Einsatzfahrzeuge der Polizei stehen vor dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg.
Die Polizei in Magdeburg wurde offenbar bereits 2023 vor Taleb A. gewarnt. Geantwortet wurde der Hinweisgeberin aber offenbar nicht. Bildrechte: picture alliance/dpa | Matthias Bein

MDR-Recherchen Im Herbst 2023: Polizei in Magdeburg erhielt Warnung vor Taleb A. – und hat nicht geantwortet

27. Dezember 2024, 07:00 Uhr

Taleb A., der mutmaßliche Täter von Magdeburg, war mehreren Behörden schon Jahre bekannt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Jetzt zeigen MDR-Recherchen: Auch die Polizei in Magdeburg erhielt im Herbst 2023 einen Hinweis zu dem Mann. Geantwortet hat sie offenbar nicht. Auch an anderer Stelle gibt es seit Montag Neuigkeiten: Die Polizei hat Taleb A. insgesamt zwei Mal für eine Gefährderansprache aufgesucht.

Sachsen-Anhalts Polizei hat bereits vor mehr als einem Jahr einen Hinweis zum späteren mutmaßlichen Attentäter von Magdeburg erhalten – und offenbar nicht beantwortet. Das ist das Ergebnis von MDR-Recherchen am Montag. Demnach kam der Hinweis zu Taleb A. im September 2023 von der gleichen Person, die zuvor bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Polizei Berlin kontaktiert hatte.

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Auf einem Screenshot sind Nachrichten an Behörden im sozialen Netzwerk X zu sehen.
Diese Nachrichten schrieb eine Hinweisgeberin an die Polizei in Sachsen-Anhalt. Bildrechte: MDR

Beide Behörden erklärten sich für nicht zuständig: Das BAMF verwies an die Berliner Polizei; die Berliner Polizei schickte die Hinweisgeberin zur Polizei Magdeburg. Wie die Hinweisgeberin MDR INVESTIGATIV sagte, hat sie – anders als vom BAMF und der Polizei in Berlin – von Sachsen-Anhalts Polizei aber nie eine Antwort erhalten. Ihre Meldung hatte demnach die Bitte enthalten: "Please answer, it's very urgent" – auf Deutsch: "Bitte antworten Sie, es ist sehr dringend."

Bitte antworten Sie, es ist sehr dringend.

Hinweisgeberin in Nachricht an Polizei in Magdeburg

Die Hinweise wurden allen drei Behörden den Informationen zufolge über soziale Netzwerke übermittelt, im Fall der Magdeburger Behörde per Instagram-Direktnachricht. Screenshots davon liegen dem MDR vor. Sie enthalten den vollständigen Namen, den Wohnort und das Geburtsdatum von Taleb A. – sowie einen Hinweis auf einen Tweet, mit dem dieser seine Follower fragte, ob sie ihn verantwortlich machen würden, wenn er 20 Deutsche töten würde.

Die Polizei Magdeburg teilte dem MDR am Montag auf Nachfrage zu den Vorwürfen mit, man könne mit Verweis auf laufende Ermittlungen zu den Vorgängen im Moment keine Auskünfte erteilen.

Das BAMF hatte bereits am Wochenende Stellung zu Vorwürfen bezogen, nichts mit der Warnung unternommen zu haben.

Polizei traf Taleb A. zwei Mal zu Gefährderansprache

Bereits am Sonntag nach der Tat waren Fragen lauter geworden, was den Umgang der Sicherheitsbehörden mit Taleb A. betrifft: MDR-Recherchen hatten gezeigt, dass der 50-jährige Saudi bereits Monate vor dem Anschlag eine Gefährderansprache erhalten hatte. Ein entsprechendes Protokoll liegt dem MDR vor.

In dem Schriftstück wird aus einer E-Mail von Taleb A. an die Kölner Staatsanwaltschaft zitiert, in der es heißt: "Daher habe ich kein schlechtes Gewissen für die Ereignisse die in den nächsten Tagen passieren werden (...)." Durch die Behörden waren die Worte offenbar als abstrakte Drohung gewertet worden. In dem versandten Gefährderanschreiben heißt es dazu: "Auch wenn Sie in diesem Fall keine konkreten Konsequenzen angedroht haben, werden Sie hiermit aufgefordert Schreiben in dieser Form zu unterlassen. Diese könnten unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen."

Foto eines Dokuments, das eine Gefährderansprache zeigt
Dieses Papier protokolliert nach Polizeiangaben eine erfolgte Gefährderansprache an Taleb A. Bildrechte: MDR

Hinweis: In einer früheren Variante dieses Berichts war von einer schriftlichen Gefährderansprache die Rede. Dem hat die Polizei widersprochen. Bei dem Schriftstück, das dem MDR vorliegt, handelt es sich demnach um das Protokoll einer durchgeführten Gefährderansprache.

Im Ältestenrat des Landtages gab Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) dazu am Montag neue Details bekannt: Demnach war Taleb A. im September 2023 und Oktober 2024 insgesamt zwei Gefährderansprachen unterzogen worden – einer im Revier im Salzlandkreis, einer anderen an seiner Arbeitsstelle. Bislang war lediglich bekannt, dass es einen erfolglosen Versuch gegeben hatte, Taleb A. anzutreffen – so hatte es der Direktor der Magdeburger Polizeiinspektion am Samstag mitgeteilt.

Tamara Zieschang (CDU), Ministerin für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, während der Ältestenratssitzung des Landtages
Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang am Montag im Landtag Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Zieschang erklärte am Montag, die Polizei habe nach einem Post von Taleb A. im Dezember 2023 Ermittlungen gegen den Mann aufgenommen. Auch in diesem Zusammenhang sei versucht worden, den mutmaßlichen Täter einer Gefährderansprache zu unterziehen. Polizisten hätten Taleb A. aber weder am 2. noch am 4. Dezember 2023 angetroffen. Das Verfahren sei später eingestellt worden. Ob die Gefährderansprache vor wenigen Monaten in diesem oder einem Zusammenhang erfolgt ist, blieb offen. Zieschang verwies auf den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung.

Gefährderansprache: Mahnung an noch nicht straffällig gewordene Menschen

Eine Gefährderansprache können Polizeibehörden vornehmen, wenn Menschen noch nicht straffällig geworden sind. Dafür müssen konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnte.

Juristisch gesehen existiert der Begriff des Gefährders nicht: Es handelt sich um einen Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden, den diese nach eigenem Ermessen anwenden.

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MDR (Tarek Khello, Marcus Engert, Tim Deisinger, Leonard Schubert, Maren Wilczek, Luca Deutschländer) | Zuerst veröffentlicht am 22. Dezember 2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Dezember 2024 | 17:00 Uhr

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