Tamara Zieschang (CDU), Ministerin für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, während der Ältestenratssitzung des Landtages 4 min
Im Video: Innenministerin Zieschang hat im Innenausschuss am 9. Januar nochmals Stellung zum Anschlag in Magdeburg genommen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Innenausschuss im Landtag Polizei Dessau ermittelte 2023 wegen Tweet gegen Magdeburg-Täter

09. Januar 2025, 18:56 Uhr

Gut drei Wochen sind seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg vergangen – doch viele Fragen sind noch unbeantwortet. Die Innenministerin gab nun bekannt, dass die Polizei Dessau den Attentäter im Dezember 2023 wegen Drohungen im Netz auf dem Schirm hatte. Die Ermittlungen seien aber eingestellt worden.

Gut drei Wochen nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sind im Innenausschuss des Landtags Sachsen-Anhalt am Donnerstag (09.01.) weitere Details zum Attentäter bekannt gegeben worden.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) teilte im Ausschuss mit, das Polizeirevier Dessau-Roßlau habe im Dezember 2023 ein Ermittlungsverfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten eingeleitet. Auf Twitter hatte Taleb A. unter anderem auf Englisch gedroht: "Etwas Großes wird in Deutschland passieren."

neutrale Person mit Trauerkerze 30 min
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Polizei stellte Ermittlung nach fünf versuchten Gefährderansprachen ein

Zuvor hätten sich die saudi-arabischen Behörden an den Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes (BKA) gewendet. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt habe dem BKA daraufhin mitgeteilt, dass keine Hinweise auf eine radikale oder extremistische Gesinnung vorlägen, sagte Zieschang.

Einen Tag später wurde nach Angaben des Innenministeriums das Ermittlungsverfahren gegen Taleb A. eingeleitet. Ein Durchsuchungsbeschluss sei jedoch durch den Bereitschaftsrichter abgelehnt worden. In der Folge habe es fünf Versuche einer Gefährderansprache gegeben. Schließlich sei das Strafverfahren gegen den Beschuldigten eingestellt worden, da der Sachverhalt keinen Straftatbestand erfülle.

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MDR SACHSEN-ANHALT Do 09.01.2025 18:46Uhr 00:39 min

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Zieschang sagte im Ausschuss weiter, der Tweet weiche zwar im Tenor von früheren Aussagen ab, "eine konkrete Tatplanung war nach unserem Kenntnisstand nicht ersichtlich."

Kritik: "Was muss denn passieren, damit ein Anfangsverdacht einer Radikalisierung vorliegt?"

Kritik an den früheren Ermittlungen äußerte der Linken-Abgeordnete Andreas Henke. "Hier erschreckt mich doch die Aussage unserer Ermittlungsbehörden, es gebe keine Hinweise auf Radikalisierung", sagte Henke im Ausschuss. "Was muss denn passieren, damit ein Anfangsverdacht einer Radikalisierung vorliegt?"

Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel kritisierte, dass potenzielle Attentäter durchs Raster der Behörden fielen, wenn ihre Gesinnung nicht eindeutig eingeordnet werden könne. Wäre Taleb A. ein Islamist gewesen, wären die Sicherheitsbehörden viel sensibilisierter gewesen, so Striegel. Ähnlich äußerte sich auch die parteilose Abgeordnete Henriette Quade.

Zieschang sieht Verantwortung weiter beim Veranstalter

Die Verantwortung dafür, dass der Attentäter mit einem SUV auf den Weihnachtsmarkt gelangen konnte, wies die Innenministerin im Ausschuss erneut zurück. Die Polizei sei hierfür nicht zuständig gewesen. So hätten die Polizeifahrzeuge rund um den Magdeburger Weihnachtsmarkt nicht die Aufgabe gehabt, Zufahrten dauerhaft zu sperren, so Zieschang.

Das Polizeikonzept habe ständig sichtbare Präsenzstreifen auf dem Marktgelände vorgesehen – und nur gegebenenfalls mobile Sperren an den Zufahrten. Die Ministerin räumte jedoch ein, dass ein Polizeifahrzeug zum Tatzeitpunkt nicht wie im Polizeikonzept vorgesehen auf dem Gehweg an der Ernst-Reuter-Allee stand.

Für den Schutz des Weihnachtsmarktes sei in erster Linie allein der Veranstalter verantwortlich, die Gesellschaft zur Durchführung der Magdeburger Weihnachtsmärkte mbH. In dessen eigenem Sicherheitskonzept könne nicht auf Einsatzkräfte der Polizei zurückgegriffen werden, so Zieschang.

Die Innenministerin betonte, dass auch die Platzierung von Betonblöcken und Stahlketten dem Veranstalter obliege. Nach bisherigem Kenntnisstand sei jedoch keine der Zufahrten mit Stahlketten gesperrt gewesen. Ebenfalls ungeklärt sei, warum es an der Ecke Ernst-Reuter-Allee/Breiter Weg zwei etwa sechs Meter große Lücken in der Absperrung gegeben habe. Das Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes sah laut Zieschang eine Zufahrtsbreite von vier Metern vor.

Der Veranstalter stellt den Sachverhalt anders dar. Aus seiner Sicht waren Polizeifahrzeuge im Sicherheitskonzept als mobile Sperren vorgesehen, hätten aber teils nicht an den vorgesehenen Stellen gestanden.

Stadtrat verspricht Aufarbeitung

Nicht nur der Landtag, auch der Stadtrat von Magdeburg fordert Antworten, wie es zu der Tat kommen konnte. Große Teile des Stadtparlaments versprechen Aufarbeitung. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung mehrerer Stadtratsfraktionen hervor, die am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Unterzeichnet wurde sie von vier der insgesamt sieben Fraktionen im Magdeburger Parlament.

Stadtrat Magdeburg: "Mögliche Versäumnisse analysieren"

Darin heißt es, der Stadtrat werde alles daran setzen, die Aufarbeitung des Verbrechens zu begleiten. Man wolle nicht nur die Ereignisse selbst untersuchen, sondern auch mögliche Versäumnisse analysieren. "Dazu gehört die Überarbeitung bestehender Sicherheitskonzepte, um künftig besser vorbereitet zu sein", heißt es. Man rege zudem an, über einen dauerhaften Gedenkort auf dem Alten Markt nachzudenken. Ähnlich äußerte sich in einer Mitteilung vom Sonnabend die AfD im Stadtrat.

Auf dem Platz im Zentrum der Landeshauptstadt hatte der Täter bei seiner Amokfahrt am 20. Dezember sechs Menschen getötet und nach aktuellen Zahlen 299 verletzt. Er war zuvor mit einem SUV durch eine sechs Meter breite Lücke im Bereich der Betonblock-Sperre auf den Weihnachtsmarkt gefahren.

Der Stadtrat in Magdeburg soll am 15. Januar das nächste Mal zusammenkommen.

Bericht: E-Mail von Veranstalter an Polizei aufgetaucht

Bereits zum Ende des Jahres 2024 hatte es Vorwürfe gegen die Polizei gegeben: Die Volksstimme berichtete am 30. Dezember, das Problem fehlender mobiler Polizeisperren an den Hauptzugängen des Weihnachtsmarktes sei bereits drei Wochen vor dem Anschlag bekannt gewesen.

Alle aktuellen Entwicklungen zum Fall haben wir hier für Sie gebündelt:

Der Zeitung zufolge hatte der Veranstalter des Weihnachtsmarktes das Polizeirevier Magdeburg bereits am 29. November in einer E-Mail über die Sicherheitslücke informiert. Demnach standen Polizei-Mannschaftswagen, die im Sicherheitskonzept der Weihnachtsmärkte GmbH als mobile Sperren vorgesehen waren, schon Ende November nicht an der vorgesehenen Position. Eine Antwort der Polizei auf die E-Mail habe der Veranstalter nie erhalten.

Täter nutzte 6-Meter-Lücke an Fußgängerampel

Taleb A., der Täter von Magdeburg, hatte vor seiner Todesfahrt eine sechs Meter breite Lücke genutzt und war an der Fußgängerampel an der Kreuzung Ernst-Reuter-Allee/Breiter Weg rechts über einen Gehweg auf den Weihnachtsmarkt gefahren.

Staatsanwaltschaft ermittelt zu drei Strafanzeigen, Hauptverfahren wird gegen Täter geführt

All diese offenen Fragen beschäftigen nun vor allem die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg: Sie hat die Ermittlungen übernommen. Einem Sprecher der Behörde zufolge liegen mindestens drei Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Stadt, der Polizei und der Gesellschaft zur Durchführung der Magdeburger Weihnachtsmärkte vor. Unter anderem gehe es dabei um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Dabei werde in alle Richtungen ermittelt, so ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.

Die polizeilichen Ermittlungen würden von der Polizeiinspektion Halle geführt. Der Fokus liege allerdings zunächst auf den Ermittlungen im Hauptverfahren gegen den Täter Taleb A.. Am 30. Dezember hatte sich der Innenausschuss des Bundestages erstmals mit den politischen Konsequenzen des Anschlags von Magdeburg befasst.

Ministerpräsident gegen voreilige Schuldzuweisungen

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte schon zuvor mit Blick auf die vielen offenen Fragen vor voreiligen Schuldzuweisungen gewarnt. Das helfe nicht weiter, hatte Haseloff am 28. Dezember der Zeitung "Die Welt" gesagt. Zugleich warb er für eine effektivere Verzahnung deutscher Sicherheitsbehörden: Es hätten zwar an vielen Stellen Informationen zum Täter vorgelegen, allerdings habe niemand den Gesamtüberblick gehabt.

Mehr zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg

dpa, epd, MDR (Fabienne von der Eltz, Marius Rudolph, Luca Deutschländer, Engin Haupt, Daniel Salpius) | Zuerst veröffentlicht am 27. Dezember 2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Januar 2025 | 18:00 Uhr

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