"Keine Kenntnis über Auswirkungen" Intel-Chef Gelsinger geht, Verunsicherung in Magdeburg bleibt
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04. Dezember 2024, 11:43 Uhr
Intel-Chef Pat Gelsinger ist am Montag überraschend zurückgetreten. Gelsinger, der vor drei Jahren angetreten war, um den US-Chiphersteller aus der Krise zu führen, konnte offenbar nicht das nötige Vertrauen in die Zukunft des Konzerns schaffen. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Spekulationen über mögliche Übernahmen von Intel. Ob der Wechsel an der Konzernspitze Auswirkungen auf die verschobene Intel-Ansiedlung in Magdeburg hat und wie diese aussehen, bleibt ungewiss.
- Der Rücktritt von Intel-Chef Pat Gelsinger hat die Unsicherheit um die geplante Chipfabrik in Magdeburg weiter verstärkt.
- Ein Experte zweifelt an der Umsetzung des Projekts und sagt, es sei politisch unklug gewesen, alles auf eine einzelne Mega-Investition zu setzen.
- Das Vorhaben gilt als zentral für die EU-Chipstrategie. Ohne Intel könnten die ambitionierten Ziele gefährdet sein.
Der Rücktritt von Intel-Chef Pat Gelsinger dürfte in Sachsen-Anhalt für noch mehr Verunsicherung gesorgt haben. Nach der Verschiebung des Baustarts für die Intel-Fabrik in Magdeburg, ist der Rücktritt die nächste schlechte Nachricht mit Blick auf das Projekt: Gelsinger galt als treibende Kraft hinter der geplanten Ansiedlung der Chipfabrik in Magdeburg und als wichtiger Ansprechpartner für die Landesregierung. Wirtschaftsminister Sven Schulze zeigte sich überrascht. "Welche Auswirkungen das auf die Strategie des US-Konzerns auch für Magdeburg hat, lässt sich erst bewerten, wenn ein Nachfolger benannt ist", sagte Schulze.
Ähnlich äußerte sich auch Regierungssprecher Matthias Schuppe: "Wir haben keine Kenntnisse über die Hintergründe und über die Auswirkungen auch nicht", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. Ministerpräsident Haseloff werde das Thema am Montag bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ansprechen, so Schuppe weiter. Es bleibe bei der europäischen Strategie, die eigene Halbleiterproduktion auszubauen. Die Landesregierung arbeite daher weiter daran, den Hightech-Park bei Magdeburg zu entwickeln und dortige Flächen zu vermarkten.
Magdeburgs Wirtschaftsbeigeordnete Sandra Yvonne Stieger (CDU) erklärte, sie bleibe weiter optimistisch. Die Entscheidung, in Magdeburg zu pausieren, habe Gelsinger nicht allein getroffen. Das sei viel größer als Pat Gelsinger. Deshalb gehe man davon aus, dass sich am Sachstand nichts verändert habe.
Nach Angaben der Stadt hatte es Anfang November ein Treffen zwischen Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) und Verantwortlichen von Intel auf dem geplanten Intel-Gelände am Eulenberg gegeben. Wörtlich heißt es: "Intel wird den Dialog mit der Stadt Magdeburg und den regionalen Partnern fortsetzen, um die Grundlage für eine Neubewertung des Projekts in etwa zwei Jahren zu schaffen."
Ökonom: Politik mit Mangel an "Erfahrung und Expertise"
Für den Präsidenten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Reint Gropp, ist die Intel-Ansiedlung bei Magdeburg mit dem Rückzug von Konzern-Chef Pat Gelsinger noch unwahrscheinlicher geworden. Politisch sei es unklug gewesen, alles auf eine einzelne Mega-Investition zu setzen, kritisierte Gropp. "Es ist nie gut, alle Eier in einen Korb zu legen."
Auch habe man sich Intel nicht genau genug angesehen. Den Regierungen in Magdeburg und Berlin hätten für die Verhandlungen mit einem Weltmarkt-Konzern Erfahrung und Expertise gefehlt. "Am Ende haben wir Glück gehabt, dass das Projekt schon auf Eis liegt, bevor Subventionen geflossen sind."
Chipfabrik in Magdeburg löst Probleme von Intel nicht
Unter Gelsinger habe Intel im letzten Quartal einen "gigantischen" Verlust von über 16 Milliarden US-Dollar eingefahren. Ihm sei dabei insbesondere vorgeworfen worden, zu viel in Fabrikbauten und zu wenig in Entwicklung und Forschung zu investieren, so Gropp. "Eine neue Fabrik in Magdeburg kann einfach nicht zur Lösung der Probleme bei Intel beitragen", fasste Gropp zusammen.
Der Professor für Volkswirtschaftslehre rechnet nun mit einem grundlegenden Strategiewechsel im Intel-Konzern, der in Sachen Technologie hinter seine Konkurrenten Nvidia und TSMC zurückgefallen sei. Das Unternehmen müsse daher jetzt vor allem Geld in die eigene Forschung stecken.
Die Pläne der Landesregierung, am geplanten Hightech-Park bei Magdeburg festzuhalten, begrüßt Gropp. Allerdings müsste dafür nun die optimale Infrastruktur für Hightech-Unternehmen geschaffen werden. Ferner müssten Genehmigungsverfahren verschlankt werden und zwar für jedes Unternehmen, nicht nur für einen Konzern wie Intel. "Wenn man daran arbeitet, gibt es keinen Grund, warum sich nicht Unternehmen in Magdeburg ansiedeln sollten."
Die Entwicklung von Intel: Vom Rekordhoch zur Krise
Im Jahr 2020 erlebt Intel einen außergewöhnlichen Boom. Durch die explodierenden PC-Verkäufe während der Corona-Pandemie erzielt das Unternehmen einen Rekordumsatz von 77,87 Milliarden Dollar. Doch dieser Höhenflug hält nicht an: Mit der zunehmenden Konkurrenz durch AMD und Nvidia gerät Intel unter Druck. Nvidia überholt Intel sogar beim Börsenwert. 2021 holt Intel seinen früheren Technologiechef Pat Gelsinger und macht ihn zum Vorstandsvorsitzenden. Der gestartete Manager soll den schwächelnden Konzern wieder auf Kurs bringen. Gelsinger investiert Milliarden in den Ausbau der Auftragsfertigung und positioniert Intel neu im Wettbewerb.
Zwischen 2021 und 2024 plant Intel dann eine globale Expansion und kündigt den Bau zahlreicher neuer Werke an. Unterstützt durch milliardenschwere Staatshilfen sollen Projekte wie die "Megafab" in Magdeburg realisiert werden. Insgesamt ist ein dreistelliger Milliarden-Dollar-Betrag für den Ausbau vorgesehen.
2022 verschärft sich jedoch die Wettbewerbssituation. Intel fällt beim Börsenwert hinter AMD zurück, das kontinuierlich Marktanteile bei Prozessoren für PCs und Server gewinnt. Mit neuen KI-Hochleistungsprozessoren versucht Intel, Nvidia, den Weltmarktführer in diesem Bereich, herauszufordern.
Im Jahr 2024 wird die Situation für Intel noch schwieriger. Wegen anhaltend schlechter Geschäftsentwicklung setzt Gelsinger einen rigiden Sparkurs durch, der den Abbau von 17.500 Arbeitsplätzen und die Verschiebung des Magdeburger Fabrikprojekts zur Folge hat. Im November verliert Intel nach 25 Jahren seinen Platz im Dow Jones, den Nvidia einnimmt. Im dritten Quartal 2024 schoss der Umsatz im Jahresvergleich um 94 Prozent auf 35,1 Milliarden Dollar hoch. Der Gewinn wurde mit 19,3 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Intel verbuchte im zweiten Quartal 2024 einen Verlust von gut 16 Milliarden Dollar. Der Umsatz sank im Jahresvergleich um ein Prozent auf 12,8 Milliarden Dollar.
Intel in der Stadt weniger sichtbar
Am Gelände, das Intel für seine Investition in Magdeburg gekauft hat, hält der Konzern derweil aktuell fest und will es vorerst nicht verkaufen. Dies ließe sich nach Einschätzung von MDR-Wirtschaftsredakteur Stephan Schulz als Hoffnungsschimmer werten.
Schaut man sich aktuell in Magdeburg um, ist Intel allerdings deutlich weniger präsent als noch vor einigen Monaten. Beim 1. FC Magdeburg und SC Magdeburg wird noch Intel-Werbung geschaltet. Insgesamt bleibe die momentane Situation aber eine "ungeheure Zitterpartie", schätzt Schulz. "Es gab ein kleines Büro von Intel-Mitarbeitern, da ist es still drum geworden; die Deutschland-Pressesprecherin von Intel hat das Unternehmen verlassen. Und es gibt auch keine Stellenanzeigen mehr von Intel. Das alles sind so Zeichen, dass sich der Konzern zurückzieht."
Chipfabrik als wichtiges EU-Projekt
Die geplante Chipfabrik in Magdeburg sollte ein Schlüsselprojekt für die europäische Chipstrategie werden. Laut Experten könnte die Verschiebung des Projekts die EU-Ziele gefährden. Der Geschäftsführer des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie, Wolfgang Weber, verwies im September darauf, dass das EU-Ziel, bis 2030 einen Weltmarktanteil von 20 Prozent in der Chip-Produktion zu erreichen, ohne Intel in Magdeburg kaum umsetzbar sei. Auch der Geschäftsführer von Silicon Saxony, Frank Bösenberg, äußerte sich skeptisch. In der Magdeburger Fabrik sollten vor allem Chips für Smartphones und Laptops produziert werden – ein Bereich, in dem Europa bislang keine Rolle spiele.
Verzögerungen und Standortfragen
Bereits im September hatte Intel angekündigt, dass sich das Vorhaben in Magdeburg um mindestens zwei Jahre verzögern werde. Das Unternehmen hatte sein Büro in der Landeshauptstadt inzwischen geschlossen, besitzt jedoch weiterhin die vorgesehene Ansiedlungsfläche. Auch die Pressesprecherin für Deutschland hat den Konzern bereits verlassen, Stellenangebote gibt es auch keine mehr. Und auch in Berlin ist die Hoffnung auf Intel bereits geschwunden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte Anfang November angeregt, die für das Projekt reservierten zehn Milliarden Euro in den Bundeshaushalt zu überführen, sollte Intel seine Pläne nicht umsetzen.
MDR (Moritz Arand, Stephan Schulz, Daniel Salpius, Sören Thümler) | Erstmals veröffentlicht am 03.12.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 03. Dezember 2024 | 19:00 Uhr
Thorsten Pfeiffer vor 6 Wochen
Was sagt den der Ostbeauftragte der Bundesregierung zu den Vorgängen. Er hatte doch auch die Nachricht auf der Haben-Seite für gute Wirtschaftspolitik der SPD geführten Bundesregierung verbucht. Gibt es noch mehr solcher Leuchturmprojekte?
Magdeburg1963 vor 6 Wochen
Dass das Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung hinsichlich seiner "kritischen" Meinung nicht unumstritten ist, dürfte bekannt sein. Tatsache ist, dass die deutsche Industrie und damit hunderttausende von Jobs in Regionen abwandert, wo sie entsprechend subventioniert werden. Bereits jetzt sind in Deutschland Züge einer Deindustrialisierung zu erkennen. Geld in Forschung und Entwicklung zu investieren mag richtig sein, wird aber nicht den Wegfall der Arbeitsplätze kompensieren. Man sollte nicht verkennen, dass Deutschland beim Wirtschaftswachstum nach einer Prognose der OECD im kommenden Jahr das Schlusslicht unter den Industrieländern sein wird.
pwsksk vor 6 Wochen
@Ralf, mit ihnen im Ministerium wäre das alles anders gelaufen?
Denken sie bitte mal nach, das zum Zeitpunkt vor 3 Jahren in der gesamten EU über eine Förderung der Chips Produktion gesprochen und von einer groß angelegten auch finanziellen Förderung ausgegangen wurde.
Im Nachhinein sind kluge Worte sehr leicht ausgesprochen. Und wieviele BLänder waren denn "neidisch", das sich Intel ausgerechnet für Magdeburg entschieden hatte. Selbst das Leibniz Institut kam doch erst an die Öffentlichkeit, als die "Krise" von Intel und Zahlen bekannt wurden.