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KommentarLetzte Generation: Klebt Euch doch an den Bundestag!

24. November 2022, 09:42 Uhr

Die Straßenblockaden der "Letzten Generation" haben in dieser Woche Sachsen-Anhalt erreicht. Es folgten die erwartbaren Reaktionen: Unverständnis, Hohn und Wut in der Öffentlichkeit. Aber: Retten die Klimaaktivisten durch Kleben das Klima? Unser Kommentator meint: Nein. Es brauche für Klimaschutz eine deutliche breitere Unterstützung.

"Geh arbeiten" ruft ein Passant in Richtung Lina Schinköthe, eine der Klimaaktivistinnen, die es geschafft hatte, sich am Montag in Magdeburg auf der B1 anzukleben. Nun ist Faulheit wahrscheinlich ein Vorwurf, der an den Aktivistinnen vorbeigeht, denn sie sind bundesweit unterwegs, um den Klimaschutz voranzutreiben. Stattdessen drehen die Akteure der "Letzten Generation" nun ihrerseits den Spieß um und werfen der großen Mehrheit Faulheit vor, und zwar Veränderungsfaulheit.

Gründe für den Protest: Klimawandel, Konsum, Zukunftsangst

Blickt man auf den dürftigen Ertrag der jüngsten Weltklimakonferenz in Ägypten, dann kommt man wohl nicht umhin, der Kritik zuzustimmen. Und wenn die 20-jährige Schinköthe erklärt, sie habe Angst um ihre Zukunft, dann könnte sie als Beleg den UN-Generalsekretär Guterres zitieren, der auf der Weltklimakonferenz mitteilte, die Staatengemeinschaft sei auf dem "Highway zur Klimahölle."

Wenn sich also junge Menschen mehr sorgen als ältere Generationen, dann ist das verständlich, denn allmählich reift die Erkenntnis, dass die Klimaänderungen der nächsten Jahrzehnte dramatischer ausfallen werden als bislang gedacht. Jener oft gehörte Spruch an die Nachfahren, die es später mal besser haben sollen, gilt offenbar nicht mehr. Die derzeitigen Generationen konsumieren, als gebe es kein Morgen – Wohlstandsverzicht ist auch trotz eines grünen Wirtschaftsministers allenfalls Theorie. Es gibt also viele Gründe für Protest.

Klebeaktionen schaden Klimaschutz

Wer politisch erfolgreich sein will, der braucht selbst in Zeiten der Digitalisierung nicht nur Follower, sondern auch echte Unterstützer. Mit ihren Störungen des Alltags schaffen es die Aktivisten der "Letzten Generation" derzeit immerhin auf Titelseiten und in die bundesweiten Hauptnachrichten. Doch wenn sich zum wiederholten Mal Menschen irgendwo festkleben, dann sinkt rasch das Medieninteresse.

Wer also mit solchen Aktionen die Öffentlichkeit erreichen will, der unterliegt den Regeln dieses Marktes und der verlangt vor allem eines, nämlich ständig neue Schlagzeilen. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist gnadenlos. Das kann auch zu einer Radikalisierung in der Wahl der Mittel führen, ohne jedoch gleich eine Terrorgefahr herbeizureden. Bislang gibt es in Deutschland vor allem eine Terrorgefahr von rechts, darauf verweisen Verfassungsschützer immer wieder.

Aber mit ihren Aktionen sorgt die "Letzte Generation" überwiegend für Unverständnis und Ablehnung. Dies aber ist im Sinne einer demokratischen Aushandlung von gesellschaftlichen Zielen sicherlich der falsche Weg, um den Klimaschutz in Deutschland zu beflügeln. Es besteht also die Gefahr, dass der Klimaschutz eher diskreditiert als gestärkt wird durch solche Klebeaktionen.

Erreichbarkeit der Klimaziele unklar

Nach Angaben des Dessauer Umweltbundesamtes verursacht derzeit ein Deutscher im Durchschnitt rund 11,2 Tonnen CO2 pro Jahr – das ist viermal so viel, wie ein Inder jährlich verursacht. Damit ist klar, dass unsere Art zu konsumieren weder hier noch anderswo auf diesem Planeten eine Zukunft hat. Um den Klimawandel moderat ausfallen zu lassen, müssen wir in den nächsten Jahren auf eine Zahl von möglichst unter zwei Tonnen CO2-Ausstoß pro Kopf kommen.

Wie das gelingen soll, ist derzeit noch ziemlich unklar. So wie die Klimaaktivistinnen auf der Straße, so kleben wir nämlich an unseren Gewohnheiten, fliegen in den Urlaub, fahren täglich unser Auto durchs Land und essen weiterhin mehr Fleisch, als uns guttut. Vor uns liegt also eine Entwöhnung und wer schon mal mit dem Rauchen aufgehört hat oder auch nur zeitweilig auf Dinge verzichtete, der weiß wie sehr die Stimmung in solchen Phasen angespannt ist.

Klimaproteste richtig adressieren

Statt also mit dem Furor einer Endzeitsekte die Bevölkerung in eine Verweigerungshaltung zu treiben, wäre es doch besser, für die Ziele in anderer Art zu werben und die Proteste dorthin zu tragen, wo sie konkrete Adressaten haben. Mein Vorschlag: Keine Ölbilder mit Kartoffelbrei bewerfen, eine wirklich kindische Idee, sondern sich vielleicht an den Bundestag kleben, das ist schließlich jener Ort, wo die Klimapolitik verhandelt wird.

Auch Ministerien oder Energiekonzerne scheinen mir geeigneter zu sein, als sich irgendeine Straßenkreuzung auszusuchen. Doch egal welchen Weg man wählt, es braucht mit Sicherheit einen langen Atem. Denn mit der Idee des Verzichts politische Mehrheiten zu erzielen, dürfte alles andere als leicht werden, doch die Alternative, nämlich eine "Öko-Diktatur", verbietet sich ebenfalls.

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MDR (Uli Wittstock, Mario Köhne)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. November 2022 | 19:00 Uhr

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