Fragen und Antworten Attentat in Magdeburg: Was über den Täter Taleb A. bekannt ist
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21. Januar 2025, 17:12 Uhr
Taleb A. – ein Mann aus Saudi-Arabien – ist am 20. Dezember mit einem geliehenen Auto in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg gerast. Viele Fragen sind noch nicht endgültig geklärt – etwa die nach dem Motiv des Täters. Was seit der Tragödie ans Licht kommt, wirft aber Fragen auf, auch an die Sicherheitsbehörden. Denn Taleb A. hatte schon vor Jahren gedroht. Was aktuell über den 50-Jährigen bekannt ist.
Inhalt des Artikels:
- Wer ist Taleb A.?
- Wie beschreiben Menschen, die Taleb A. kennen, den 50-Jährigen?
- Gibt es inzwischen Informationen über das Motiv für die Tat?
- Was steht im Testament des Attentäters?
- Was ist bekannt über mögliche psychische Probleme des Täters?
- Stand Taleb A. zum Zeitpunkt des Attentats unter Drogen, oder war er betrunken?
- Gab es Warnung aus Saudi-Arabien vor Taleb A.?
- Medien berichteten über den Spitznamen "Dr. Google". Ist Taleb A. wirklich Arzt?
- Taleb A. soll schon länger gedroht haben. Was ist darüber bekannt?
- Hat Taleb A. durch die Polizei mehrere Gefährderansprachen erhalten?
- Warum arbeitete Taleb A. trotz Gefährderansprache als Arzt?
- Was ist über Taleb A. als Anzeigenerstatter bekannt?
- Wo ist Taleb A. jetzt?
Wer ist Taleb A.?
Bei dem Attentäter von Magdeburg handelt es sich um Taleb A., einen 50-Jährigen aus Saudi-Arabien. Er stammt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens. Er lebt seit 2006 in Deutschland, 2016 erhielt er Asyl als politisch Verfolgter. Er soll Schiit sein. Nach Angaben von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) verfügt er über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.
Schiiten
In Saudi-Arabien gelten nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung als schiitisch. Das Land ist mehrheitlich sunnitisch geprägt. Es gibt immer wieder Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land.
Der 50-Jährige arbeitete in der Salus-Klinik in Bernburg im Salzlandkreis als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er war seit 2020 im Maßregelvollzug für suchtkranke Menschen beschäftigt, zuletzt aber als arbeitsunfähig gemeldet gewesen.
Wie beschreiben Menschen, die Taleb A. kennen, den 50-Jährigen?
Taha Alhajji, ein aus Saudi-Arabien stammender Rechtsanwalt, berichtete dem MDR, der Täter habe in der saudi-arabischen Community in Deutschland als aggressiv und isoliert gegolten. Alhajji ist unklar, warum die Polizei nicht auf die Drohungen reagiert hat, die der Täter im Netz geäußert hat. Dort postete A. Aussagen wie "Wenn Deutschland uns töten will, werden wir sie schlachten."
Taleb ist eine generell aggressive Person. Er ist widersprüchlich, ignorant und eingebildet, also sehr eingebildet. Er behandelt Menschen entsprechend.
Ein Nachbar beschrieb Taleb A. im MDR-Interview am 21. Dezember als "sehr zurückgezogen und verschlossen". Man habe ihn mal in der Stadt beim Einkaufen gesehen. "Aber für mich war es ein ganz normaler Nachbar, ein ganz normaler Bürger."
Gibt es inzwischen Informationen über das Motiv für die Tat?
Keine endgültigen. Allerdings erklärte der Leiter der Magdeburger Staatsanwaltschaft, Horst Walter Nopens, bereits am Nachmittag nach der Tat, "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen" könne der Auslöser der Tat gewesen sein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am 21. Dezember bei einem Besuch in Magdeburg, sie könne nur gesichert sagen, "dass der Täter offensichtlich islamophob war".
Inzwischen verdichten sich die Informationen, dass sich der Täter Taleb A. mehrere Feindbilder aufgebaut hat. In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islams und Saudi-Arabiens, doch auch die Säkulare Flüchtlingshilfe in Köln und der deutsche Staat gehörten zu seinen Feindbildern.
Warum der MDR Taleb A. als Täter bezeichnet In der Regel sprechen wir bei Gewalttaten und Verbrechen bis zu einem Urteil von "mutmaßlichem Täter/mutmaßlicher Täterin". Denn: Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Eine Ausnahme machen wir dann, wenn die Täterschaft gut belegt ist. So ist es auch im Fall des Anschlags von Magdeburg. Hier ereignete sich die Tat in der Öffentlichkeit. Taleb A. wurde festgenommen, nachdem er aus dem Tatfahrzeug ausgestiegen war. Deshalb sprechen wir künftig von Taleb A. als Täter und Todesfahrer und verzichten auf den Zusatz "mutmaßlich".
Taleb A. erhob teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden und hielt ihnen vor, nicht genug gegen Islamismus zu unternehmen. Seine Feindbilder spielten auch in den Ermittlungsverfahren eine Rolle. Der Attentäter fiel bei den Behörden offenbar durchs Raster, weil er in kein gängiges Schema passte.
Der Radikalisierungsforscher Hans Goldenbaum geht davon aus, dass die Tat von Magdeburg in einer Reihe mit den Attentaten von Halle und Hanau zu betrachten ist. Goldenbaum leitet unter anderem die Fachberatungsstelle für Gewalt- und Radikalisierungsprävention in Sachsen-Anhalt (Salam).
Goldenbaum zufolge ist erkennbar, dass der Täter Deutschen Vorwürfe macht, Flucht, Migration, Asyl zum Beispiel für Syrer zugelassen zu haben. "Man merkt, dass er sich von dem deutschen Staat, der deutschen Gesellschaft angegriffen und gekränkt fühlt, weil die liberal und weltoffen ist."
"Baldige Rache": Inzwischen gelöschter Post
Den Informationen zufolge hatte Taleb A. vor rund einem Jahr außerdem einen Post veröffentlicht, in dem er schrieb, der deutsche Staat verfolge Flüchtlinge aus Saudi-Arabien, um deren Leben zu zerstören. Der Täter soll in besagtem Post demnach "baldige Rache" angekündigt haben. Das berichtete am Abend des Anschlags auch die Zeitung "Welt".
Was steht im Testament des Attentäters?
Wie der "Spiegel" einige Tage nach der Tat berichtete, fanden Ermittler nach dem Anschlag im Auto das Testament des Fahrers. Darin habe er sein Vermögen dem Deutschen Roten Kreuz vermacht. Politische Botschaften waren demnach nicht enthalten. Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte den Fund des Testaments im Auto. Dieses sei auf den Tag der Tat datiert, sagte ein Sprecher der Behörde. Ob der Mann das Testament selbst geschrieben habe, sei Gegenstand der Ermittlungen.
Was ist bekannt über mögliche psychische Probleme des Täters?
Drei Tage nach dem Attentat, am 23. Dezember 2024, gab es aus Sicherheitskreisen erste Hinweise auf "eine gravierende psychische Erkrankung" des Täters von Magdeburg. Kurz darauf sagte Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) in einer Sondersitzung des Ältestenrats im Landtag, der Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Dieser ist zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg übernahm das Verfahren. Sie ermittelt nun auch in der Frage der Schuldfähigkeit des Täters. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg sagte Anfang Januar: "Ob und wie er psychisch erkrankt ist, dafür werden wir ein Gutachten in den Auftrag geben." Die Ermittlungen würden voraussichtlich noch Wochen dauern.
Berichte über psychische Probleme des Attentäters decken sich auch mit Vermutungen des saudischen Rechtsanwaltes Taha Alhajji. Er sagte dem MDR: "Ich kann nur sagen, dass er psychisch krank ist und innerlich ein schlechter Mensch."
Stand Taleb A. zum Zeitpunkt des Attentats unter Drogen, oder war er betrunken?
Im Blut des Attentäters wurden keine Hinweise auf Drogen oder Alkohol gefunden. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg bestätigte am 21. Januar einen Medienbericht, nach dem es bei der Blutprobe keine besonderen Auffälligkeiten gegeben hat. Demnach sind lediglich Spuren eines Magenmedikaments und eines leichten rezeptfreien Beruhigungsmittels nachgewiesen worden.
Gab es Warnung aus Saudi-Arabien vor Taleb A.?
Ja. Saudi-Arabien hatte Deutschland saudischen Sicherheitskreisen zufolge vor dem Mann gewarnt. Wie der "Spiegel" am 22. Dezember berichtete, soll es in drei Hinweisen um Social-Media-Beiträge des Tatverdächtigen gegangen sein. Die Warnungen wurden demnach in diesem Jahr und 2023 übermittelt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur habe das Königreich seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland nicht reagiert.
"Derzeit wird der Vorgang in Sachsen-Anhalt, aber auch bei den Bundessicherheitsbehörden komplett aufgearbeitet", teilte das LKA mit. Aktuell könnten dazu noch keine näheren Angaben gemacht werden. Über die Warnungen aus Saudi-Arabien berichtete am Morgen des 21. Dezember zunächst die Nachrichtenagentur Reuters und verwies zur Begründung auf extremistische Ansichten, die der Mann auf "X" geteilt hatte.
Medien berichteten über den Spitznamen "Dr. Google". Ist Taleb A. wirklich Arzt?
Medienberichte haben daran Zweifel genährt, die die zuständigen Behörden allerdings zurückgewiesen haben. Beschäftigte im Maßregelvollzug hätten Taleb A. gemeinhin "Dr. Google" genannt, schrieb vor Weihnachten 2024 etwa die Mitteldeutsche Zeitung – weil der Mann "vor jeder gestellten Diagnose im Internet nachgucken musste", wie ein Mitarbeiter im Gespräch mit der MZ sagte. Seine Visiten soll Taleb A. demnach grundsätzlich allein gemacht haben. Es habe Patienten gegeben, die sich geweigert hätten, von ihm behandelt zu werden. Die Klinikleitung in Bernburg wies die Vorwürfe am 23. Dezember auf MDR-Anfrage zurück: Ihr seien solche Beschwerden nicht bekannt. Die Personalakte von Taleb A. gebe auch keinen Anlass, an seiner Qualifikation zu zweifeln. Sie sei inzwischen den Ermittlern übergeben worden.
Ähnlich äußerte sich die Landesärztekammer: Sie teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, an sie seien keine Beschwerden oder Meldungen über den Arzt herangetragen worden. Facharzturkunde und Approbationsurkunde seien ihr vorgelegt worden, als Taleb A. Mitglied der Ärztekammer in Sachsen-Anhalt geworden sei.
Das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt, das als Aufsichtsbehörde für die Salus-Klinik in Bernburg zuständig ist, teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, es hätten keine Zweifel an der ärztlichen Qualifikation von Taleb A. bestanden. So wurde laut Ministerium im Einstellungsprozess geprüft, ob der Mann anerkannter Facharzt ist und über eine ärztliche Zulassung verfügt.
Nach Angaben des Sozial- und Gesundheitsministeriums habe er viele Jahre unter anderem in Hamburg, Hannover und Stralsund als Arzt gearbeitet, bevor er in den Maßregelvollzug Bernburg wechselte, sagte ein Vertreter des Ministeriums im Innenausschuss des Landtags am 10.01.2025. Der Beschuldigte habe sein Studium in Saudi-Arabien abgeschlossen und seine Facharztausbildung in Deutschland absolviert.
Inzwischen darf der Mann nicht mehr als Arzt arbeiten. Das Landesprüfungsamt beschied nach Angaben des Sozialministeriums am 9. Januar, dass die Approbation des Attentäters ruht. Als Grund wurden der Anschlag und die damit verbundenen Ermittlungen gegen den Mann genannt.
Der frühere Arbeitgeber, die Salus gGmbH, kündigte dem Mann nach Angaben von Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) zudem am 23. Dezember 2024 fristlos. In der Folge des Anschlages und der Inhaftierung könne Taleb A. seiner Arbeit nicht mehr nachkommen, was die fristlose Kündigung arbeitsrechtlich möglich gemacht habe.
Taleb A. soll schon länger gedroht haben. Was ist darüber bekannt?
Der Attentäter soll bereits 2013 mit einer terroristischen Tat gedroht haben. Wie das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns am Wochenende nach dem Attentat mitteilte, gab es damals einen Streit mit der Ärztekammer des Landes während seiner Facharztausbildung. Es ging um die Anerkennung von Prüfungsleistungen. Taleb A. hatte demnach der Ärztekammer telefonisch mit Handlungen gedroht, die "international Aufsehen erregen" würden, und verwies auf den Anschlag beim Boston-Marathon, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Nach der Drohung hatten Ermittler den Angaben zufolge seine Wohnung durchsucht und elektronische Geräte überprüft. Hinweise auf eine konkrete Anschlagsvorbereitung fanden sie aber nicht.
Taleb A. war demnach spätestens Anfang 2015 auch den zuständigen Bundesbehörden als potenziell Verdächtiger bekannt.
Deutsche Sicherheitsbehörden hatten im Vorfeld des Angriffs in Magdeburg mehr als 100 Vorfälle mit Taleb A. registriert. Das geht aus einem Bericht hervor, um den es am 16. Januar auch im Innenausschuss des Bundes ging. Der neue Bericht stammt vom Bundesinnenministerium und beruht auf Daten, die Bundesbehörden und -länder dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten.
Das Innenministerium in Schwerin teilte am 23. Dezember mit, Vertreter des Landes hätten im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes informiert.
Taleb A. nach Drohungen zu Geldstrafe verurteilt
Laut Mecklenburg-Vorpommerns Innenministerium hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. wegen der Drohungen gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge offenbart. Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden, hieß es.
Die Landesärztekammer in Sachsen-Anhalt war über den Streit mit der Kammer in Mecklenburg-Vorpommern eigenen Angaben zufolge im Bilde. Man habe den Mediziner aus Saudi-Arabien dennoch als Mitglied aufgenommen, hieß es am 23. Dezember auf MDR-Anfrage: "Zum Zeitpunkt der Anmeldung 2016 waren uns zurückliegende Streitigkeiten bekannt geworden." Die Vorgänge aus Mecklenburg-Vorpommern seien zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen.
Für die Salus-Klinik Bernburg habe es keine Anzeichen gegeben, dass Taleb A. gefährlich ist. Das teilte das Landessozialministerium MDR SACHSEN-ANHALT mit. Wörtlich hieß es: "Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit konnte die Salus nicht erkennen." Die Salus verlange bei der Einstellung grundsätzlich ein einfaches Führungszeugnis von den Bewerbern. Bei ausländischen Beschäftigten werde ein erweitertes Behördenführungszeugnis herangezogen.
Hat Taleb A. durch die Polizei mehrere Gefährderansprachen erhalten?
Taleb A. hat einen Rechtsanwalt, der ihn einst in einem Verfahren vertreten hatte, sowie dessen Familie und Kanzleimitarbeiter bedroht. Deshalb suchte die Polizei Taleb A. am 4. Oktober 2024 auf. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) sagte am 23. Dezember in einer Sondersitzung des Ältestenrats im Landtag, die sachsen-anhaltische Polizei habe Taleb A. im September 2023 und Oktober 2024 insgesamt zwei Gefährderansprachen unterzogen – einer im Revier im Salzlandkreis, einer anderen an seiner Arbeitsstelle. Bis dahin war lediglich bekannt, dass es einen erfolglosen Versuch gegeben hatte, Taleb A. anzutreffen – so hatte es der Direktor der Magdeburger Polizeiinspektion am Tag nach der Tat mitgeteilt.
Zieschang erklärte im Januar, die Polizei Dessau habe nach einem Post von Taleb A. im Dezember 2023 Ermittlungen gegen den Mann aufgenommen. Taleb A. kritisierte darin den Umgang Deutschlands mit saudischen Asylbewerbern und drohte mit Rache. In der Folge habe es fünf Versuche einer Gefährderansprache gegeben. Taleb A. sei aber in diesen Fällen weder an der Wohnung noch auf der Arbeit antroffen worden. Der Versuch, eine Durchsuchung zu erwirken, wurde laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von einem Richter zurückgewiesen. Das Verfahren wurde später eingestellt. Ob die Gefährderansprache vor wenigen Monaten in diesem oder einem anderen Zusammenhang erfolgt ist, blieb offen.
MDR-Recherchen hatten am 22. Dezember ergeben, dass die Polizei Magdeburg Taleb A. schon Monate vor der Tat eine schriftliche Gefährderansprache zukommen lassen. Das Dokument liegt dem MDR vor. Anlass war demnach eine Mail, die der Attentäter an die Kölner Staatsanwaltschaft geschrieben hatte und die als abstrakte Drohung gewertet worden war. Taleb A. soll geschrieben haben: "Daher habe ich kein schlechtes Gewissen für die Ereignisse die in den nächsten Tagen passieren werden (...)."
Die Magdeburger Polizei wies diese Darstellung am 26. Dezember allerdings zurück. Sie teilte mit, es habe zu keinem Zeitpunkt eine schriftliche Gefährderansprache an den Beschuldigten gegeben. Das Dokument sei falsch, protokolliere vielmehr eine persönliche Gefährderansprache.
Stichwort: Gefährderansprache
Eine Gefährderansprache können Polizeibehörden vornehmen, wenn Menschen noch nicht straffällig geworden sind. Dafür müssen konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnte. Juristisch gesehen existiert der Begriff des Gefährders nicht: Es handelt sich um einen Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden, den diese nach eigenem Ermessen anwenden.
Warum arbeitete Taleb A. trotz Gefährderansprache als Arzt?
Taleb. A war seit 2020 als Stationsarzt tätig. Er arbeitete im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) mit suchtkranken Straftätern. Trotz der Tatsache, dass der Mann für die psychiatrische Betreuung von Patienten zuständig war und die Gefährderansprache auf der Arbeit erfolgte, gab es zwischen seinem Arbeitgeber, dem Gesundheitsunternehmen Salus, und der Polizei keinen Austausch.
"Den Grund für das Aufsuchen des Mitarbeiters Taleb A. hat die Polizei nicht mitgeteilt", sagte eine Salus-Sprecherin. Die Polizei kann personenbezogene Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten an öffentliche und nicht öffentliche Stellen übermitteln. Das LKA teilte dazu auf Anfrage mit, es habe unmittelbar nach der Gefährderansprache keine Anhaltspunkte dafür gegeben, "dass durch eine Datenübermittlung Gefahren im Umfeld des Arbeitgebers abgewehrt werden könnten". Damit seien die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung nach derzeitigem Prüfungsstand nicht erfüllt gewesen.
Für die Behörden ergab sich insgesamt offenbar keine Dringlichkeit. In Sicherheitskreisen heißt es, die Drohung gegenüber seinem Rechtsanwalt etwa sei per E-Mail eingegangen. "Er stand dort nicht vor der Haustür", sagte eine mit den Vorgängen betraute Person. Zudem sei er in Sachsen-Anhalt vorher nicht strafrechtlich verurteilt worden.
Was ist über Taleb A. als Anzeigenerstatter bekannt?
Zwischen April 2023 und Oktober 2024 erstatte Taleb A. fünfmal Anzeige. Zunächst beklagte er, dass ihm ein USB-Stick aus dem Briefkasten gestohlen worden sei, der Beweise für Straftaten des saudi-arabischen Staates enthalte. Zudem legte er sich mit der Säkularen Flüchtlingshilfe an, einem Verein, der sich um die Interessen atheistischer Flüchtlinge kümmert. Er warf Mitarbeitern zweimal sexuelles Fehlverhalten vor. Dazu kommen zwei weitere Fälle, wegen angeblicher Bedrohung durch die saudi-arabische Regierung und wegen Verleumdung.
Hinweis an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bestätigte am 21. Dezember, dass bereits im Spätsommer 2023 ein Hinweis zum Täter eingegangen sie. Man habe den Hinweis ernst genommen, die Person, die ihn gegeben habe, aber an die Ermittlungsbehörden verwiesen.
Hat Taleb A. allein gehandelt?
Sehr wahrscheinlich ja. Auf gegenteilige Informationen deutet bislang nichts hin. Hinweise, nach denen ein zweiter, möglicherweise tatrelevanter Pkw in der Innenstadt gesichtet wurde, haben sich demnach nicht bestätigt. Nach der Tat in Magdeburg hatten sich am noch am selben Abend Gerüchte in sozialen Medien verbreitet, nach denen es nach der Amokfahrt Schüsse an mehreren Orten gegeben haben soll. Die Polizei dementierte das später.
Wo ist Taleb A. jetzt?
Der Attentäter von Magdeburg ist derzeit in der Justizvollzuganstalt in Dresden untergebracht. Zuvor befand er sich in der JVA in Burg. Angesichts der hohen Zahl der Betroffenen und der Tatsache, dass der Mann selbst im Maßregelvollzug arbeitete, soll er Anfang Januar verlegt worden sein. In Sicherheitskreisen heißt es, damit sollte auch eine räumliche und menschliche Nähe des Täters zu Betroffenen oder Menschen, mit denen er früher dienstlich zu tun hatte, vermieden werden.
Zuvor hatte das Amtsgericht Magdeburg in der Nacht zum 22. Dezember Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet.
Der Täter soll Unterstützer der AfD gewesen sein. Was ist darüber bekannt?
Wie aus MDR-Recherchen hervorgeht, ist der Täter offenbar Unterstützer der AfD. Das zeigen mehrere Posts im sozialen Netzwerk "X", deren Echtheit dem MDR bestätigt wurde und über die am Morgen des 21. Dezember auch der "Spiegel" berichtete. Im Sommer 2024 teilte er einen Tweet von AfD-Chefin Alice Weidel und schrieb dazu: "Die Linken sind Verrückt. Wir brauchen AFD, um die Polizei vor sich zu schützen." Viele der Posts sind inzwischen nicht mehr einsehbar.
Rechtsextreme verbreiten Fake News über Magdeburger Attentat
Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg haben Rechtsextreme in den sozialen Netzwerken zahlreiche Falschbehauptungen verbreitet. Auch internationale Akteure mischten dabei mit. Pascal Siggelkow vom ARD-faktenfinder klärt über die Desinformation zum Anschlag in Magdeburg auf. Um Desinformation zu identifizieren, gibt es kein Patentrezept. Grundsätzlich ist die Quelle ein wichtiger Indikator dafür, ob Bilder oder Informationen vertrauenswürdig sind oder nicht.
In welchem Zusammenhang stehen Durchsuchungen der Polizei in Bernburg?
Im Zuge der Ermittlungen um den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg haben Polizisten auch mehrere Objekte in Bernburg durchsucht. Dabei wurden nach Beobachtungen von MDR-Reportern auch potenzielle Beweismittel sichergestellt. Taleb A. wohnt in Bernburg im Salzlandkreis.
Wie bewerten Terror- und Extremismus-Experten die Tat?
Der ARD-Terrorexperte Holger Schmidt nannte die Einstellungen des Arztes im Gespräch mit dem MDR am 21. Dezember "sehr irritierend". Der Täter habe sich früher mit fundamentaler Islam-Kritik geäußert. Deshalb sei es paradox, wenn er jetzt in den Verdacht komme, aus islamistisch-terroristischen Motiven diese furchtbare Tat begangen zu haben. Es scheine sehr deutlich, dass da irgendetwas anders sein müsse. Im ZDF sprach der Extremismusforscher Matthias Quent von "Salatbar-Extremismus oder -Terrorismus". Der Tatverdächtige passe in keine typische Tätergruppe, sondern habe sich gewissermaßen ein "individuelles Menü" aus persönlichen Motiven und Erfahrungen zusammengestellt.
Reuters, dpa, MDR (Engin Haupt, Dominik Knauft, Jana Merkel, Lucas Grothe, Marcus Engert, Luca Deutschländer, Maren Wilczek, Hannes Leonard) | Erstmals veröffentlicht am 21.12.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Januar 2025 | 07:00 Uhr