Interview Sozialpädagogin: "Es muss mehr Familienförderung geben"

Ramona Stirtzel von der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt im Fachbereich Soziale Arbeit. Sie beobachtet die Entwicklung der Kinderarmut in Sachsen-Anhalt und ist Mitorganisatorin der Armutskonferenz 2019.

MDR SACHSEN-ANHALT: Was bedeutet es für Kinder in Sachsen-Anhalt arm zu sein?

Ramona Stirtzel: Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut und das zeigt sich natürlich hier in Magdeburg auch. Für die Kinder bedeutet das natürlich, dass sie nicht in dem Rahmen aufwachsen, wie ein gesundes Aufwachsen auch durch die Kinderrechts-Konvention und durch Menschenrechtskonventionen gefordert wird. Das heißt: Sie haben keine Chancengleichheit.

Das dritte Kind ist in Deutschland ein Armutsrisiko.

Das ist zum Beispiel Bildungsbenachteiligung, weil diese Kinder einfach in ihrem Bildungsweg schon beeinträchtigt werden. Dazu müssen wir schauen: Wer ist vorrangig von Armut betroffen? Das sind in der Regel Kinder, die in Alleinerziehenden-Haushalten aufwachsen, vorrangig Frauen, Männer inzwischen auch.

Das dritte Kind ist in Deutschland ein Armutsrisiko – das heißt also: Kinder, die in Familien mit mehreren Kindern aufwachsen, sind betroffen. Die haben Nachteile im Gesundheitsbereich, weil Eltern, wenn es etwa um gesunde Ernährung geht, nicht die Lebensmittel kaufen können, die sie kaufen wollen oder das durch Bildungsbenachteiligung nicht wissen.

Es gibt verschiedene Ansätze Kinderarmut zu definieren. Was verstehen Sie darunter?

Wir sprechen hier von einer relativen Kinderarmut. Das heißt, es ist materielle Armut. Es ist so, dass Kinder nicht beteiligt werden in vielen Dingen – und nicht beteiligt werden können, weil die Ressourcen nicht da sind.

Ein Schwerpunkt auf der Magdeburger Armutskonferenz 2019 ist die Sozialarbeit in Kindertagesstätten, die es bisher in Sachsen-Anhalt nicht gibt. Weshalb fordern Sie und die Sozialverbände, Kita-Sozialarbeit einzuführen?

Die Schulsozialarbeit hat gezeigt, dass es sehr gute Wirkungen gibt; dass sich sehr viel verbessert hat für die Eltern, für die Kinder, auch für die Schulen selbst – dass es aber mitunter in der Schule schon zu spät ist. Viele Probleme treten schon in den Kindertagesstätten auf. Dort wird zum Beispiel SGB II-Beratung erwartet von Eltern, die sagen: Wir haben ein Problem, wir können die Gebühren nicht zahlen. Das können Erzieherinnen in Kindertagesstätten nicht leisten, das ist auch nicht ihre Profession. Weiterhin gibt es dort Probleme des gesunden Aufwachsens, der Teilhabe, der Chancengleichheit. Da ist es ganz wichtig, eine intensive Elternarbeit zu machen. Und dafür werden Kita-Sozialarbeiterinnen gebraucht.

Um Benachteiligungen von Kindern aus Familien, die Hartz-IV beziehen, abzumildern, gibt es bereits seit Jahren Gelder in Form des Bildungs- und Teilhabepaketes. Genügt das nicht?

Ich denke alles abmildern können wir damit nicht. Da müssen wir ganz woanders anfangen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, damit Kinder, die sonst aufgrund materieller Armut ausgeschlossen sind, teilhaben können. Aber man muss in Zukunft noch einmal überlegen, wie man generell damit umgehen will, Familien zu unterstützen. Es muss mehr Familienförderung geben und ein großes Anliegen, ein Herzensanliegen von mir, ist nicht nur die Kita-Sozialarbeit, sondern auch die Elternbildung.

Wir haben ganz viele Eltern, die nicht wissen: Wo bekomme ich was her, wo bekomme ich da Unterstützung?

Und deswegen ist es mir sehr wichtig, dass wir mehr Elternbildung anbieten und dass das ausgebaut wird. Dann können solche Pakete sicherlich sinnvoll sein.

Quelle: MDR/rj

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 06. März 2019 | 19:00 Uhr

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