Die erste Radzählstation der Landeshauptstadt Magdeburg
Der Citytunnel in Magdeburg ist bereits für Fußgänger, Radfahrer und Straßenbahnen freigegeben. Zum April öffnet er auch für Autos. Bildrechte: IMAGO / Christian Schroedter

Vor der Eröffnung Was die Magdeburger über den Citytunnel denken

30. März 2023, 10:41 Uhr

Der Bau des Citytunnels in Magdeburg hat knapp acht Jahre gedauert, vor 18 Jahren gab es die ersten Pläne. Zum 1. April öffnet die teuerste Baustelle der Stadtgeschichte für den Autoverkehr. Der MDR hat gefragt, wie die Magdeburger und Ex-Oberbürgermeister Lutz Trümper auf den Bau und die Tunnel-Eröffnung blicken. Die Menschen sind einerseits froh, dass sie bald wieder dort langfahren können, schauen aber auch sehr kritisch auf die Explosion der Baukosten.

Max Hensch Reporter MDR SACHSEN-ANHALT
Bildrechte: MDR/André Plaul

"Vor acht Jahren habe ich hier angefangen zu studieren. Als ich hier ankam, dachte ich erstmal: Man kommt hier super von A nach B. Auf einmal ging's los.", erinnert sich Dennis Bosse (28). Rund acht Jahre lang war für den Bau des Tunnels die wichtige Ost-West-Verbindung zwischen der Innenstadt und Stadtfeld dicht. Viele Neu-Magdeburger kennen es kaum anders. Wer westlich des Tunnels gewohnt hat, musste sich Jahre lang mit der langen Umleitung der Straßenbahn arrangieren, auf das Fahrrad umsatteln oder mit dem Auto über die überfüllte B1 quälen. Händler im Umfeld der Baustelle klagten über Einbußen. Dennis hat fertig studiert und zieht nun weg. Wahrscheinlich nach Düsseldorf. Für die, die in Magdeburg bleiben, freut es ihn aber, dass bald wieder freie Fahrt ist.

Was bleibt, ist ein rund 350 Meter langes Bauwerk und ein großes Loch im städtischen Haushalt. Mindestens 80 Millionen muss die Stadt selbst zahlen, insgesamt wird wohl die 200 Millionen-Euro-Marke geknackt. Das wäre deutlich mehr als eine halbe Million Euro pro Tunnel-Meter. Mit Abstand das teuerste Bauprojekt der Stadtgeschichte, zumindest bis der neue Brückenzug über die Elbe oder der Neubau des Polizeihauptquartiers am Hasselbachplatz fertig werden.

Wie kam es zu dieser enormen Kostensteigerung?

Das Projekt war von Anfang an umstritten. Ursprünglich führten unter den Bahnbrücken zwei Autospuren in jede Richtung. Jeweils eine Spur hatte auch Straßenbahngleise. Oben drüber verlaufen Bahnbrücken, die Anfang der 2000er bereits dringend sanierungsbedürftig waren. Die Stadt wollte in der Zwischenzeit selbst aktiv werden. In einem Grundsatzbeschluss des Stadtrats von 2005 war noch nicht von einem Tunnel die Rede. Der kam erst 2006 ins Spiel. Kostenkalkulation: ca. 36 Millionen Euro. 2008 organisiert sich eine Bürgerinitiative gegen das Projekt. Nachdem das Land die Tunnel-Variante zur Bedingung machte, damit es für Fördermittel gibt, setzt sich das Projekt 2009 mit nur einer Stimme Mehrheit im Stadtrat durch. Es folgten Debatten um Fördergeld, über 280 schriftliche Einwände gegen die Baupläne und drei Klagen.

Der Landesrechnungshof kritisierte die Pläne 2012 schon lange vor dem offiziellen Baustart scharf. Es sei "unverantwortlich" ein solches Groß-Projekt zu starten, ohne es auf Wirtschaftlichkeit zu prüfen. All das musste die Stadt nachreichen, im Oktober 2013 waren dann auch die Klagen vom Tisch. Der offizielle Baustart war im Juni 2015. Schon damals lag der kalkulierte Preis bei 100 Millionen Euro. Ein Jahr später dann der nächste Tiefschlag. Die Bohrpfähle für den Tunnel waren falsch berechnet. Sie waren zu dünn und hätten dem Druck des Grundwassers nicht standhalten können. Dadurch wäre die komplette Statik gefährdet gewesen.

Später wurde deshalb noch von Seiten der Stadt gegen die Planer geklagt. Außerdem musste der Bauabschnitt neu ausgeschrieben werden, die Kosten hatten sich indes weiter erhöht. 2017 wurde der Bauleiter ausgetauscht. 2018 machte Lutz Trümper das Projekt zur Chefsache, um den Bau zu beschleunigen. Dann schlugen vor allem Fachkräftemangel, Corona, Materialbeschaffung und Inflation ins Kontor. Im Stadtrat wurden die Kostensteigerungen, mal unter mehr, mal unter weniger Protest, stets mitgetragen.

Trümper verteidigt Projekt

Der frühere Oberbürgermeister Lutz Trümper sagt heute: "Die 36 Millionen, die anfangs als Kosten gesagt worden sind, waren ohne Detailkenntnisse der Bodenbeschaffenheit und waren orientiert an Baukosten, die man aus der Vergangenheit als Basis nimmt, also 2002/2003. Da hat man geguckt, was kostet so eine Baumaßnahme? Und dann haben Ingenieure die Schätzung gemacht. Wenn ich aber erst zehn Jahre später anfange zu bauen und dann in eine Phase komme, wo Hochkonjunktur ist und unheimlich viel gebaut wird, dann kann das nicht stimmen."

Lutz Trümper
Lutz Trümper war von 2001 bis 2022 Oberbürgermeister in Magdeburg. Er hat das Tunnel-Projekt von Beginn an begleitet. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Christian Schroedter

Auch der Ärger um die falsch geplanten Bohrpfähle habe die Kosten drastisch erhöht. Trümper bemängelt zudem die Hürden bei öffentlichen Bauprojekten. Planungen, Ausschreibungen, Einwände und Klagen würden viel Zeit und Geld kosten.

Bund der Steuerzahler sieht Projekt kritisch

Geld, dem der Bund der Steuerzahler nachtrauert. In das Schwarzbuch der größten Steuerverschwendungen schaffte es der Tunnel bereits 2018. Sachsen-Anhalt-Chef Ralf Seibicke rügte das Projekt einst als Präsident des Landesrechnungshofs. Heute sagt er in neuer Funktion zum Tunnel:

"Zum Schluss es ist ein finanzielles Desaster, ob es ein verkehrspolitisches Desaster wird, das wird sich nach der Eröffnung zeigen. Finanziell ist es auch leider ein Beispiel, wie man nicht an einem Bauprojekt rangehen sollte. Angefangen mit der Entscheidung im Stadtrat 2009, wo der potenzielle Nutzen überhöht wurde und die Kosten aus meiner Sicht kleingerechnet wurden. Und wenn die Stadträte gewusst hätten, dass ein Meter Tunnel 620.000 Euro letztendlich kostet, dann bin ich ziemlich überzeugt davon, dass die Entscheidung im Stadtrat so nicht ausgefallen wäre."

Allerdings sieht auch Seibicke rechtlichen Nachholbedarf im öffentlichen Bauen. So müssten Aufträge schneller vergeben und Klagen schneller von den Gerichten bearbeitet werden. Auf der Magdeburger Ost-West-Trasse sind kürzlich die Kosten für Sanierung und Neubau des Strombrückenzugs ebenfalls auf rund 200 Millionen Euro gestiegen. Grund war erneut ein Disput um die Auftragsvergabe. Hier kann Seibicke bislang keine Schuld auf Seiten der Stadt feststellen.

Was bedeutet die Tunnel-Eröffnung für den Verkehr in Magdeburg?

Die Landeshauptstadt bekommt eine wichtige Ost-West-Achse zurück. Über den Stadtteil Stadtfeld wird eine Schneise in die Innenstadt wieder frei. Außerdem kann vom Magdeburger Ring aus die Innenstadt wieder direkt erreicht werden. Gleichzeitig wird die stauanfällige B1 entlastet. Auch das Parkhaus des City Carree bzw. des Cinemaxx kann nun wieder von zwei Seiten angefahren werden. Ob der Verkehr schneller durch den Tunnel rollt als über die alte Straßenführung wird abzuwarten sein. Zwei große Ampelkreuzungen bleiben an beiden Enden erhalten.

Der größte Nutzen für den Autoverkehr wird sich wohl erst zeigen, wenn auch der Strom-Brückenzug erneuert und ausgebaut ist, und somit die direkte Verbindung in die Stadtteile östlich der Elbe frei wird. Besonders wichtig wird das für die An- und Abreise bei Sport- oder Messeveranstaltungen.

Fast ebenso wichtig ist, dass die Trasse schon seit dem vorigen Jahr wieder für Fuß- und Radverkehr, sowie öffentliche Verkehrsmittel frei ist. Ein Scanner misst an der Durchfahrt, wie viele Radfahrer den Weg täglich nutzen. Seit dem vergangenen September liegt der Schnitt bei knapp 3.000 pro Tag.

Diskussion über Fahrradwege

Mittlerweile ist Ex-Oberbürgermeister Trümper von der durchgeführten Trennung der Autos vom Rest des Verkehrs überzeugt. "Ich habe einfach eine Entlastung für den öffentlichen Verkehr, für Radfahrer, Fußgänger, Fahrgäste von Bus und Straßenbahn. Die können hier ideal am Busbahnhof und an den Haltstellen umsteigen, ohne dass sie von Autos gestört werden."

Nicht alle Magdeburger sind glücklich mit der Lösung. Ein Problem: Als die Bohrpfähle breiter wurden, engte das auch die Radwege ein. Etwa am City Caree sind die Radwege kaum einen Meter breit.

Karin Unterstab (58) will den Tunnel nicht in Frage stellen, spricht jedoch von einem "Uraltstand" der Planungen. Sie ist während der Bauarbeiten von Haldensleben nach Magdeburg gezogen und sehr unzufrieden mit der Radfahrer-Freundlichkeit des Bauprojekts. Auch bei anderen kürzlich gebauten Trassen, etwa der Schönebecker Straße, glaubt sie, dass Radfahrer deutlich zu wenig Platz bekommen. Auch wünscht sie sich für künftige Planungen wesentlich mehr neugepflanzte Bäume rund um künftige Groß-Bauprojekte.

Magdeburger froh über baldige Tunneleröffnung

Julia Ayi (33) hat einen großen Teil der Tunnelbaustelle aus dem Ausland verfolgt. Sie lernte ihren Ehemann in Togo kennen, vor dreieinhalb Jahren kam sie zurück. Mittlerweile ist auch ihr Sohn Noah dazu gekommen. Julia freut sich vor allem, dass die beiden Seiten der Stadt wieder verbunden sind, denn in Stadtfeld geht sie gerne spazieren. Auch andere Mütter schildern uns, dass die Alternativroute durch den Hauptbahnhof vor allem in den Anfangsjahren mit dem Kinderwagen sehr beschwerlich gewesen sei.

Zu den Magdeburgern, die einfach nur froh sind, dass die Tunnel-Baustelle vorbei ist, gehört Christoph Rebel (34). Der Sudenburger hat während der Bauzeit eine Umschulung hinter sich gebracht. Die Entwicklung der Stadt der letzten Jahren, macht ihn froh. Mehr kulturelle Angebote, mehr Vielfalt – das tue der Stadt gut. Den City-Tunnel nennt er augenzwinkernd "Lutz-Trümper-Gedächtnistunnel".

Der ehemalige OB sagt heute: "Ich habe ja zum Glück nicht mehr die Gelegenheit, dass ich solche Großprojekte jetzt leiten und voranbringen muss."

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Die Pylonen des Ersatzneubaus Strombrückenzug in Magdeburg
Bildrechte: picture alliance/dpa

MDR (Max Hensch) | Erstmals veröffentlicht am 28.03.2023

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 24. März 2023 | 19:00 Uhr

13 Kommentare

AuchneMeinung am 30.03.2023

Kann mich RJU nur anschließen.
Der Tunnel wäre nur in der "langen" Variante einigermaßen sinnvoll gewesen, da von der Ausfahrt bis zur nächsten Kreuzung genügend "Stauraum" gegeben gewesen wäre.
So wird der Rückstau in den Tunnel wohl nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel werden.
Mit Fahrrad oder per Straßenbahn wird man dem dann wenigstens entgehen.
Eines der Hauptprobleme bei solchen Großprojekten ist wohl, dass Nutzen hoch- und Kosten und Risiken runtergerechnet werden, damit sie durch die Entscheidungsgremien kommen. Auch fehlen offenbar Worst-Case-Betrachtungen, mit Angaben von Mindest- u. evtl. Mehrkosten, dto. für die Bauzeit.
Vielleicht lernt man ja irgendwann aus den ganzen Fehlern.

toll0815 am 29.03.2023

Mehrkosten sind die Regel, wenn es um öffentliche Bauprojekte geht, leider! Ex-Oberbürgermeister nennt im obigen Beitrag auch gleich eine wesentliche Ursache:
"... Die 36 Millionen, die anfangs als Kosten gesagt worden sind, waren ohne Detailkenntnisse der Bodenbeschaffenheit und waren orientiert an Baukosten..." So wäre nie ein privates Projekt begonnen worden, ohne Eine sehr gute Grundlagen- und Vorplanung. Denn diese legen den Grundsteinen für eine optimale Kostenplanung. Wer z.B. seinen Untergrund genau kennt, kann Probleme vorzeitig lösen und wird nicht erst bei der Bausaufführung "überrascht". Neue Lösungen in der Bauausführung sind meist sehr teuer. Und noch ein Grund: Der billigste Anbieter ist nicht immer der Kostengünstige!


Henne2003 am 29.03.2023

Katastrophal ist die lange Bauzeit. Und wenn jetzt schon die Volksstimme schreibt, dass der Bau der Strassenbahntrasse über die Albert-Vater-Strasse in Höhe Ringbrücke 2 Jahre dauern soll, dann fragt man sich, was das soll. 2 Jahre Bauzeit für 50 m Strassenbahngleise!

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