MDR-RechercheAnschlag von Magdeburg: Attentäter soll Pläne Monate zuvor angedeutet haben
Sechs Menschen hat der Attentäter von Magdeburg bei seiner Tat am 20. Dezember getötet, Hunderte verletzt und traumatisiert. Schon kurz nach der Tat gab es erste Indizien, dass verschiedene Behörden in den Jahren zuvor immer wieder mit Taleb A. zu tun gehabt hatten. Nun zeigen MDR-Recherchen: Taleb A. soll seine Tat an seinem Arbeitsplatz angedeutet haben.
Der Attentäter von Magdeburg, Taleb A., hat seine Anschlagspläne offenbar im August 2024 an seinem Arbeitsplatz angedeutet. Das lässt eine E-Mail vermuten, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt. In einem Dienstzimmer des Maßregelvollzugs Bernburg soll er demnach zwei Kollegen auf deren Frage, ob es ihm gut gehe, wörtlich geantwortet haben: "Nein, ich befinde mich in einem Krieg, aber nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem wirklichen Krieg, dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird."
Nein, ich befinde mich in einem Krieg, aber nicht im metaphorischen Sinn, sondern in einem wirklichen Krieg, dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird.
Späterer Magdeburg-Attentäter Taleb A. | laut Aussage eines Kollegen
Verfasser der E-Mail hielt sofortiges Handeln für dringend erforderlich
Die Andeutung von Taleb A. ist dokumentiert in einer E-Mail, die im Maßregelvollzug längst kursiert und die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt. Die Mail wurde von einem der Augen- und Ohrenzeugen der Aussage verfasst. Empfängerin war die direkte Vorgesetzte von Taleb A., die Therapie-Leiterin des Maßregelvollzugs. Abgeschickt wurde die Mail am 14. August 2024, um 12.03 Uhr. Die Äußerung soll den Angaben zufolge bereits am Tag zuvor, dem 13. August, gegen 9 Uhr, gefallen sein.
Besonders brisant: Der Verfasser der Mail hielt sofortiges Handeln offenbar für dringend erforderlich. Über die Situation mit dem späteren Attentäter schrieb er weiter: "Er lief, nachdem er dies gesagt hatte, eilig aus dem Dienstzimmer, starrte dabei zu Boden und wirkte sehr belastet. Man müsste ihm aus meiner Sicht Hilfe anbieten."
Er lief, nachdem er dies gesagt hatte, eilig aus dem Dienstzimmer, starrte dabei zu Boden und wirkte sehr belastet. Man müsste ihm aus meiner Sicht Hilfe anbieten.
Kollege von Taleb A. | nach Begegnung mit dem späteren Attentäter
Auch die Therapie-Leiterin nahm den Vorfall ernst, wie aus den Belegen hervorgeht, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegen: Rund 90 Minuten später leitete die Vorgesetzte von Taleb A. die Mail an den ärztlichen Direktor des Maßregelvollzugs und dessen Stellvertreterin, mit dem Hinweis "Priorität: Hoch" weiter. Sie äußerte ebenfalls den Wunsch, man solle so bald wie möglich mit Taleb A. sprechen.
Vier Wochen, nachdem Taleb A. mit einem Auto in eine Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt raste, meldet sich die Therapie-Leiterin noch einmal per Mail bei dem Augen- und Ohrenzeugen von Ankündigungen von Taleb A. mit den Worten: "Habe die Mail damals weitergeleitet, aber nie eine Antwort bekommen."
Betreiber des Maßregelvollzugs Bernburg ist die landeseigene Salus gGmbH. Die E-Mail ist der Geschäftsleitung nach eigenen Angaben bekannt. Das Unternehmen verweist darauf, dass Taleb A. am Tag des Mail-Eingangs beim Ärztlichen Direktor krankgeschrieben gewesen sei. "Daher war eine unmittelbare Intervention nicht möglich", so eine Sprecherin.
Arbeitgeber: Keine Anzeichen für Selbst- oder Fremd-Gefährdung
Nach der Rückkehr von Taleb A. aus dem Krankenstand am 23. August habe der ärztliche Direktor mit ihm ein "Krankenrückkehrgespräch" geführt, in dem der spätere Attentäter "keine Anzeichen einer Selbst- oder Fremd-Gefährdung erkennen ließ". Das angeführte Zitat sei nicht wiederholt worden. Taleb A. sei aber besorgt gewesen, weil er Aktivitäten des saudi-arabischen Geheimdienstes gegen sich vermutet habe. "Auf diese Besorgnis wurde seinerzeit auch die Einlassung von Taleb A. vom 13. August 2024 reflektiert", schreibt die Salus gGmbH. "Seine Äußerung wurde als überspitzter Ausdruck einer persönlichen Konflikt-Belastung interpretiert." Er sei in dem Gespräch dazu angehalten worden, seine Arbeitsfähigkeit nicht durch außerdienstliche Aktivitäten zu gefährden.
Seine Äußerung wurde als überspitzter Ausdruck einer persönlichen Konflikt-Belastung interpretiert.
Sprecherin der Salus gGmbH
Taleb A. sei seit 2023 durch häufige Krankmeldungen aufgefallen. Als Hilfsangebot sei ihm wiederholt die Möglichkeit zur freiwilligen Teilnahme am betrieblichen Eingliederungs-Management unterbreitet worden, bei dem auch psychische Einflussfaktoren Berücksichtigung fänden. Er habe auf die insgesamt drei Angebote jedoch nicht reagiert. "Auch das Krankenrückkehrgespräch war im Sinne eines Hilfsangebots angelegt", so die Sprecherin.
Maßregelvollzug Bernburg: Behandlung von straffällig gewordenen Suchtkranken
Im Maßregelvollzug Bernburg werden straffällig gewordene Suchtkranke behandelt. Taleb A. war dort als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bis zum 23. Dezember 2024 angestellt. An seiner fachlichen Kompetenz soll es nach MDR-Informationen innerhalb der Einrichtung seit langem und weiterhin Zweifel gegeben haben. MDR SACHSEN-ANHALT liegen mehrere Berichte über mögliche Fehlbehandlungen und Fehldiagnosen vor.
Aussagen vonTaleb A. vor Kollegen werfen nun zudem abermals die Frage auf, inwieweit der Anschlag in Magdeburg hätte verhindert werden können. Der Attentäter hatte zuvor auch in sozialen Medien Andeutungen gemacht, die als Gewaltfantasien gedeutet werden konnten. Die Sicherheitsbehörden sehen sich daher mit Vorwürfen konfrontiert, nicht richtig hingeschaut zu haben.
Salus: Keine Kenntnisse über Grund und Inhalt von Gefährderansprache
Im Oktober 2024 suchte die Polizei Taleb A. für eine Gefährderansprache an dessen Arbeitsstelle auf. Daher stellt sich die Frage, ob der Einrichtungs-Leitung die Aussagen des späteren Attentäters aus dem August in einem neuen Licht hätten erscheinen müssen. Hierzu sagt die Salus gGmbH: Grund und Inhalt der Gefährderansprache sei der Leitung durch die Beamten nicht mitgeteilt worden. "Nach dem Gespräch verließen die Beamten das Haus, ohne an die Krankenhaus-Leitung einen Bedarf nach Informationen zu Taleb A. herangetragen zu haben." Für eine proaktive Information der Polizeibeamten habe es keinen Anlass gegeben.
Im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzen Vertreterinnen und Vertreter des Sozialministeriums, des Finanzministeriums, des Altmarkkreises Salzwedel sowie Arbeitnehmervertreter. Aufsichtsratsvorsitzender ist der Sozial-Staatssekretär Wolfgang Beck. Das Sozialministerium verweist darauf, dass Sozial-Staatssekretär Wolfgang Beck in seiner Position als Aufsichtsratvorsitzender die Einrichtung am 4. Februar 2025 besuchte. Im Zuge dessen sei die Situation "abstrakt skizziert" worden, ohne dass Aussagen von Taleb A. wortwörtlich wiedergegeben worden sei. Daraufhin sei die Salus gGmbH umgehend angewiesen worden, den Vorfall zu untersuchen.
Sozialministerium: Melde-Kette "unmittelbar" erfolgt
Aus Sicht des Sozialministeriums ist eine unmittelbare Melde-Kette erfolgt, nachdem der Vorfall an Vorgesetze berichtet wurde. Der Aufsichtsrat der Salus gGmbH werde sich am 20. Februar 2025 mit dem Fall befassen, teilte der Sprecher des Sozialministeriums, Martin Bollmann, mit.
Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) hatte sich drei Tage nach dem Anschlag umfassend im Ältestenrat des Landtages zu dem Verhalten von Taleb A. im Maßregelvollzug geäußert. Sie hatte sich dabei auf einen beim Ärztlichen Direktor angeforderten Bericht bezogen. Dieser habe ausgeführt, dass Taleb A. im Dienst niemals aggressiv, laut oder aufbrausend aufgetreten sei, sondern immer freundlich oder eher zurückhaltend, sagte die Ministerin. Ob der Bericht auch den Vorfall vom 13. August und die Mail vom 14. August beinhaltete und wenn nein, warum nicht, mit dieser Frage könnte Grimm-Benne nun im am Donnerstag startenden Parlamentarischen Untersuchungsausschuss konfrontiert werden.
Welche Verantwortung trägt der Arbeitgeber in Bezug auf psychische Krisen von Arbeitnehmern?
Für den Arbeitgeber besteht eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Er ist dazu verpflichtet Gefährdungen zu erfassen und zu minimieren. Seit 2013 zählen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) auch psychische Belastungen dazu. Empfehlungen der Fürsorgepflicht zur Umsetzung in der betrieblichen Praxis finden sich beispielsweise hier.
Quelle: Sozialverband VdK, ArbSchG
Mehr zum Anschlag von Magdeburg
MDR (Chiara Swenson, Daniel Salpius) | Erstmals veröffentlicht am 11.02.2025
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. Februar 2025 | 19:00 Uhr