Kommentar Streit um Intel in Magdeburg: Einmal durchatmen, bitte

24. März 2023, 09:39 Uhr

Sachsen-Anhalt steht wegen der Intel-Ansiedlung mal wieder bundesweit in den Schlagzeilen. Diesmal allerdings nicht wegen des "Wunders von Magdeburg", sondern wegen eines fast schon hysterisch geführten Streits über Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern. Höchste Zeit, auf eine sachliche Ebene zurückzukommen, sonst schadet Sachsen-Anhalt sich selbst. Ein Kommentar.

Mehrere Tage, nachdem der stellvertretende IWH-Präsident Oliver Holtemöller in einem Spiegel-online-Interview kritische Worte zur Intel-Ansiedlung geäußert hat, brennt in Sachsen-Anhalt immer noch die Luft. In dem Interview hatte Holtemöller auf noch fehlende Infrastrukturen und Fachkräfte aufmerksam gemacht. Unter anderem hatte er gesagt: "Niemand steht Schlange, um in Sachsen-Anhalt arbeiten zu dürfen." Ostdeutschland sei nicht attraktiv genug für die benötigten internationalen Fachkräfte, das liege auch an der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit.

Täglich äußern sich seitdem neue Stimmen aus der Politik, die sich auf die einzelnen Aussagen stürzen und das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) heftig angreifen. Magdeburgs Ex-Oberbürgermeister und Intel-Berater Lutz Trümper (SPD) sprach von "absurder Stammtischkritik, die nichts mit wissenschaftlicher Expertise zu tun habe". Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) sagte, dass die IWH-Spitze von Vorurteilen und Neid geprägte Aussagen treffe. Und der CDU Landesfraktionschef Guido Heuer äußerte sogar, dass man die Sinnhaftigkeit von Fördermitteln für das IWH in Frage stellen könne. Das IWH, so der Tenor, schade mit seinen Aussagen Sachsen-Anhalt und sogar ganz Ostdeutschland.

Der Ton der Debatte ist unangemessen

Die Debatte über die Intel-Ansiedlung darf so nicht weiter geführt werden. Natürlich haben Sachsen-Anhalts Politiker das Recht, die Aussagen des IWH zu kritisieren. Die gerade gezeigten Reaktionen auf die zugegeben teilweise provokative Kritik schießen aber weit über das Ziel hinaus. Die indirekte Drohung ans IWH, nach der Kritik zukünftig über Fördergelder nachzudenken, muss nach außen hin wirken wie ein Angriff auf unabhängige, freie Forschung. Inzwischen hat Guido Heuer (CDU) selbst zurückgerudert und betont, dass er für sich freie, unabhängige Forschung stark mache.

Der Finanzpolitiker Guido Heuer (CDU) spricht während einer Sondersitzung im Landtag von Sachsen-Anhalt.
Guido Heuer (CDU) hatte das IWH nach dessen Kritik scharf angegriffen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Auch die persönlichen Unterstellungen von Neid oder Angriffe auf die IWH-Spitze mit Bezug auf ihre West-Herkunft haben in dieser Diskussion nichts zu suchen. Ebenso wie ein angeblicher Halle-Magdeburg-Konflikt. Bei allem Verständnis für Wut über einzelne Aussagen: Ein Streit, der sich auf diesem Niveau bewegt, schadet der Sache. Denn letztlich muss es darum gehen, die Ansiedlung von Intel in Magdeburg zu einem Erfolg zu machen. Und der wird nur kommen, wenn alle gemeinsam an den nötigen Voraussetzungen wirken.

Was steckt hinter der Kritik, über die gestritten wird?

Zeit, einen Gang runterzuschalten und die Anmerkungen des IWH mit etwas Ruhe zu betrachten.
Punkt 1: Subventionen: Intel möchte für seine Chip-Fabrik mittlerweile Subventionen in Höhe von zehn Milliarden Euro haben. Es ist die Aufgabe eines Wirtschaftsinstituts, solche Investitionen von Steuergeldern kritisch zu prüfen. Trotz aller Begeisterung und Chancen gibt es auch anderswo kritische Stimmen zum angeschlagenen Chip-Riesen. Wenn das IWH zu negativen Einschätzungen kommt, gilt es, sich mit den Begründungen auseinanderzusetzen und möglicherweise Lösungsansätze zu generieren oder umzusetzen.

Punkt 2: Infrastruktur: IWH-Vize Oliver Holtemöller sagte, Magdeburg fehle es derzeit an den nötigen Infrastrukturen. Er bemängelte unter anderem eine fehlende (öffentliche) Anbindung an das spätere Betriebsgelände, den fehlenden ICE-Anschluss, geeigenete Wohnungen und englischsprachige Schulen. All dies sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass genug Fachkräfte kommen und auch in Magdeburg bleiben. Das hat auch die Stadt schon seit langem erkannt und mit Intel Pläne für den Aufbau der Infrastrukturen ausgearbeitet.

Punkt 3: Fachkräftemangel:
Wenn Holtemöller darüber spricht, dass "die Menschen nicht Schlange stehen, um in Sachsen-Anhalt zu arbeiten", klingt das vielleicht für einige herabwürdigend gegenüber Sachsen-Anhalt oder Ostdeutschland. Speziell in der Chip-Branche macht er aber durchaus einen Punkt. Hier gibt es europaweit einen Mangel an Fachkräften, viele Hersteller haben deshalb Schwierigkeiten. Folglich kann Magdeburg nicht einfach warten, dass die Menschen von alleine kommen, sondern muss etwas dafür tun und insbesondere für internationale Fachkräfte attraktiv sein.

Punkt 4: Internationale Attraktivität
Holtemöller hatte gesagt, Ostdeutschland sei auch auf Grund von Fremdenfeindlichkeit nicht attraktiv genug für die benötigten Zuwanderer. Die Politik negiere das. Daraufhin wurde ihm vorgeworfen, er diffamiere damit ganz Ostdeutschland.
Fakt ist: Magdeburg muss sich bei internationalen Fachkräften gegen andere attraktive Standorte auf der Welt durchsetzen. Dabei geht es nicht nur im Infrastruktur und Anbindung, sondern auch um die internationale Außenwirkung. Hier gab es neben einigen Erfolgsgeschichten in den vergangenen Monaten auch viele Negativschlagzeilen. Dazu zählen etwa Probleme in der Ausländerbehörde, rassistische Polizeichats und eine zu hohe Zahl rechtsextremer Übergriffe. Dass das Fachkräfte abschrecken kann und es hier Verbesserungsbedarf gibt, ist als Argument nicht aus der Luft gegriffen.

Gespräche zwischen Politikern und IWH-Spitze

Damit die Intel-Ansiedlung nicht nur stattfindet, sondern auch ein echter Erfolg wird, gibt es viel zu tun. Über einzelne Einschätzungen und Lösungswege lässt sich dabei sicher streiten. Dennoch wird für ein Gelingen Zusammenarbeit nötig sein und keine Schlammschlacht. Dazu hilft: Einmal tief durchtamen und ins Gespräch kommen.

Sowohl Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) als auch Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) haben der IWH-Spitze kürzlich ihre Gesprächsbereitschaft signalisiert. Bleibt zu hoffen, dass dort alle Seiten einen angemessenen Ton beibehalten und sich dort konstruktiv um Lösungen bemühen. Es gibt genug zu tun.

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39 Kommentare

pwsksk am 25.03.2023

Und sie wissen, das der Konzern "seine besten Tage hinter sich hat"?
Und wo hören sie zu und finden den Kompromiss, wenn hier in Sachsen-Anhalt angeblich alles rechts ist?

EOM am 25.03.2023

Und schon wieder ein Kommentar, der völlig realitätsfern ist. Fremdenfeindlichkeit bedeutet doch nicht, dass man zwischen guten Ausländern und schlechten Ausländern unterscheidet.

Ich hab einen Migrationshintergrund, hab Abi gemacht und studiere auch. Erlebe ich hier in Magdeburg trotzdem mehr Rassismus als z.B. in Braunschweig???? Ja und das obwohl ich ja wahrscheinlich später eine Fachkraft sein werde, die hier dringend gebraucht wird. Ich werde tatsächlich hier nur bleiben, wenn Intel kommt und sich die Stimmung in der Stadt verbessert und westdeutsches Niveau erreicht. Übrigens gibt es eine Menge internationaler Studenten in Magdeburg, die selbst sagen, dass sie nach dem Studium wegziehen werden, was sie aber schade finden, weil die Stadt selbst eigentlich toll ist.

Es ist so unglaublich, wie viele Ostdeutsche dieses Problem leugnen. Statt dieses Problem zu leugnen, solltest du mithelfen es einzudämmen.

Otto BW am 25.03.2023

Es handelt sich hier trotzdem um subjektive Meinungsäußerungen einiger Mitarbeiter des IWH und nicht um Forschungsergebnisse und es ist auch naiv anzunehmen, die Verantwortlichen von Intel hätten ihre Entscheidung nicht gründlich bedacht.

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