeben hat. Doch die vielen kleinen Übungen, zum Teil mit anderen Hilfsorganisationen zusammen, waren eine große Hilfe. "Wir haben viel geleistet. In weniger als fünf Stunden waren alle Verletzten komplett versorgt und an Krankenhäuser übergeben." Auch Philipp Barnebeck bekräftigt: "Wir waren gut vorbereitet, auch wenn man einen Einsatz dieses Ausmaßes nicht trainieren kann." Die Routine half, die Aufgaben zu bewältigen.
Wir haben viel geleistet. In weniger als fünf Stunden waren alle Verletzten komplett versorgt und an Krankenhäuser übergeben.
Sascha Paasche | Ehrenamtlicher Helfer beim DRK
Hilfe für die Helfer vom Weihnachtsmarkt
Gegen 1:30 Uhr waren die Kameraden des DRK wieder in ihrem Stützpunkt. Erst zu Hause wurde Sascha Paasche bewusst, was sie alle an diesem Tag hatten bewältigen müssen. "Keiner von uns kam in den Schlaf. Am Samstag konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Die Andacht auf dem Domplatz hat mir sehr geholfen", erzählt Sascha Paasche.
Um 3:30 Uhr war Philipp Barnebeck daheim gewesen, tauschte sich mit seiner Frau aus. An Schlaf war auch für ihn kaum zu denken, die Gedanken kreisten.
Noch in der Nacht erhielten die Helfer Unterstützung durch Krisenseelsorger vom Verein "Hilfe für Helfer in Not". Es folgten Gespräche – viele Gespräche, um das Erlebte zu verarbeiten. "Vieles hat man vor Ort gar nicht so wahrgenommen, weil man einfach funktioniert hat", sagt Sascha Paasche. Die Gespräche im Nachgang helfen. "Jede Sorge, die man sich wegredet, ist eine aufgeweichte Sorge", umschreibt es Philipp Barnebeck.
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MDR (Annette Schneider-Solís, Luise Kotulla) | Erstmals veröffentlicht am 20.01.2025
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Januar 2025 | 19:00 Uhr
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