Thema Schauspiel Kinderschauspielschule: Wo Kinder für die Bühne des Lebens lernen

08. Juni 2019, 17:33 Uhr

Es gibt Kinder, die wollen Tierärztin oder Fußballprofi werden. Und dann gibt es die, die auf der Bühne stehen wollen. Diesen Kindern bietet die Kinderschauspielschule in Magdeburg ein Hobby, das Spaß macht und ihnen viel mitgibt auf den Weg des Lebens: Selbstbewusstsein, Zusammenhalt, Kreativität. Ein Streifzug durch die Welt des Theaters und des Schauspiels – mitten in Magdeburg.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Hans-Jürgen Rudolf ist betrunken. Und wer betrunken ist, der lallt schon mal. Nur: Das ist gar nicht so leicht, wenn man eigentlich nüchtern ist – und auf Knopfdruck besoffen spielen soll. Das merkt an diesem heißen Nachmittag im Juni auch Tristen. Er spielt Hans-Jürgen Rudolf, einen Familienvater mit Machdeburjer Dialekt im Chaosurlaub in Griechenland. Im "Hotel Olympia", um genau zu sein.

Aus ein paar Metern Distanz beobachtet Jeff Lammel, ein Textbuch unter den Arm geklemmt, was Tristen und seine Mitspieler da auf die Bühne bringen. "Konzentration!", ruft er. "Lauter bitte." Lammel ist freischaffender Schauspieler, aktuell probt er fürs Sommertheater in Barby. Hier in der Kinderschauspielschule in Magdeburg steht er aber nicht auf, sondern vor der Bühne. Lammel, Anfang 30, ist einer der Schauspieltrainer.

Und als solcher hat er vor allem mittwochs gut zu tun. Dann nämlich kommen Kinder zwischen 3 und 21 Jahren in den schmucken Altbau im Nordwesten Magdeburgs, um ein paar Stunden in eine andere Welt einzutauchen. Es ist die Welt der Phantasie, der Kreativität – und eine Welt, in der jeder sein kann, wie er ist. Wenn man sich auf sie einlässt, dann ist die Welt des Schauspiels eine herrliche Welt.

Die Probe von Tristen und Co. ist für heute zu Ende. Dreimal übt das Ensemble noch gemeinsam, dann ist Premiere. Die Kinder führen ihr Stück vom Sommerurlaub Ende des Monats beim Sommerfest der Kinderschauspielschule auf – es ist einer der wenigen Auftritte vor Publikum, erzählt Kathrin Beyerling, die Gründerin der Kinderschauspielschule. Auftritte in Altersheimen oder bei Festen? "Das möchten wir nicht und die Kinder auch nicht."

Zusammenhalt, Konzentration, Spaß – die Kinder nehmen hier viel für ihr Leben mit.

Kathrin Beyerling | Kinderschauspielschule Magdeburg

Kathrin Beyerling und ihrem Team geht es nicht darum, dass aus den Kindern später einmal Profischauspieler werden. "Wir zeigen ihnen, was richtige Schauspieler lernen." Die Kinder verlassen die Schauspielschule nicht mit irgendeinem Abschluss – schon eher nehmen sie Dinge mit, die fürs Leben wichtig sind. Beyerling erzählt von Kindern, die zunächst wochenlang kein Wort reden – und von solchen, die Sprachstörungen haben. "Die lernen hier, dass die anderen nicht lachen. Und dann trauen sie sich. Ich habe noch nie erlebt, dass hier irgendjemand gemobbt wurde."

Kathrin Beyerling ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die das Schauspiel zum Beruf gemacht haben. Sie selbst hat jahrelang als Kamerafrau, Regisseurin und Produzentin gearbeitet. Vielleicht will sie auch deshalb niemanden auf Teufel komm raus zum Berufsschauspieler machen. Schließlich kennt sie die Probleme, die dieser Beruf mit sich bringt: Befristete Beschäftigungen, Arbeitslosigkeit, eine schlechte Rente – um nur einige Stichworte zu nennen.

Die Kinderschauspielschule in Magdeburg Die Kinderschauspielschule in Magdeburg gibt es seit Februar 2011. Anfangs im Moritzhof, zog sie in die Olvenstedter Chaussee um. Gründerin Kathrin Beyerling und ihr Team bieten neben Schauspiel- und Gesangskursen für unterschiedlich alte Kinder auch Einzelunterricht für Erwachsene an – darunter sind auch Lehrer, die sich sicherer vor Schulklassen präsentieren möchten.

An der Schule arbeiten vier Schauspiellehrer (zum Beispiel aus Berlin), außerdem Musiker, eine Gesangslehrerin und eine Sprachpädagogin.

Im Schnitt besuchen zwischen 35 und 40 Kinder regelmäßig die Kurse an der Kinderschauspielschule – viele aus Magdeburg, aber auch aus Burg oder Schönebeck. Drei der Jugendlichen haben laut Gründerin Kathrin Beyerling aktuell den Wunsch, später einmal Schauspieler zu werden. Schwerpunkt ist das Schauspiel für den Film. So sind in den vergangenen Jahren bereits drei Filme gedreht und im Kino aufgeführt worden, jeweils 70 Minuten lang.

Eltern können ihre Kinder für Schnuppertermine oder direkt für Schauspielkurse anmelden. Kosten: 39 Euro im Monat, 29 Euro monatlich in der Zwergengruppe.

Auf dem Weg ins Obergeschoss wird es laut in der Kinderschauspielschule. Hinten im Raum proben gerade die "Zwerge", die Jüngsten hier. In dem bunten Raum mit jeder Menge Spielzeug und dem flauschigen blauen Teppich ist Schuhe ausziehen angesagt. Die Kinder hier, die meisten von ihnen sind Mädchen, sollen in erster Linie Spaß haben – und das in gemütlicher Umgebung. "Wir wollen ihnen erste Erfahrungen mitgeben, wie das ist, vor anderen zu reden, sich zu präsentieren und in andere Rollen zu schlüpfen", sagt Anne Marie Schulz.

Spiel und Spaß für die Jüngsten

Sie selbst hat im Kindergartenalter das erste Mal auf einer Bühne gestanden, spielte in "Frau Holle" die Goldmarie. Später machte Schulz eine Ausbildung zur Erzieherin, bildete sich in Theaterpädagogik, darstellendem Spiel und Ausdruck fort. Heute leitet sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Alexandra Brösch die Zwergengruppe. Wenn die Drei- bis Sechsjährigen hierher kommen, dann reisen sie gemeinsam mit ihrer Rakete schon mal zum Planeten der Einhörner, Gottesanbeter oder Katzen. Zwischendurch wird gerätselt und miteinander gesprochen. Spiel und Spaß eben.

Zurück ins Erdgeschoss und zu Schauspiellehrer Jeff Lammel. Der Mann hat mittwochs gut zu tun in der Kinderschauspielschule. Jetzt am frühen Abend hat die Probe der Zehn- bis 14-Jährigen begonnen. Auch sie üben für ihren Auftritt beim Sommerfest der Kinderschauspielschule. Und wo vorhin die Probe der Sechs- bis Zehnjährigen noch recht allgemein ausgewertet wurde, wird das Feedback für die etwas älteren Nachwuchsschauspieler schon individueller.

Jeff Lammel verteilt ein "ganz kleines Lob", wie er sagt. Er lobt, wenn sich eines der Kinder im Ausdruck verbessert hat – sagt aber auch, wer noch lauter sprechen und seine Mimik der Rolle anpassen muss. Zum Schluss gibt es noch eine Hausaufgabe, die wohl jeder kennt, der mal Theater gespielt hat: "Lernt bitte euren Text, übt mit euren Eltern oder Oma und Opa."

Schauspiel – das bedeutet viel Liebe zum Detail

Auf der Bühne stehen und eine Rolle überzeugend verkörpern – dafür braucht es sowohl von Regisseuren als auch von Schauspielern viel Liebe zum Detail. Szenen werden immer wieder wiederholt; so lange, bis das Bild am Ende stimmig ist. Das kann man besonders gut bei den alten Hasen in der Kinderschauspielschule beobachten, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die erarbeiten sich inzwischen vieles selbst, zur Not auch mal ohne Schauspieltrainer. Kathrin Beyerling, die Chefin der Kinderschauspielschule, ist darauf ziemlich stolz. Und wenn man den jungen Erwachsenen so bei der Probenarbeit zusieht – dann weiß man auch, warum.

Beim Sommerfest Ende des Monats können sich davon dann auch Eltern und Freunde der Nachwuchsschauspieler überzeugen. Das Besondere: Die Sechs- bis 21-Jährigen werden gemeinsam auf der Bühne stehen – und zeigen, woran sie in den vergangenen Monaten gearbeitet haben. Ihr Ziel ist klar: Sie wollen das Publikum mitnehmen in ihre Welt der Kreativität und Phantasie – in die herrliche Welt des Schauspiels eben.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. Stand, seit er sechs Jahre alt war, mehr als 15 Jahre lang selbst regelmäßig auf der Theaterbühne – allerdings in der Freizeit und nicht, um Geld damit zu verdienen. Ist inzwischen im Theatervorstand und somit viel hinter den Kulissen unterwegs. Mag auch das sehr gerne.

Quelle: MDR/ld

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