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Chipfabrik in MagdeburgEuphorie und Bedenken: Wie die Menschen in der Region auf die Intel-Ansiedlung reagieren

18. März 2022, 18:49 Uhr

Intel kommt nach Magdeburg – Sachsen-Anhalts Politiker übertrafen sich in den vergangenen Tagen beim Bejubeln dieser Meldung. Kein Wunder: Es ist die größte Firmen-Ansiedlung der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. Doch: Was sagen die Menschen vor Ort? Ein Besuch im Umfeld der neuen Giga-Fabrik zwischen großen Hoffnungen und der Trauer um den Börde-Boden.

Brigitte Kelle putzt gerade Fenster. Mitten an der Hauptstraße. Doch das bedeutet hier in Schleibnitz nichts. Ruhig ist es trotzdem. "Dorf eben", sagt die 83-Jährige und wringt lächelnd den nassen Lappen aus.

Von milliardenschweren Investitionen direkt vor der Haustür lassen sich die Menschen in dem 350-Einwohner-Ort im Landkreis Börde offenbar nicht beeindrucken. Der Alltag muss weitergehen. Ist ja auch alles noch lange hin.

Und doch: "Ich bin hier geboren und ich werde hier irgendwann sterben", sagt Brigitte Kelle, aber: Solch eine Nachricht wie in den vergangenen Tagen mit der Intel-Ansiedlung, erzählt die Rentnerin, habe sie über ihre Region ihr Leben lang noch nicht gehört.

Die Hoffnung: weniger Arbeitslosigkeit

Intel kommt nach Magdeburg – und zwar mit einer neuen Giga-Fabrik. Das hat der Chiphersteller in dieser Woche bestätigt. Es ist die größte Firmen-Ansiedlung der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland. Sachsen-Anhalts Politiker übertrafen sich deshalb in den vergangenen Tagen beim Bejubeln der Meldung. Doch: Was sagen die Menschen vor Ort?

Vor Ort, das bedeutet in diesem Fall im Umkreis des Gewerbegebietes Eulenberg. Das besteht momentan noch aus unbebautem Acker und liegt in der Nähe des Magdeburger Stadtteils Ottersleben, direkt an der Autobahn 14. Das nächstgelegene Dorf: Schleibnitz. Auch das Örtchen Osterweddingen, in dem etwas mehr als 2.000 Einwohner leben, ist nur wenige Kilometer entfernt.

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Die Planungen für das Bauvorhaben beginnen laut Intel unmittelbar. Mit dem Bau will das Unternehmen im ersten Halbjahr 2023 beginnen. Der Produktions-Start ist für 2027 geplant. "Ich bin zu alt, um davon noch wirklich zu profitieren", sagt Brigitte Kelle also. "Für die Jugend ist das aber eine schöne Zukunftsperspektive." Rund 10.000 Jobs sollen schließlich entstehen.

Die 83-Jährige hofft, "dass die Arbeitslosenzahlen sinken" und sich vielleicht ein Supermarkt in ihrem Dorf ansiedelt. Aktuell gibt es den nämlich nicht. Die Schleibnitzer müssen zum Einkaufen nach Magdeburg oder Wanzleben fahren. "Noch fahre ich Auto", sagt Kelle, "aber mal sehen, wie lange noch. Also auf Sicht wäre das natürlich schön, einen Supermarkt im Dorf zu haben."

Trauer um den "guten Börde-Boden"

Schön fände das auch Heinz Schoof. Einzig: Er glaubt nicht daran. "Auf unser Dorf wird die Intel-Ansiedlung keine großen Einflüsse haben", sagt der 68-Jährige. "Auch, wenn die Fabrik ja quasi direkt vor unserer Haustür gebaut wird. Vielleicht wird es etwas mehr Verkehr geben. Aber ich denke eher, dass sich das auf Magdeburg oder Osterweddingen und Langenweddingen und Wanzleben auswirken wird."

Eine Meinung hat der Rentner selbstredend trotzdem zur Intel-Ansiedlung. Das sei aktuell schließlich das Gesprächsthema im Dorf. Also stellt er seine Schubkarre beiseite und holt aus: "Das bedeutet einen Aufschwung für die Region und für ganz Deutschland. Das ist super", sagt Schoof.

Doch dann kommt das große Aber:

Es ist schade um den guten Börde-Boden.

Heinz Schoof, Schleibnitzer

Der gute Börde-Boden, immer wieder steuern Gespräche mit Menschen in der Region darauf zu. Kein Wunder, findet Heinz Schoof, der seit 31 Jahren in Schleibnitz lebt: "Wir kaufen zum Beispiel Getreide aus der Ukraine ein, haben deshalb jetzt ein Problem, wie man sieht, aber auf der anderen Seite pflastern wir wegen Intel jetzt 450 Hektar zu. Das verstehe ich nicht."

Sein Vorschlag: "Man hätte das doch auch bei Tangerhütte oder sonst irgendwo machen können, wo der Boden nicht so gut ist." Doch der jetzige Standort liegt direkt am Kreuz der A14 und der B81. Damit können benötigte Rohstoffe und fertige Computerchips schnell transportiert werden. Ein weiterer Pluspunkt aus Sicht von Intel: die Nähe zu den Auto-Fabriken von Volkswagen in Wolfsburg und Tesla im brandenburgischen Grünheide. 

Sei es drum: "Die Ansiedlung ist für die Region insgesamt aber gut", sagt Heinz Schoof, ehe er seine Schubkarre anhebt und weiterzieht. "Am besten sie nehmen noch Arbeitskräfte aus der Region. Das wäre das Allerbeste."

Warum ist der Boden der Magdeburger Börde so wertvoll?Die Region vom Norden über den Westen bis hin in den Süden von Magdeburg zeichnet ein fruchtbarer Lößboden aus. Gemüsesorten, die auf diesem Boden gepflanzt werden, bringen meist großen Ertrag. Bereits zu DDR-Zeiten wurde die Magdeburger Börde als "Kornkammer" bezeichnet. Auch heute zählt die Börde zu den ertragreichsten Regionen in Deutschland.

Landwirt aus der Börde: Ärger und Chancen

Zu weit in die Zukunft zu blicken, sagen Heinz Schoof und Brigitte Kelle, die Schleibnitzer, wäre reine Spekulation. Und auch Phillip Krainbring sieht das so. Wenn der Landwirt aus Hohendodeleben auf seinem Traktor sitzt, kann er die Fläche sehen, auf der in naher Zukunft die Giga-Fabrik stehen soll.

Krainbring sagt: "Grundsätzlich ist das für die Region Magdeburg und für Sachsen-Anhalt eine sehr gewinnbringende Geschichte. Aber aus landwirtschaftlicher Sicht habe ich da natürlich auch ein weinendes Auge. Da ist das erstmal negativ. Die Fläche ist weg."

Der fruchtbare Boden soll versiegelt werden. Außerdem "ist der Boden ja nicht verloren, weil er abgetragen werden soll", sagt Krainbring. Aber: "Es kommt dabei natürlich darauf an, wo er wie wieder aufgetragen wird."

Wenn so viele Jobs geschaffen werden und Menschen in die Region ziehen, dann besteht natürlich auch die Chance, dass diese dann bereit sind, ihr Geld auch für regionale Lebensmittel auszugeben.

Landwirt Phillip Krainbring aus Hohendodeleben

Doch das sei eben aktuell noch Spekulation. Ärgern würde ihn ein anderer Aspekt: "Wir Landwirte haben hier in der Region schon immense Auflagen, um Insekten oder gerade auch Feldhamster zu schützen. Auf der anderen Seite werden nun 450 Hektar zubetoniert. Die fragt man sich schon, wie ernst gemeint gewisse Aussagen zum Umweltschutz sind."

Doch bei aller anfänglicher Ernüchterung: Phillip Krainbring sieht auch eine Chance für die Landwirtschaft: "Wenn so viele Jobs geschaffen werden und Menschen in die Region ziehen, dann besteht natürlich auch die Chance, dass diese dann bereit sind, ihr Geld auch für regionale Lebensmittel auszugeben. Das könnte natürlich eine Chance für uns sein."

Zweispurige A14? "Das rächt sich jetzt"

Weiter nach Ottersleben. Früher ein Dorf, heute Stadtteil von Magdeburg, unweit der geplanten Giga-Fabrik. Kurt Petzerling wurde hier geboren. 70 Jahre ist das her. Nun sagt er: "Das ist eine ganz hervorragende Sache. Da kann man nur allen Respekt zollen, die daran mitgearbeitet haben."

Doch auch bei Petzerling, Vorsitzender des Heimatvereins Ottersleben, kommt ein Aber. So wie bei vielen Menschen in der Region. Was zeigt: Neben der Euphorie herrscht auch noch Ungewissheit. Und es gibt Bedenken.

"Die Verkehrsanbindung macht mir Sorgen", sagt Petzerling. "Es ist ganz klar, dass da Straßen und Brücken gebaut werden müssen. Und aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, eine Schienenverbindung mit der S-Bahn dort hinzulegen, damit die Leute auch aus der Umgebung die Möglichkeit haben, ohne Auto zu der Fabrik zu kommen."

Das sei nicht nur besser für die Umwelt, sondern wahrscheinlich zwingend notwendig, um Staus zu vermeiden, sagt Petzerling, denn: "Jetzt rächt sich, dass die A14 damals nur zweispurig gebaut wurde. Das wird ein Riesenproblem sein." Seine Forderung deshalb: "Es muss jetzt darum gehen, Bürokratie abzubauen und schnellstmöglich einen Baustart für die Infrastruktur herzustellen."

Die Bedenken der Menschen in Ottersleben

Denn darüber würden sich auch die Menschen in Ottersleben die meisten Gedanken machen: "Brauchen wir noch mehr Schulen und Kindergärten? Reichen die Versorgungsmärkte aus, wenn sich mehr Menschen hier ansiedeln? Das fragen sich die Leute", sagt Kurt Petzerling. Aber: "Erstmal wird sehr positiv darüber gesprochen. Erstmal ist die Euphorie da."

Aber erstmal geht der Alltag wie bisher weiter. Eine Giga-Fabrik von Intel bei Magdeburg? Für die meisten Menschen ist das derzeit noch nicht mehr als eine Meldung der Zukunft. "Schauen wir mal, wie das wird", sagt Brigitte Kelle an der Hauptstraße in Schleibnitz noch – und putzt dann weiter ihre Fenster.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. März 2022 | 19:00 Uhr

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