
Video auf TikTok Nach Magdeburg-Anschlag: Mutter und Stiefvater kritisieren Behörden – diese reagieren
Hauptinhalt
03. Januar 2025, 08:53 Uhr
Elf Tage nach dem Magdeburg-Anschlag haben die Mutter und der Stiefvater des getöteten Neunjährigen schwere Vorwürfe gegen die Behörden erhoben. Sie kritisieren vor allem, dass sie ihr Kind bislang nicht sehen durften. – Nun hat das Innenministerium reagiert. Es erklärt die Verzögerungen mit der aufwändigen Identifizierung des Opfers. Außerdem sei ihnen psychologische Hilfe angeboten worden. Das betont auch der Bundesopferbeauftragte.
- Die Mutter und der Stiefvater des beim Magdeburg-Anschlag getöteten Neunjährigen kritisieren, dass sie ihr Kind bis zum Jahresende nicht sehen durften.
- In einem Video, das bereits millionenfach angeschaut wurde, kritisieren sie die Behörden – sie fühlten sich im Stich gelassen.
- Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt bedauert die Verzögerungen und erklärt, wie es dazu kam. Der Bundesopferbeauftragte verweist auf Hilfsangebote.
Nach schweren Vorwürfen gegen die Behörden im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat sich das Innenministerium von Sachsen-Anhalt geäußert. Konkret geht es um die Mutter und den Stiefvater des neunjährigen Jungen aus Niedersachsen, der bei dem Anschlag am 20. Dezember getötet worden war. Er ist das jüngste der fünf Todesopfer.
Mutter und Stiefvater fühlen sich von Behörden im Stich gelassen
Auf der Internetplattform TikTok haben die Mutter und der Stiefvater des Jungen ein Video veröffentlicht. Darin kritisieren sie, dass sie ihren Sohn nicht sehen dürfen beziehungsweise noch nicht Abschied nehmen konnten.
Jetzt sollen noch mal zwei Tage vergehen, bis wir unser Kind sehen dürfen. [...] Ich verstehe nicht, warum man da eine Mutter noch so leiden lässt.
Sie fühlten sich vom Staat und der Stadt Magdeburg im Stich gelassen und "tierisch verarscht". Und weiter heißt es: "Wir sind jetzt bei Tag elf und mit jeder Sekunde schwindet die Hoffnung, dass wir unser Kind nochmal sehen dürfen." Außerdem kritisieren die beiden, dass sie bisher nur von privater Seite Hilfe bekommen hätten, abgesehen von einem Formbrief des Opferschutzes.
Der Staat und Magdeburg lassen uns tierisch im Stich und machen uns das Leben gerade so richtig schwer.
Innenministerium verweist auf kriminaltechnische Standards
MDR SACHSEN-ANHALT liegt zu den Vorwürfen ein Schreiben von Innenstaatssekretär Klaus Zimmermann an die Landtagsfraktionen vor. Darin heißt es, es sei außerordentlich bedauerlich, dass bisher noch kein Termin für die Eltern zur Verabschiedung von ihrem Sohn ermöglicht werden konnte. "Der Grund hierfür ist, dass zwar die Freigabe des Leichnams des verstorbenen Jungen seitens der Justiz relativ schnell erfolgt ist.
Polizeilich konnte der Leichnam des verstorbenen Jungen aber noch nicht freigegeben werden, da bei einem solchen Ereignis (Anschlagsszenario mit mehreren getöteten Personen) die bundesweit geltenden Standards der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts eingehalten werden müssen. Das heißt, die Identifizierung von Toten muss erfolgen über den Abgleich mit Fingerabdrücken oder DNA-Material oder Zahnstatus."
Bei dem getöteten Jungen könne die Identifizierung nur anhand des Abgleichs mit DNA-Material der leiblichen Mutter oder des leiblichen Vaters erfolgen. Fingerabdrücke des Jungen lägen nicht vor und sei auch nicht gelungen, einen behandelnden Zahnarzt zu ermitteln. Um ein beweissicheres Strafverfahren durchführen zu können, seien diese Standards der kriminaltechnischen Untersuchungen einzuhalten.
DNA der Mutter erst zu Silvester eingefordert
In dem Schreiben heißt es weiter: Da im Landeskriminalamt (LKA) durch den "Einsatzabschnitt Betreuung" bekannt gewesen sei, dass es der Mutter des verstorbenen Jungen sehr schlecht gehe, sei man aus Gründen der Pietät erst am Silvestertag an sie herangetreten, um Vergleichs-DNA-Material zu erhalten. An diesem Tag hatten sie und ihr Partner ihr Video bei TikTok öffentlich gemacht. Es wurde bis Donnerstag mehr als drei Millionen Mal aufgerufen.
Psychologische Hilfe angeboten
Unabhängig davon stehe das LKA mit der Familie im Kontakt. Die erste telefonische Kontaktaufnahme mit der Mutter des getöteten Jungen sei in zeitlicher Nähe zum Anschlag über eine Kollegin aus dem "Einsatzabschnitt Betreuung" erfolgt. In diesem Telefonat sei ihr ein Angebot für eine Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) gemacht worden, das auch angenommen worden sei.
Auch am Dienstagabend habe der Leiter des "Einsatzabschnittes Betreuung" umgehend telefonisch Kontakt mit der Familie aufgenommen, als er von dem TikTok-Video erfahren habe. Dabei habe er die Umstände erläutert, wieso bislang die polizeiliche Freigabe des verstorbenen Jungen noch nicht erfolgt sei. Die Familie habe sich daraufhin bedankt.
Der Leiter des "Einsatzabschnittes Betreuung" bleibe weiter im direkten Kontakt mit der Familie. "Nach unserer Kenntnis hatte auch der Bundesopferbeauftragte mit den Eltern des verstorbenen Jungen direkten Kontakt." Dem Innenministerium zufolge sollen die Eltern zeitnah Abschied von dem Jungen nehmen können. Die Begleitung durch PSNV-Kräfte sei dabei vorgesehen.
Bundesopferbeauftragter: Hilfsangebot bleibt
Nach dem Innenministerium von Sachsen-Anhalt hat auch der Bundesopferbeauftragte auf Kritik an den Behörden nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg reagiert. Zum Vorwurf der mangelnden Betreuung Betroffener sagte Roland Weber MDR SACHSEN-ANHALT, nach dem Anschlag seien Betroffene innerhalb von 48 Stunden erstmals schriftlich kontaktiert worden. Neben psychologischer Unterstützung über eine kostenfreie Hotline stünden ihnen weitere Angebote zu Verfügung, beispielweise Rehabilitationsmaßnahmen und bei Bedarf auch langfristige Leistungen wie Rentenzahlungen.
Es ist eine immense Herausforderung, alle Betroffenen individuell zu erreichen, ohne sie zu bedrängen. Wir wollen helfen, aber niemanden überfordern oder zusätzlichen Schaden anrichten.
Weber sagte weiter, dass die Kommunikation in solchen Ausnahmesituationen komplex sei. Man wolle helfen, Betroffene aber nicht bedrängen oder überfordern. In der zweiten Januarwoche wolle man alle Betroffenen erneut anschreiben, um sicherzustellen, dass niemand durch das Raster falle. "Briefe können in der Belastungssituation übersehen werden. Deshalb werden wir uns weiter um die Familien kümmern."
Anmerkung der Redaktion: Aus Ressourcen-Gründen haben wir uns dafür entschieden, die Kommentar-Funktion vorübergehend zu deaktivieren. Aufgrund des großen Interesses an unseren Produkten haben wir uns dazu entschlossen, unser Personal vorwiegend für die Berichterstattung einzusetzen. Wir informieren Sie weiterhin in sozialen Netzwerken und bei "mdr.de" über aktuelles Geschehen.
MDR (Lars Frohmüller, Marcel Knop-Schieback, André Plaul) | Zuerst veröffentlicht am 2. Januar 2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Januar 2025 | 07:15 Uhr