Die ehrenamtliche Integrationslotsin Brigitte Kaiser-Kovacs sitzt bei einer Familie, die sie betreut, auf dem Sofa 2 min
Hier können Sie den Beitrag zum Thema von MDR SACHSEN-ANHALT vom 25. Mai hören. Bildrechte: Cindy Trehkopf
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Brigitte Kaiser-Kovács hilft Menschen ehrenamtlich als Integrationslotsin. Dafür hat sie sogar ihren Job aufgegeben. Trotz ihrer Überzeugung verzweifelt sie an Strukturen.

MDR SACHSEN-ANHALT Do 25.05.2023 08:28Uhr 01:47 min

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Projekt "Integrationslotsen" Integration in Magdeburg: Wie eine Ehrenamtliche hilft – und verzweifelt

28. Mai 2023, 09:37 Uhr

In den vergangenen zehn Jahren sind mehr als 10.000 Menschen aus dem Ausland nach Magdeburg geflohen. Im Projekt "Integrationslotsen" versuchen Ehrenamtliche, ihnen beim Ankommen zu helfen. Eine von ihnen ist Brigitte Kaiser-Kovács. Seit 2015 hilft sie Menschen bei Behördengängen und der Wohnungs- und Jobsuche. Sie ist von dem Projekt überzeugt. Doch einige Probleme machen ihr mehr und mehr zu schaffen.

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"Viele von uns sind am Limit, weil man immer das Gefühl hat, man geht einen Schritt vor und zwei zurück. Weil das alles nicht so klappt mit den Behörden. Man hat die Probleme der Menschen dann auf den eigenen Schultern", erzählt Brigitte Kaiser-Kovács.

Passbild einer Frau.
Brigitte Kaiser-Kovács arbeitet ehrenamtlich als Integrationslotsin in Magdeburg. Bildrechte: Brigitte Kaiser-Kovacs

Die Magdeburgerin unterstützt seit 2017 als "Integrationslotsin" Menschen beim Ankommen in der Stadt. Sie hilft bei Behördengängen, bei der Suche nach Wohnungen, Jobs und Ausbildungsplätzen, bei Arztbesuchen und beim Spracherwerb. Außerdem versucht sie, auch im kulturellen und sozialen Bereich Anschlussmöglichkeiten zu schaffen – für Kaiser-Kovács ein Vollzeitjob. Etwa 50 Stunden steckt die Magdeburgerin wöchentlich in die Unterstützung von etwa 20 Personen, die sie selbst ihre "Schützlinge" nennt. Ihren Beruf hat sie extra für dieses Ehrenamt aufgegeben.

Verantwortung für die Menschen

Angefangen hat für sie alles 2015, als viele Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen. Damals habe sie das Gefühl gehabt, man müsse einfach versuchen zu helfen, erzählt sie. Sie sei selbst einmal im Ausland aktiv gewesen und wisse sehr gut, wie schwierig die ersten Schritte dort seien, wie fremd und ausgeliefert man sich fühlen könne.

Ich könnte die Leute jetzt doch nicht plötzlich alleine lassen.

Brigitte Kaiser-Kovács, Integrationslotsin

Sehr schnell gab es einen Personenkreis, für den sie sich verantwortlich fühlte. Und das bis heute. Fragt man sie, warum, sagt sie: "Ich könnte die Leute jetzt doch nicht plötzlich alleine lassen".

Personalmangel in Behörden sorgt für ständige Ungewissheit

Obwohl – oder gerade weil – ihr die Menschen am Herzen liegen, fällt ihr die Arbeit oft nicht leicht. Das liege oft daran, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden oft nur schleppend verlaufe, erzählt Kaiser-Kovács. Besonders in der Ausländerbehörde brauchten Anträge oft ein Vielfaches der eigentlich vorgesehenen Bearbeitungszeit, vermutlich aus Personalmangel bei gleichzeitig sehr stark gestiegenem Arbeitsaufkommen.

Oft zögen Anträge sich über anderthalb Jahre hin, statt wie vorgesehen drei Monate. Die ständige Ungewissheit, wie es weiter gehe, wie Bescheide am Ende ausfielen, und die dauernde Sorge ihrer Schützlinge, all das zehre an ihren Nerven. Denn sie müsse die Sorgen oft auffangen, trösten und könne die behördlichen Prozesse am Ende doch kaum beeinflussen. Sie wünscht sich, dass die Zusammenarbeit besser läuft. Momentan, sagt sie, habe sie manchmal den Eindruck, für die Behörden ein Störfaktor zu sein.

Auf die Frage, ob es denn auch positive Beispiele gebe, erzählt sie von einem jungen Mann. Sie habe ihm dabei geholfen, eine Ausbildung zu finden. Er habe sie erfolgreich absolviert, inzwischen eine Festanstellung. Aber immer noch sei unklar, ob er in Deutschland bleiben könne. Selbst dieser eigentlich so gut verlaufende Fall sei noch nicht abgeschlossen, auch hier mischten sich ständig Hoffnung und Ungewissheit. Dieses Gewicht und die Sorgen der Menschen lasteten am Ende auch auf ihren Schultern.

Stadt betreut das Integrationslotsen-Projekt

Wegen der hohen Belastung ist Kaiser-Kovács besonders froh, dass es seit 2017 mit dem Integrationslotsen-Projekt eine Ansprechpartnerin auf Seiten der Stadt gibt. Laura Lubinski arbeitet seit 2016 als Integrationskoordinatorin für die Stadt und ist unter anderem für das Integrationslotsenprojekt verantwortlich. Sie organisiert Treffen, Informationsveranstaltungen und Beratungsrunden für die Ehrenamtlichen. Dazu zählen auch Vorträge von Psychologen darüber, wie man sich davor schützen kann, auszubrennen oder Vorträge mit juristischer Beratung. "Ohne diese Hilfe wäre es noch viel schwieriger", sagt Kaiser-Kovács.

Laura Lubinski, Koordinatorin der Integrationslotsen, im Portrait.
Laura Lubinski betreut als Koordinatorin Integration das Projekt Integrationslotsen. Bildrechte: Laura Lubinski

Etwa 30 ehrenamtliche Integrationslotsinnen und -lotsen arbeiten derzeit in Magdeburg. Die meisten von ihnen sind ein paar Stunden pro Monat aktiv. Der Bedarf sei wesentlich höher als das, was das Projekt derzeit leisten könne, erzählt Lubinski. Das liege auch daran, dass insbesondere durch den Krieg in Syrien und der Ukraine die Zahl der Zuwanderer deutlich schneller gestiegen sei, als die Zahl der hauptamtlichen Beratungsstellen.

In dieser schwierigen Situation seien die Integrationslotsen sehr wichtige Brückenbauer zwischen zugewanderten Menschen und Behörden. Häufig seien die Lotsen der erste Kontakt in die deutsche Gesellschaft und trügen stark zur sozialen Integration bei. Sie wünscht sich, dass die Ehrenamtler von den hauptamtlichen Stellen gut bei Herausforderungen unterstützt werden und beide Seiten gut zusammenarbeiten.

Langfristige Zusammenarbeit geplant

Brigitte Kaiser-Kovács will auf jeden Fall weitermachen, trotz der vielen Kraft, die sie die Arbeit kostet. Und sie hofft, dass sich noch viele Ehrenamtliche anschließen werden. "Ehrlich gesagt wären sehr, sehr viele Geflüchtete richtig aufgeschmissen ohne uns, weil das, was wir leisten, leistet eigentlich keine andere Behörde."

Ehrlich gesagt wären sehr, sehr viele Geflüchtete richtig aufgeschmissen ohne uns, weil das, was wir leisten, leistet eigentlich keine andere Behörde

Brigitte Kaiser-Kovács, Integrationslotsin

Laura Lubinski nickt bestätigend. "Es wäre sehr wichtig, dass das Projekt fortgesetzt wird und die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Stellen gut zusammenarbeiten", sagt sie. Dann muss Brigitte Kaiser-Kovács weiter. Ein Bild möchte sie nur ungern machen. Sie möchte nicht im Mittelpunkt stehen. Wichtiger ist ihr, dass den Menschen geholfen wird.

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MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 25. Mai 2023 | 15:30 Uhr

19 Kommentare

SG aus E vor 43 Wochen

Es führt zwar vom Thema ab, aber Sie sprechen ein anderes, wichtiges Betätigungsfeld für Ehrenamtliche an: Die Betreuungsvereine im Land suchen händeringend nach Menschen, die solche Betreuungen übernehmen. (Dafür gibt’s sogar Aufwandsentschädigung.) Denn, wenn manche mit dem Geld nicht zurechtkommen, hat das oft Gründe, die eine Betreuung sinnvoll machen. Wenn sich aber niemand findet, der die Betreuung übernimmt, bleiben diese Armen hilflos allein.

Wie schrieb ‹wuff› oben: "Dass es Menschen gibt, die sich nicht für andere interessieren braucht man nicht kommentieren, das ist halt so."

SG aus E vor 43 Wochen

Blödsinn. Da gibt’s noch andere Möglichkeiten. Z.B. verheiratet, und der Mann verdient genug für zwei. Das soll’s geben.

Und übrigens sollten Sie einmal über Ihr 'wir' und 'uns' nachdenken. Erstens gehören Frau K. und alle Flüchtlingshelfer auch zum 'Wir' und zweitens ist Integrationshilfe eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft – wozu auch Sie gehören. Deutschland fährt besser, wenn man den Leuten, die hierher kommen, bei der Integration hilft.

PS: Allerdings gibt es auch noch einige Alteingesessene (sog. 'Almans' od. 'Kartoffeln'), die Integrationsmaßnahmen in das Deutschland von heute sehr nötig hätten.

wuff vor 43 Wochen

Man sollte die Schuld nicht auf die Menschen schieben, der Staat schafft die Rahmenbedingungen. Das es Menschen gibt, die sich nicht für andere interessieren braucht man nicht kommentieren, das ist halt so.

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