Freiwillige messen Grundwasserstände "Mein Herz hängt am Grundwasser"

26. Oktober 2022, 05:00 Uhr

Sinkt der Grundwasserspiegel zu stark, kann das schwerwiegende Folgen für Mensch und Natur haben. Um die Entwicklung zu beobachten und möglicherweise entgegenzuwirken, müssen Grundwasserstände regelmäßig gemessen werden. Dafür zwingend notwendig: Freiwillige wie Rentnerin Marion Flechsig aus Magdeburg.

Daniel George
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Marion Flechsig müsste das alles nicht mehr machen. Seit fünf Jahren genießt sie ihren Ruhestand. Eigentlich. Doch: "Mein Herz hängt am Grundwasser", sagt die 69-Jährige.

Deshalb fährt sie immer noch regelmäßig zu ihren Messstellen in Magdeburg und erfasst die Grundwasserstände – ganz gleich, bei welchem Wetter, ob bei Regen oder Wind. Eine kleine Aufwandsentschädigung gibt es dafür. "Taschengeld", wie Marion Flechsig sagt.

Doch ihr Antrieb ist ein anderer. "Das ist einfach ein wichtiges Thema, für das sich immer so niemand richtig interessiert, weil man das Grundwasser nicht sieht", sagt sie, aber: "Wenn die Grundwasserstände stark zurückgehen, kann es in der Zukunft große Probleme geben."

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Vielerorts sinken die Grundwasserspiegel

Veränderungen wie extreme Wetterlagen durch die Klimakrise erschweren die Neubildung von Grundwasser. Die Folge: Das Wasser wird knapp. Versiegelte Städte und die Landwirtschaft erschweren zudem das Versickern der Niederschläge. Auch der Umgang der Industrie mit Wasser verschärft das Problem.

In vielen Regionen Sachsen-Anhalts ist der Grundwasserpegel in den vergangenen 30 Jahren gesunken. Das zeigt nun eine Recherche von CORRECTIV.Lokal und MDR Data. 77 Prozent der Messstellen in Sachsen-Anhalt verzeichneten von 2018 bis 2021 demnach den tiefsten Grundwasserstand der vergangenen 30 Jahre.

Wie kann sich das Grundwasser wieder erholen? Das Grundwasser kann sich erholen, auch wenn das sehr lange dauert. So sind es vor allem die Einschränkungen von Fördermengen für die Trinkwasserversorgung oder der Ausstieg aus dem  Braunkohletagebau, die an vielen Messstellen dafür sorgen, dass die Grundwasserspiegel wieder steigen.

Marion Flechsig steht an diesem Sonnabend im Oktober vor der Messstelle auf dem Gelände des Universitätsklinikums Magdeburg. Und auch sie sagt: "Der Grundwasserstand ist hier in den vergangenen Jahren um 30 Zentimeter gefallen. Das ist schon eine ganze Menge. Und diese Tendenz sehe ich an fast allen meinen Messstellen."

Plötzlich pfeift es. Das Zeichen, dass die Sonde des Kabellichtlotes, das Flechsig in das Rohr gelassen hat, Wasser erreicht hat. Nun kann sie den Grundwasserstand ablesen.

Grundwasser-Messungen: Auf Freiwillige angewiesen

Um fünf Messstellen kümmert sich Marion Flechsig seit ihrer Rente. Kümmern heißt in dem Fall: an vier festen Tagen jeden Monat die Grundwasserstände messen und die Daten an den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) übermitteln. Dorthin also, wo die 69-Jährige selbst jahrzehntelang gearbeitet hat.

"Insgesamt habe ich mich beruflich 45 Jahre lang mit Grundwasser beschäftigt", erzählt Flechsig. "Ich habe das Messnetz mit aufgebaut, habe Neubohrungen geplant und mit abgenommen." Also war für sie klar, dass sie auch im Ruhestand weitermachen wird: "Es macht mir ja auch Spaß", sagt Flechsig. Eine Stunde benötigt sie mit dem Fahrrad für eine Tour, die fünf der insgesamt 43 Messstellen im Stadtgebiet umfasst.

"Für uns sind Freiwillige wie Frau Flechsig sehr wichtig. Die finanziellen Mittel reichen schließlich nicht aus, um an allen etwa 1.300 Messstellen, die wir in Sachsen-Anhalt haben, automatisch messen zu können", sagt Martin Schneppmüller, Sachgruppenleiter Grundwasser beim LHW. "Nur mit Hilfe der Freiwilligen können wir die Daten kontinuierlich erfassen. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar." 529 Freiwillige erfassen in ganz Sachsen-Anhalt regelmäßig die Grundwasser- und Oberflächenwasserstände.

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Erschwerte Suche nach Freiwilligen

Früher, erzählt Marion Flechsig, sei es einfacher gewesen, Freiwillige zu finden. In den größeren Städten sei das auch heute noch kein Problem, aber auf dem Land schon. "Damals sind wir über die Dörfer gefahren und haben die Leute einfach angesprochen", sagt die 69-Jährige. "Heute ist das schwierig. Da siehst du ja meistens niemanden mehr in den Dörfern."

Das große Glück sei, dass "diejenigen, die aufhören, meistens einen Nachfolger benennen, der die Arbeit dann weiterführt", sagt Flechsig. "Und die Messstellen an Orten, die schwer zu erreichen sind, wie zum Beispiel im Wald bei Schnee, werden mit automatisierten Datensammlern abgedeckt." Manche Modelle müssten ausgelesen werden, andere würden die Daten digital übermitteln, erzählt die Grundwasser-Expertin.

Und mit Hilfe der gesammelten Daten können dann eben auch Tendenzen erkannt werden. Was wir im Sommer durch das Austrocknen von Flüssen und Seen beobachten konnten, hat schließlich ebenso unterirdische Auswirkungen. Die Rechnung ist einfach: Wenn mehr entnommen wird, als sich neu bildet, haben wir immer weniger Grundwasser. 

"Müssen das weiter beobachten"

"In größeren Städten wie Magdeburg ist das auf den ersten Blick nicht das Problem. Natürlich werden sich Gärtner ärgern, wenn ihre Brunnen trocken fallen", sagt Marion Flechsig. "Aber dort, wo es um Trinkwassergewinnung geht oder auf dem Land, wo man vielleicht irgendwann nicht mehr genug Wasser fördern kann oder darf, um die Felder zu beregnen, wird das spürbar sein."

Und Martin Schneppmüller vom LHW ergänzt: "Viele Pflanzen wie große Bäume, die teilweise aus dem Grundwasser ihr Wasser ziehen, könnten irgendwann ein Problem haben, wenn das Grundwasser stark sinkt oder auch Teiche, die vom Grundwasser gespeist sind."

Aber das sei noch ein Konjunktiv, so Schneppmüller, denn: "Man weiß immer nicht ganz genau, ob es eine Phase ist. Wir haben zwar Messstellen, wo der Grundwasserstand in den vergangenen drei, vier Jahren sogar bis zu einen Meter abgesackt ist. Aber bei der Statistik über 30 Jahre sehen wir, dass die Werte noch okay sind. Wir müssen das weiter beobachten."

Und das geht eben nur mit Freiwilligen wie Marion Flechsig. Auch an diesem Sonnabend notiert die 69-Jährige den Grundwasserstand in ihr Notizbuch. 6,78 Meter. Es war die letzte Messung für diesen Monat. "Am Montag", sagt sie, "bringe ich die Daten dann im LHW vorbei. Dann sehe ich gleich die alten Kollegen wieder." Auch, um sich auszutauschen – natürlich vor allem über ihre große Leidenschaft: das Grundwasser.

Über die Recherche

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von MDR Data und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt langfristig über die Klimakrise. Weitere Infos gibt es auf der Website.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

nilux am 28.10.2022

Klingt nach einer schönen MDR-Story für unsere Rentnergeneration.

Es gibt nach meiner eigenen Erfahrung darüber hinaus aber eben auch gute professionelle Brunnenbohrfirmen, die sich lokal auskennen und sehr verlässlich Daten liefern könnten.

Mein privat genutzter Brunnen wurde am Tag des höchsten, in meiner Region jemals gemessenen Hochwasserstandes der Elbe gebohrt und funktioniert nach wie vor verlässlich, mit höchster Wasserqualität und fast konstantem Wasserstand. Und er ist angemeldet, wie sich das eigentlich gehört.

Daneben gibt es unmittelbar Löschwasserbrunnen, welche zeitgleich angelegt wurden und regelmäßig durch die Freiwillige Feuerwehr überprüft werden.

Wenn alle mal zusammenarbeiten würden gäbe es eigentlich kein "Datenproblem", welches durch Helfer ausgeglichen werden müsste.

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