Kommentar Anschlag von Magdeburg: Die Behörden und die Gerüchteküche
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16. Januar 2025, 12:24 Uhr
Wer derzeit mit MDR-Mikrofonen oder Kamera unterwegs ist, trifft oft auf misstrauische Menschen. Besonders häufig wird unterstellt, Behörden und Medien würden die tatsächliche Opferzahl verschweigen. Es seien deutlich mehr Menschen bei dem Anschlag gestorben, als zugegeben werde. Gerüchte wie diese verbreiten sich auch, weil es auch gut drei Wochen nach dem Anschlag an klaren Statements fehlt. MDR-Reporter Uli Wittstock kommentiert.
- Uli Wittstock kommentiert, wie nach dem Anschlag in Magdeburg mit Nachrichten und Informationen umgegangen wurde. Er findet: So gut der Rettungseinsatz koordiniert war, so schlecht funktionierte die Information der Öffentlichkeit.
- Polizei, Ministerien und Staatsanwaltschaft reagierten, was die Todeszahl anging, hinhaltend. Beim MDR kamen viele Mails rein, die die aktuellen Zahlen bestritten.
- Uli Wittstock hat versucht, mit Augenzeugen oder Ersthelfern zu sprechen, die mehr Tote gesehen haben sollen, als der MDR melden würde. Ohne Erfolg.
Sehr schnell nach dem Anschlag in Magdeburg kursierten im Netz erste Spekulationen über Opferzahlen. Die Bild stellt zwei Stunden nach dem Anschlag folgende Meldung online:
Zu diesem Zeitpunkt ist in der Magdeburger Staatskanzlei offiziell noch von einem Toten die Rede. Während die Ersthelfer im Großeinsatz sind und das Netz am Anschlagsort zusammengebrochen ist, kursieren zahlreiche Gerüchte in den Netzwerken. Von Schießereien in Einkaufzentren und Krankenhäusern ist da die Rede, von weiteren Toten und Verletzten, als wäre die ganze Stadt ein Frontgebiet.
Dass in den ersten Stunden das Hauptaugenmerk auf der Versorgung der Opfer liegt, ist klar. Dass zugleich die Sicherheitslage geprüft werden muss, um mögliche weitere Attacken zu verhindern, ist ebenfalls klar. Zugleich aber muss die verunsicherte Bevölkerung schnell und nach aktuellem Sachstand informiert werden, um den zahlreichen Gerüchten mit einer klaren Kommunikation entgegenzutreten.
Katastrophale Krisenkommunikation nach dem Anschlag in Magdeburg
So gut der Rettungseinsatz koordiniert war, so schlecht funktionierte die Information der Öffentlichkeit. Während das Netz von Gerüchten überquoll, fand sich niemand von behördlicher Seite, der den Mutmaßungen entschieden entgegentrat, und zwar dort, wo die Fake News um sich griffen, nämlich im Netz.
Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass der Kampf um die Meinungshoheit voll entbrannt war. Dass in den ersten Stunden die Opferzahlen nach oben korrigiert werden mussten, lässt sich wohl mit der schwierigen Situation vor Ort erklären. Bei der Pressekonferenz am Tag danach wurde jedoch nur mitgeteilt, was ohnehin schon durchgesickert war. Konkrete Fragen wurden zudem überwiegend ausweichend beantwortet. Vertrauensbildend wirkt so ein öffentliches Verhalten nicht, wie sich in folgenden Tagen zeigen sollte.
Behörden beantworteten Anfragen nur schleppend
Während an den folgenden Tagen in den MDR-Redaktionen Mails aufliefen, welche die offizielle Todeszahl bestritten, reagierten Polizei, Ministerien und Staatsanwaltschaft hinhaltend. Die Beantwortung einer konkreten Anfrage, nämlich nach dem aktuellen Stand der Todesopfer, brauchte immerhin neun Stunden.
Selbst erfahrene Redakteure beschlich da ein Zweifel, ob da vielleicht doch etwas stimmen könnte an den Gerüchten. Als Erklärung hieß es dann, man habe schließlich 19 Krankenhäuser abfragen müssen. Es stellt sich die Frage, ob es denn da keine verabredeten Informationswege gibt.
News von Vorgestern
Die Meldungen über ein sechstes Todesopfer kursierten mindestens zwei Tage im Netz, bevor die Staatsanwaltschaft dies bestätigen wollte. Man sei erst am Abend zuvor in Kenntnis gesetzt worden. Eine Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Bürger ist das nicht. Auf die Frage, ob der Attentäter nach Dresden verlegt worden sei, hieß es, man könne es nicht bestätigen, aber auch nicht in Abrede stellen. Zuständig sei das Justizministerium. Das wiederum wollte nur einen Gefangenentransport bestätigen, ohne weitere Angaben. So blieb es bei "Sicherheitskreisen", die als Quelle zitiert wurden.
Wo keine Informationen sind, können Fake News entstehen
Ich persönlich glaube übrigens, dass es nicht mehr als sechs Todesopfer gibt. Aber wenn der Rechtsstaat zu einer Frage des Glaubens wird, dann ist er nicht sonderlich gut aufgestellt.
Gerüchte gibt es immer, sie sind scheinbar etwas Urmenschliches. Aber sie wuchern besonders dann, wenn verunsicherte Menschen sich von den offiziellen Stellen schlecht informiert fühlen. Dieser Umstand scheint nicht wirklich verstanden zu werden in den Ministerien und Behörden Sachsen-Anhalts.
In Telefonaten hört man nicht selten, man möge doch bitte diese Falschmeldungen nicht zu ernst nehmen. Doch wer sich umhört, wird schnell feststellen, dass auch in den Ministerien, Ämtern und bei der Polizei selbst diese Erzählungen kursieren, die das Potenzial haben, zu einer neuen Verschwörungslegende zusammenzuwachsen. Wenn das Misstrauen in staatliches Handeln weiter wächst, bleibt das nicht ohne politische Folgen.
Gerüchte gibt es immer ... sie wuchern besonders dann, wenn verunsicherte Menschen sich von den offiziellen Stellen schlecht informiert fühlen. Dieser Umstand scheint nicht wirklich verstanden zu werden in den Ministerien und Behörden Sachsen-Anhalts.
Auf Nachfrage: Schweigen
Ich habe versucht, die Absender der Mails zu einem Interview zu überreden. Menschen, die schreiben, sie seien Augenzeugen oder Ersthelfer und hätten deutlich mehr Tote gesehen, als der MDR melden würde. Nur leider war niemand bereit zu einem solchen Gespräch. So mancher Tastaturheld erweist sich wohl eher als nachrichtlicher Falschfahrer.
Hinweis der Redaktion: Dieser Kommentar vom 13. Januar 2025 wurde vom
Autor in einer zweiten Fassung am 22. Januar 2025 an mehreren Stellen konkretisiert.
MDR (Uli Wittstock, Hannes Leonard, Maximilian Fürstenberg) | Erstmals veröffentlicht am 13.01.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. Januar 2025 | 17:00 Uhr
DeutscherPatriot vor 4 Wochen
Ich habe mir das von Frau Weidel abgeguckt. Diese hat in einer Rede im Bundestag die Politik der Bundesregierung mit dem Satz kritisiert: „Diese Bundesregierung hasst Deutschland.“
Ich dachte, dass findet Gefallen, denn Frau Weidel macht ja alles immer richtig. 👍🏻
Ilse vor 4 Wochen
MDR
Trotzdem hat Anita L. aus staatlicher Sicht auch Recht, eine Merkel kann sich jetzt noch weniger sicher in der Öffentlichkeit bewegen, auch ihre 9 Leibwächter könnten irgendwann überlastet sein!
Anita L. vor 4 Wochen
"sie können eben bloß nicht kommentiert werden." eben... Entweder über alle oder über keinen... Vergleichen könnte man schon. Das ist etwas anderes als gleichsetzen. Aber warum sollten wir hier überhaupt vergleichen? Mir geht es darum, dass Artikel, die kommentiert werden können, einfach stärker im Gedächtnis der meisten Menschen verbleiben. Ihnen wie mir mag ja bewusst sein, dass eine Straftat eine Straftat bleibt, egal ob sie kommentiert werden kann oder nicht. Wir haben ja in der Regel die vielen vielen Berichte und Meldungen über "Geldautomaten", Kindesmissbrauch, Gewalt gegen Frauen, Kinder, Ehepartner, Diebstähle, Erpressungen und Gewaltandrohungen (z.B. aktuell durch Reichsbürger), und und und im Kopf. Aber bei allem Respekt: Lesen Sie sich doch die Kommentare hier und unter anderen Beiträgen, in denen es um "Ausländer" geht, genauer durch - da wird man ja geradezu als blind hingestellt, sobald man darauf verweist, dass keineswegs nur "Ausländer" Straftaten begehen.