Energiekrise Mit Mütze und Schal? Wie Magdeburgs Kultur durch den Winter kommt

31. Oktober 2022, 13:16 Uhr

Dass Kinos und Theater Strom benötigen, ist klar und auch wenn dem Publikum vor allem warm ums Herz werden soll, so kann man keinen Theaterabend auf kalten Theatersesseln anbieten. Doch angesichts steigender Preise stellen sich inzwischen recht grundsätzliche Fragen.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

  • Im Theater in der Grünen Zitadelle setzt man darauf, dass das Publikum durch Bewegung warm wird.
  • Die Kultureinrichtungen in Magdeburg arbeiten zusammen und helfen sich gegenseitig.
  • Bühnen und Räumlichkeiten sollen schnell hintereinander bespielt werden, damit nur einmal geheizt werden muss.

Wer cool sein will, der zeigt sich lässig und locker, auch wenn es kühl ist – zumindest draußen. Als uncool gelten Menschen, die Vorschriften machen: Tür zu, Licht aus, Fenster zu. Da man im Kulturbereich besonders viele coole Menschen findet, ist hier das uncoole Thema "Energiesparen" relativ neu, das bestätigt auch Christian Hartwig. Seit über 25 Jahren berät er Verwaltungen und öffentliche Einrichtungen zum Thema Energiesparen. Unlängst luden ihn die freien Träger der Magdeburger Kulturszene zu einem Vortrag ein, um angesichts rasant steigender Energiekosten über energetisches Sparpotenzial zu referieren.

Die Sorglosigkeit ist vorbei

Also besuchte Christian Hartwig zunächst ein paar der Einrichtungen als Gast, allerding mit dem Blick hinter die Kulissen. Was er dort sah, verwunderte ihn nicht: "Offene Fenster bei aufgedrehter Heizung, Licht im WC, obwohl niemand im Raum war. Oder der Klassiker – offene Türen, möglichst eingehakt, damit die Besucher einfach rein und raus können."

Inzwischen aber sei so etwas nicht mehr akzeptabel, und das nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes. Vor allem die gestiegenen Energiepreise zwingen nun die Kulturveranstalter dazu, nicht nur auf jeden Groschen, sondern auch auf jede Kilowattstunde zu schauen.

Das sei keine verlorene Liebesmüh, so Christian Hartwig, denn Sparmaßnahmen zeigten sehr schnell Wirkung: "Wir machen diesen Job seit 25 Jahren in vielen Verwaltungsgebäuden, Schulen, Turnhallen, Dorfgemeinschaftshäusern, Museen etc." Und sie finden überall ein bisschen, mal mehr oder weniger Einsparpotenzial, das dann allerdings auch erschlossen werden müsse. "Wenn man sich zum Beispiel den Energiebericht der Landeshauptstadt Magdeburg anguckt, da kann man sehr gut nachlesen, wie die Landeshauptstadt seit 2005 schon sehr intensiv Energiemanagement betreibt. Und das sehr erfolgreich."

Schunkeln gegen die Kälte

Das Theater in der Grünen Zitadelle Magdeburg ist kein Ort, den man ohne Lachen wieder verlässt. Wer hier eine Karte kauft, den erwartet Unterhaltung auf hohem Niveau.

Im Sommer ist der Zuschauerraum oft angenehm frisch, weil im Keller des Hundertwasserhauses gespielt wird, doch im Winter kann die Bühne schon mal empfindlich auskühlen, erklärt Enrico Scheffler, der musikalische Leiter des Hauses: "Wir sind da noch ein bisschen ratlos und müssen gucken. Was kommt jetzt wirklich auf uns zu? Und wie heizt sich unser kleiner Theaterkeller vielleicht sogar selber durch die Wärme der Gäste auf?"

Immerhin stehen Kerzen auf den Tischen. Doch ob die reichen werden, den Raum zu erwärmen, darf zurecht bezweifelt werden. Und wenn das Zähneklappern im Publikum lauter ist als die Musik auf der Bühne, kann man wohl nur von einem eingeschränkten Kulturgenuss reden.

Dabei hat das kleine Theater wenigstens einen Vorteil, so Enrico Scheffler: "Wir haben ja ein lustiges Programm, und da wird immer mitgeklatscht, da wird mitgeschunkelt. Also unsere Gäste werden gebeten, sich mitzubewegen." Und zwischendurch mal ein paar Kniebeuge, um warmzuwerden, steigern möglicherweise den Kunstgenuss.

Mehr Absprachen, weniger Veranstaltungen

Witzeleien über Gymnastik im Kulturleben kennt Sarah Thäger zur Genüge. Die Chefin des Magdeburger Literaturhauses ist zugleich Vorsitzende des Netzwerkes freie Kultur in der Stadt. Der Zusammenschluss hat sich vor allem während der Pandemie bewährt und dazu geführt, dass die unterschiedlichen Einrichtungen miteinander kooperieren, was davor eher weniger der Fall war.

Auch jetzt, mit Blick auf die kalte Jahreszeit, rücke man wieder stärker zusammen, so Sarah Thäger: "Es gibt ja Konzerte, in der Feuerwache zum Beispiel, mit 50 Leuten. Das reicht für die Feuerwache nicht. Dann kommen die halt ins Literaturhaus oder gehen ins Volksbad. Oder wir gehen mal ins Theater an der Angel. Da sind wir in Gesprächen, wie wir das besser managen können."

Es kommt nämlich außer den stark gestiegenen Energiepreisen ein weiteres Problem hinzu – eine gewisse Zurückhaltung beim Publikum. Erst leerte Corona die Clubs und Bühnen, jetzt kommen Inflation und Zukunftsängste hinzu. So mancher würde wohl gerne mal für einen Abend abschalten, blickt aber inzwischen stärker auf die Eintrittspreise.

Ein Umstand, den viele Veranstalter derzeit spüren. Das wird sich auch im Veranstaltungskalender niederschlagen, so Sarah Thäger: "Wir gucken auch, dass wir tatsächlich Veranstaltungen einkürzen. Auch das wird eine Konsequenz sein, wenn wir weniger Geld zur Verfügung haben. Aber auch da gibt es schon Absprachen und Ideen. Und mal gucken, was das neue Jahr so mit sich bringt."

19 Grad – mit Filzstiefeln ins Kino?

Für Behörden und öffentliche Gebäude hat die Bunderegierung ein klares Ziel vorgegeben, nämlich 19 Grad Celsius Raumtemperatur. Wer also sitzende Tätigkeiten ausübt, sollte sich wärmer anziehen – eine Vorgabe, die auch für das Publikum gilt.

Was vielen derzeit noch ziemlich unvorstellbar scheint, war jedoch für Millionen Schülerinnen und Schüler Alltag in den letzten zwei Corona-Wintern – nämlich lernen bei offenen Fenstern mit Schal und Mütze. Für die Kinder und Jugendlichen sei das sicherlich eine große Herausforderung gewesen, sagt Sarah Thäger und setzt hinzu: "Ich will diese Erfahrung nicht an unsere Gäste weitergeben. Ich möchte nicht, dass Leute mit Decken zu unseren Lesungen oder Veranstaltungen kommen. Es wird sich zeigen, was wir tun können."

Eine Idee scheint dabei schon konkret zu werden, nämlich eine Mehrfachnutzung der Räume: "Wir versuchen mit Doppelbelegungen das Haus besser zu nutzen, dass man also zwei Veranstaltungen hintereinander macht, dass es sich wirklich auch lohnt, die Heizungen auf 19 Grad zu drehen." Also erst eine Lesung, dann ein Konzert und für das interessierte Publikum gibt es dann ein Kombiticket.

An Ideen mangelt es nicht, aber es gibt auch eine Befürchtung. Sollten sich nämlich die Einsparungen als erfolgreich erweisen, stellt sich irgendwann die Frage, ob diese Sparideen nicht in den Regelbetreib übernommen werden sollten. Dass es in den nächsten Jahren mehr Geld für Kultur geben wird, ist angesichts der aktuellen politischen und sozialen Herausforderungen eher unwahrscheinlich. Wer jetzt also zu stark beschränkt, könnte sich also im Zweifelsfall selbst weg sparen. Ein kultureller Winterschlaf soll auch deshalb in Magdeburg vermieden werden – egal auf welchen Tiefststand die Thermometer fallen sollten.

MDR (Uli Wittstock)

6 Kommentare

Denkschnecke am 01.11.2022

Wer eine Raumtemperatur von 19°C als "den Arsch abfrieren" empfindet, hat ein medizinisches oder ein Luxusproblem. Für unser Empfinden ist es gerade im Magdeburger Opernhaus im Winter oft schon unangenehm warm. Beim Weihnachtsoratorium in einer alten Kirche hat es gern schon mal 12°C, und trotzdem ist da früher auch die Bude voll gewesen, nicht nur mit "Grünen".

hilflos am 01.11.2022

Denkschecke, wenn sie es so erfrischend haben wollen, dürfen sie auch die Heizung ganz ausschalten

steka am 01.11.2022

Beim Kauf einer Karte sind 5kg Briketts oder ein 5l kanister Heizöl abzugeben!

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