ArbeitsförderungJunge Arbeitslose: "Viele haben noch nie ein Lob gehört"
Das neue Ausbildungsjahr in Sachsen-Anhalt ist gestartet. Wie in den Vorjahren gab es mehr Stellen als Bewerberinnen und Bewerber. Doch nicht immer gelingt Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Einstieg ins Berufsleben sofort. Warum junge Menschen arbeitslos sind und wie ihnen geholfen werden soll.
- Projekte wie "Stabil" sollen jungen Menschen helfen, ins Berufsleben zu finden.
- Der Ausbildungsmarkt in Sachsen-Anhalt braucht Migration, heißt es von der Arbeitsagentur.
- 2023 haben etwa 60 Prozent der geförderten jungen Menschen sechs Monate nach Abschluss der Maßnahme eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.
Kurz vor 12 Uhr in einer Küche in Magdeburg-Buckau. Das heutige Tagesgericht brutzelt auf dem Herd, es gibt Hähnchen-Curry. Gekocht hat es Kevin Schulze. Er nimmt hier in den Räumlichkeiten des Bildungsträgers SBH Nordost seit fünf Monaten am Projekt "Stabil" teil. Das soll ihm helfen, den Schritt ins Berufsleben zu schaffen.
Zahl junger Arbeitsloser in Sachsen-Anhalt stagniert
Der 17-Jährige hat seit ein paar Jahren mit privaten Problemen zu kämpfen. Die Schule kommt irgendwann zu kurz. Das positive Gefühl, das er in der Grundschule noch hatte, verändert sich. Bis zu den ersten Jahren in der Sekundarschule sei er immer gern und motiviert zum Unterricht gegangen. "Das Lernen hat Spaß gemacht", erzählt Kevin Schulze. Das ändert sich allerdings, als seine Oma stirbt. Er kann sich nicht mehr aufraffen und entwickelt soziale Ängste. Es fällt ihm immer schwerer, sich zu motivieren. "Ich wusste nicht, was ich in dieser Gemeinschaft machen soll", sagt der Magdeburger.
Die folgende Grafik zeigt, dass die Zahl der jungen Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren stagniert. In der Statistik werden Menschen berücksichtigt, die sich (noch) nicht in berufsfördernden Maßnahmen befinden. Beim Klick in die Grafik sehen Sie, wie viele der jungen Arbeitslosen keinen Schul- bzw. keinen Berufsabschluss haben.
Kevin Schulze macht sich viele Gedanken darüber, was andere über ihn denken. Ab der siebten Klasse geht er schließlich nicht mehr zur Schule. Durch die Jugendberufsagentur Magdeburg wird er nach einiger Zeit auf "Stabil" aufmerksam. Hier will er lernen, wie es im Berufsleben abläuft. Gemeinsam mit 35 anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Werkstattbereichen möchte er die Ausbildungsreife erlangen – um später auf eigenen Beinen zu stehen.
Das Projekt "Stabil"
"Stabil" wird sachsen-anhalt-weit in verschiedenen Städten bei unterschiedlichen Bildungsträgern angeboten. Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 27 Jahren, denen der Eintritt ins Berufsleben schwer fällt – etwa weil sie einen Förderbedarf, keinen Schulabschluss oder eine Ausbildung abgebrochen haben. Ziel ist es, diese Menschen fit für den Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt oder weitere Fördermaßnahmen zu machen.
Im Projekt werden sie sozialpädagogisch betreut und auf den Hauptschulabschluss vorbereitet. Zudem probieren sie sich in verschiedenen Werkstattbereichen aus (Holz/ Metall/ Hauswirtschaft & Küche), um ihre Stärken zu finden.
"Stabil" wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Die Teilnehmerinnen sind in der Regel maximal 18 Monate im Projekt, eine Verlängerung ist auf Antrag möglich.
Der 17-Jährige entscheidet sich für den Hauswirtschaftsbereich. Er interessiert sich für Lebensmittel und möchte später im Einzelhandel arbeiten. Bei SBH Nordost bereitet er gemeinsam mit anderen das Essen für die Kantine des Bildungsträgers vor. Gerichte planen, Mengen richtig einschätzen, Lebensmittel besorgen, kochen, nichts verschwenden – das alles gehört dazu. An diesem Montag sind es insgesamt 16 Portionen. "Ich lerne hier, wozu Lebensmittel gut sind, was es zu beachten gilt – und auch, was man mal für sich selbst kochen kann", erzählt Kevin Schulze.
Neues Selbstbewusstsein durch das Projekt
Die letzten fünf Monate haben Spuren bei ihm hinterlassen – positive. "Ich bin jetzt viel motivierter, hier her zu kommen. […] Ich habe hier Freunde, Kollegen, die für mich da sind, denen ich alles erklären kann, vertrauen kann. […] Es macht mir Spaß hier, ich kann mich hier gut auf meine Weiterentwicklung konzentrieren."
Ich habe hier Freunde, Kollegen, die für mich da sind, denen ich alles erklären kann, vertrauen kann. […] Es macht mir Spaß hier.
Kevin Schulze, Projektteilnehmer "Stabil"
Dass das Selbstwertgefühl bei den Teilnehmenden steigt, bemerkt "Stabil"-Projektleiter Marcus Schlüter häufig. "Manchmal ist es ganz einfach, indem man einfach sagt: 'Gut gemacht!' Viele Menschen, die hier ankommen, haben das in ihrem Leben noch nicht so oft gehört – bis gar nicht. Da sieht man manchmal schon in der ersten Woche einen wahnsinnigen Sprung nach vorne, weil sie einfach merken: 'Okay, daran habe ich Freude und bekomme Bestätigung'", stellt er fest.
"Gut gemacht!" Viele Menschen, die hier ankommen, haben das in ihrem Leben noch nicht so oft gehört.
Marcus Schlüter, Projektleiter SBH Nordost Magdeburg
Kleineres Ausbildungsangebot auf dem Land
Neben nicht vorhandener Motivation, Perspektivlosigkeit und fehlenden Schulabschlüssen beobachtet Schlüter bei Jugendlichen auch andere Dinge, die es mitunter schwer machen, im Berufsleben Fuß zu fassen. So seien etwa Angebote zur Berufsorientierung während der Corona-Pandemie ausgefallen. Zudem sei auch fehlende Mobilität ein großes Problem. Im ländlichen Raum sei das Ausbildungsangebot der Firmen kleiner; mitunter sei es schwer, von A nach B zu kommen.
Das Vorurteil, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene einfach faul seien, kann Georg Haberland nicht bestätigen. Er ist Sprecher der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord. "Das entspricht nicht unseren Erfahrungen. Wir haben sehr engen Kontakt mit den jungen Menschen und arbeiten sehr intensiv daran, diese Herausforderungen, die die Jugendlichen mitbringen, zu beseitigen. Wir erleben auch ein hohes Interesse daran, in den Beruf einzusteigen", so Haberland.
Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt braucht Migration
Damit dies gelingen kann, arbeiten Haberland zufolge in Magdeburg viele Player zusammen. Wenn die Berufsorientierung in der Schule oder zu Hause nicht ausreiche, sei beispielsweise die Jugendberufsagentur ein Anlaufpunkt. Hier kooperieren das Jobcenter, die Agentur für Arbeit und die Landeshauptstadt Magdeburg, um beim Übergang von Schule in Beruf zu helfen.
Jugendberufsagenturen und ähnliche Beratungsstellen in Sachsen-Anhalt
- Jugendberufsagentur Altmarkkreis Salzwedel
- Jugendberufsagentur Stendal
- Jugendberufsagentur Magdeburg
- Jugendberufsagentur Börde
- Jugendberufsagentur Landkreis Harz
- Koordinierungsstelle Jugend und Beruf Salzlandkreis
- Jugendberufsagentur Jerichower Land
- Jugendberufsagentur Anhalt-Bitterfeld
- Jugendberufszentrum Dessau-Roßlau
- Jugendberufsagentur Wittenberg
- Haus der Jugend Halle
- Jugendberufsagentur Saalekreis
- Jugendberufsagentur Mansfeld-Südharz
- Jugendberufsagentur Burgenlandkreis
Haberland stellt fest, dass sich der Anteil junger Migrantinnen und Migranten, die sich in der Region beraten lassen, kontinuerlich steigt. Grund seien die Fluchtbewegungen – ein wichtiger Punkt angesichts des demografischen Wandels, meint Haberland.
Mit Blick auf die Herausforderungen bei der Stellenbesetzung am Arbeits- und Ausbildungsmarkt gilt es, alle Potenziale zu heben und da ist natürlich auch die Migration in Arbeit ein ganz elementarer Punkt, den wir hier in der Region brauchen werden.
Georg Haberland, Sprecher Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord
Ob bei Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund – welchen Effekt berufsfördernde Maßnahmen am Ende haben, zeigt ein Blick auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Danach haben 2023 von knapp 15.500 geförderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gut 60 Prozent nach sechs Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen. Bei ungefähr einem Viertel dieser 60 Prozent handelte es sich um eine sozialversicherungspflichtige Ausbildung, bei dem Rest um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne Ausbildung.
Arbeitsförderung in Deutschland wird modernisiert
Die Bundesregierung hat im August einen Entwurf für ein neues Gesetz beschlossen, das die Arbeitsförderung modernisieren soll. Es sieht eine Stärkung der Jugendberufsagenturen vor. Weitere Ziele sind mehr Transparenz und Effizienz sowie ein Abbau von Bürokratie. Zudem soll Arbeitsförderung noch digitaler werden.
Arbeitsagentursprecher Georg Haberland schätzt die digitalen Möglichkeiten als nützlich ein, da sie den Kontakt niedrigschwelliger machten. Allerdings sei ein persönliches Gespräch in vielen Fällen auch weiterhin wichtig – "gerade bei Jugendlichen, die Schwierigkeiten haben, diese Tools alleine zu nutzen".
Auch Marcus Schlüter vom Projekt "Stabil" sieht zum Teil Schwierigkeiten. Jugendliche hätten beispielsweise zum Teil vielleicht ein Smartphone, aber kein Geld mehr für den Vertrag. Zudem sei es schnell gesagt, man habe keine E-Mail bekommen oder keinen Anruf erhalten.
Arbeitsmarktforscher Christian Brzinsky-Fay von der Universität Hamburg schätzt die 60 Prozent als erfolgreichen Wert ein. Brzinsky-Fay sagte MDR SACHSEN-ANHALT, nach oben hin sei zwar Luft. Hätten die Jugendlichen aber an keinen Maßnahmen teilgenommen, hätten wahrscheinlich weniger von ihnen einen Job gefunden.
Brzinsky-Fay spricht sich allerdings für eine intensivere Auswertung der angebotenen Fördermaßnahmen aus. Hier sollten mehr Anstrengungen und Ressourcen hineinfließen, um noch genauer zu wissen, was am Ende wirklich hilfreich sei.
Und wo sieht sich Kevin Schulze nach seiner Teilnahme bei "Stabil"? Er ist vorausichtlich noch bis Ende Oktober 2025 im Projekt. Danach will er seinen Schulabschluss nachholen und die Ausbildung im Einzelhandel angehen. "Ich möchte Geld haben, um mir selbst eine Wohnung leisten und mich versorgen zu können", erzählt er. Er wirkt selbstbewusst, als er das sagt – das Ziel klar vor seinen Augen.
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MDR (Kalina Bunk) | Erstmals veröffentlicht am 05.09.2024
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. September 2024 | 17:00 Uhr