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Uniklinik MagdeburgEin Monat nach dem Anschlag: Tränen gehören dazu

21. Januar 2025, 10:39 Uhr

Hunderte Menschen wurden bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg körperlich verletzt. Einen Monat später stehen bei vielen Magdeburgern nun die psychischen Verletzungen im Vordergrund. Rund 350 Betroffene haben schon an der Spezialambulanz der Uniklinik Hilfe gesucht. Auch das Personal lassen die Bilder nicht los.

Der Magdeburger Thomas Eichert ist einer von rund 350 Menschen, die seit dem Weihnachtsmarkt-Anschlag vom 20. Dezember an der Uniklinik Magdeburg Hilfe gesucht haben – und zwar Hilfe für ihre Psyche. Eichert war als Besucher auf dem Weihnachtsmarkt und blieb körperlich unversehrt. Doch er sah, wie der Attentäter durch die Menschenmenge raste. Und fast wäre auch er angefahren worden.

"Als ob es eine Ewigkeit war"

"Ich stand an den Tischen an der Kopfseite vom Weihnachtsmarkt, habe mitbekommen: Da ist irgendetwas im Gange. Das Auto hat man nicht gleich gesehen. Man hat zuerst die Leute fliegen sehen", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. Dann habe er gesehen, wie ein Auto auf ihn und die Menschen um ihn herum zukam. "Ich konnte noch wegspringen, hatte keinerlei Zeit, mich nochmal umzudrehen. Ich habe nur noch zwei Leute gesehen, die neben mir standen – die wurden umgefahren. Den Moment, als das Auto vorbeifuhr, habe ich so erlebt, als ob es Minuten, als ob es eine Ewigkeit war." Schon als der Attentäter festgenommen wurde, leistete Thomas Eichert Erste Hilfe.

"Tränen gehören dazu", sagt Thomas Eichert. Und will trotzdem auch in diesem Jahr den Weihnachtsmarkt besuchen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Um das Erlebte zu verarbeiten, kommt Thomas Eichert regelmäßig in die Magdeburger Universitätsklinik, zum Zentrum für Psychosomatische Medizin. Mittlerweile hatte der 58-Jährige vier Therapiesitzungen. Die Gespräche helfen ihm. "Zurzeit kann ich besser schlafen. Die Albträume werden seltener – ich nehme abends zum Einschlafen eine Pille. Es läuft besser, auch die Abstände der Erinnerungen werden größer." In den schlimmsten Nächten konnte Eichert nachts nur noch eine halbe Stunde schlafen, tagsüber ging er arbeiten.

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Zentrum für Psychosomatische Medizin Magdeburg hilft

Professor Florian Junne, Direktor vom Zentrum für Psychosomatische Medizin, kennt viele Patienten wie den 58-Jährigen. "In der ersten Phase haben wir es mit akuten Belastungsreaktionen zu tun, das ist das umgangssprachliche Unter-Schock-Stehen", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. "Und in der zweiten Phase ist dann die Frage, ob es bei Betroffenen depressive Reaktionen gibt oder häufig auch die Posttraumatische Belastungsstörung." Das könne man acht bis zwölf Wochen nach dem Ereignis abschätzen. Doch auch noch später könne es zu solchen Erkrankungen kommen.

Auch das Klinikpersonal leidet unter den Erinnerungen an den Anschlag, erklärt Juliane Sandhöfer-Schiffner. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Und nicht nur Menschen, die als Augenzeugen oder Sanitäter auf dem Weihnachtsmarkt schreckliche Dinge gesehen haben, sind psychisch belastet. Auch Menschen wie die Pflegerische Leiterin der Notaufnahme der Uniklinik, Juliane Sandhöfer-Schiffner, haben heute noch mit den Bildern zu kämpfen. Sie war in der Nacht des Anschlags in der Notaufnahme. "Alle [Patienten vom Weihnachtsmarkt] haben sich auf Weihnachten gefreut und sind völlig aus dieser eigentlich geplanten Weihnachts-Voridylle gerissen worden. Und das macht mit uns auch etwas. Das geht an uns auch nicht spurlos vorbei."

Tränen in den Therapiesitzungen

Thomas Eichert kämpft während der Therapiesitzungen das ein oder andere Mal mit den Tränen – lässt sie aber zu. Und das ist laut den Experten der richtige Weg. Er wird auch weiterhin zum Verarbeiten in die Uniklinik kommen. "Die Kraft, die mir diese Unterstützung in den Therapiestunden gibt, ist kaum zu beschreiben", sagte er.

Er hofft, dass es für ihn wieder einen ganz normalen Alltag geben wird. "Und ich hoffe, dass auch in Zukunft, gemeinsam mit allen, die dort dabei waren, wieder Lebensfreude in Magdeburg einzieht – für die ganzen Magdeburger, so wie wir eigentlich wirklich sind." Er versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen und hat einen Besuch auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt in diesem Jahr fest im Blick.

Mehr zum Anschlag in Magdeburg

MDR (Kevin Poweska, Luise Kotulla) | Erstmals veröffentlicht am 20.01.2025

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Januar 2025 | 07:40 Uhr

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