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Seit dem Messerangriff von Wolmirstedt ist die Polizeipräsenz in dem Ort mit 12.000 Einwohnern deutlich erhöht worden. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/Martin Schutt

Drei Monate danach"Das Sicherheitsgefühl hat massiv nachgelassen" – Wie der tödliche Messerangriff das Leben in Wolmirstedt verändert hat

08. September 2024, 17:58 Uhr

Vor drei Monaten sorgte der tödliche Messerangriff von Wolmirstedt bundesweit für Aufsehen. Fest steht inzwischen: Die Messerattacke wirkt noch immer nach. Was macht solch eine Tat mit dem Sicherheitsgefühl der Menschen in einer Kleinstadt?

Die Haustür steht offen. Kinder strömen heraus. Scheinbar unbeschwert, als wäre nie etwas passiert. Doch hier, in dieser Plattenbausiedlung in Wolmirstedt, ist Schreckliches passiert: Am 14. Juni dieses Jahres tötete ein Afghane bei einem Messerangriff einen anderen Mann aus Afghanistan. Im Anschluss verletzte der 27-Jährige in einer nahe gelegenen Kleingartensiedlung drei weitere Menschen. Der mutmaßliche Täter wurde von Polizisten erschossen. Die Tat sorgte bundesweit für Aufsehen – und ließ eine erschütterte Kleinstadt zurück.

"Die ersten Wochen nach dem Angriff habe ich mich gar nicht mehr alleine in den Hausflur getraut, auch meine Kinder hatten Angst, alleine nach oben in den nächsten Stock zu ihren Freunden zu gehen", erzählt die Mutter der Kinder, die an diesem Donnerstag Anfang September aus dem Hauseingang treten. Sie will anonym bleiben und sagt: "Es hätte auch in jedem anderen Block passieren können. Trotzdem war das ein Schock für uns."

Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte eingestellt: Schusswaffen-Einsatz rechtens

Drei Monate danach wirkt die Tat in der 12.000-Einwohner-Stadt nahe Magdeburg noch immer nach – auch wenn inzwischen viel aufgearbeitet wurde. Das Ermittlungsverfahren gegen zwei Polizeibeamte wurde in der vergangenen Woche eingestellt. Sie hatten auf den Angreifer geschossen und ihn getötet. Ihr Schusswaffen-Einsatz war laut Staatsanwaltschaft rechtens.

Zuvor hatte die Polizei bereits mitgeteilt, dass keine Hinweise auf einen religiösen oder terroristischen Hintergrund der Tagt vorliegen würden. Die toxikologische Untersuchung des Leichnams des 27-Jährigen ergab, dass der Angreifer nicht unter Einfluss von Alkohol, Drogen oder Arzneimitteln stand. Die Frage nach Ursachen und Motiven der Tat bleibt.

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Menschen geschockt über Gewalttat in Kleinstadt

Marlies Cassuhn lebt seit 1972 in Wolmirstedt im Landkreis Börde. Seit 2018 arbeitet sie als parteilose Bürgermeisterin. "Als ich von der Messerattacke gehört habe, ging es mir wie allen Bürgern: Ich war zunächst ungläubig und geschockt", erinnert sich Cassuhn an den Abend des 14. Juni. "Das war ein Einschnitt in das beschauliche Leben unserer Kleinstadt."

Vor allem auch, sagt die Bürgermeisterin, weil "diese Tat im privaten Bereich passiert ist", wie Cassuhn sagt. "Bisher haben solche Vorkommnisse meistens im öffentlichen Raum stattgefunden, dann aber plötzlich in einem Schutzraum. Das war ein Schock für alle Wolmirstedter." Der mutmaßliche Täter soll damals mehrere Menschen in einer Kleingarten-Siedlung bedroht haben, ehe er auf einer Gartenparty zur Fußball-Europameisterschaft in einer Einfamilienhaus-Siedlung drei Personen verletzt haben soll.

Das war ein Einschnitt in das beschauliche Leben unserer Kleinstadt.

Bürgermeisterin Marlies Cassuhn (parteilos) über den tödlichen Messerangriff von Wolmirstedt

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Verstärkte Polizeipräsenz in Wolmirstedt

In Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern nimmt Marlies Cassuhn seit dem Messerangriff wahr, dass "das Sicherheitsgefühl massiv nachgelassen hat", wie die Bürgermeisterin sagt. "Die Menschen fühlen sich nicht mehr sicher. Sie fühlen sich hilflos. Sie fühlen sich zum Teil sogar schutzlos. Diese Verunsicherung der Menschen kann ich ihnen leider nicht nehmen."

Als Folge des Messerangriffs wurde die Polizeipräsenz in der Stadt verstärkt, erzählt Cassuhn und spricht von regelmäßigen Streifen, auch zu Fuß, zu verschiedenen Tageszeiten und auch an den Wochenenden.

"Ich glaube auch, dass wir die Meinung der Bevölkerung hören und etwas verändern sollten, was die Flüchtlingspolitik angeht", sagt die Bürgermeisterin zu weiteren Maßnahmen. "Es gibt sehr viel Verärgerung darüber, dass ausländische Bürger hier die Pässe beantragen und dann damit in ihre Heimatländer reisen, aus denen sie eigentlich gekommen sind, weil sie schutzbedürftig sind. Das können die Bürger nicht verstehen. Und die Toleranz gegenüber Straftätern ist gleich null: ausweisen, keine 1.000 Euro mitgeben, auf Wiedersehen! Das ist die Meinung der Bevölkerung. Und ich kann das auch in bestimmten Zügen sehr gut nachvollziehen."

Angstforscher: Mehr Sorge in einer Kleinstadt

Die Angst vor Fremden ist offenbar groß. Borwin Bandelow gilt als einer der renommiertesten Angstforscher Deutschlands. Er weiß um die besondere Wahrnehmung eines solchen Messerangriffs in einer beschaulichen Stadt wie Wolmirstedt. "Menschen in einer Großstadt wie Berlin sind es natürlich gewohnt, dass sie alle drei Tage etwas von einer Messerattacke hören. Für sie ist das gewisserweise bereits Alltag", sagt Bandelow. "Während die Menschen in einer Kleinstadt vielleicht zum ersten Mal von so einem furchtbaren Anschlag hören, der in ihrer Stadt stattgefunden hat. Das führt bei ihnen dann sehr viel mehr zu Sorge."

Die Angst fortan als ständiger Begleiter? "Nein, das ist nicht so", sagt Bandelow. Denn: "Man muss sich einfach auch vor Augen halten, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines solchen Angriffs zu werden, extrem gering ist im Verhältnis zu den zahllosen anderen Gefahren, die täglich auf uns lauern." In der Regel würden die Menschen spätestens vier Wochen nach einer solchen Tat zur Normalität zurückkehren, erklärt der Angstforscher.

Wenn eine Gefahr als neu und unbeherrschbar eingeschätzt wird, haben die Menschen davor sehr viel mehr Angst als vor bekannten Gefahren.

Angstforscher Borwin Bandelow über Messerattacken

Größere Verunsicherung bei Messerattacken

Trotzdem würden insbesondere Messerangriffe für Verunsicherung bei den Menschen sorgen. "Wenn eine Gefahr als neu und unbeherrschbar eingeschätzt wird, haben die Menschen davor sehr viel mehr Angst als vor bekannten Gefahren", sagt Borwin Bandelow. "Fast 3.000 Menschen sterben jedes Jahr durch Autounfälle, aber daran haben wir uns gewöhnt."

Bei Messerattacken, die "sich in letzter Zeit häufen", wie Bandelow sagt, sei das anders. "Deshalb überschätzen wir auch die statistische Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses und trauen uns dann nicht mehr auf die Straße, gehen nicht mehr in Fußgängerzonen oder haben dort zumindest ein mulmiges Gefühl, das wir vorher nicht hatten", sagt der Angstforscher. "Das treibt die Menschen im Moment um."

Anwohner: "Ein bisschen vorsichtiger geworden"

Viele Wolmirstedter wollen anonym bleiben, wenn sie nach dem Messerangriff gefragt werden. Ein Mann, der in der Plattenbausiedlung gerade mit seinem Hund spazieren geht, sagt: "Meine Frau und ich waren uns sicher, dass hier irgendwann etwas passieren wird. Und dann ist es eben passiert. Die Migration muss weniger werden und kontrollierter ablaufen. Man hat mittlerweile Angst. Ich bin zum Beispiel immer gerne auf den Weihnachtsmarkt nach Magdeburg gegangen, aber das mache ich seit letztem Jahr nicht mehr. Das traue ich mir nicht mehr zu."

Andere Anwohner schätzen die Situation weniger dramatisch ein. So sagt Rentner Roland Stier beispielsweise: "Im Großen und Ganzen können wir hier in Ruhe leben. Natürlich ist man ein bisschen vorsichtiger, aber wir können uns hier frei bewegen. Es ist nicht so, dass wir Angst haben müssen."

Roland Stier lebt seit 1980 in der Wolmirstedter Plattenbausiedlung. Bildrechte: MDR/Daniel George

Sarah Knabe erzählt: "Natürlich waren wir geschockt, weil wir in der Nähe der Kleingartensiedlung wohnen. Da fragst du dich schon, was gewesen wäre, wenn wir zu der Zeit gerade im Garten gewesen wären. Aber am Ende kann so etwas immer und überall passieren. Trotzdem wäre noch mehr Polizeipräsenz wünschenswert."

Sarah Knabe ist mit ihrer Familie vor anderthalb Jahren nach Wolmirstedt gezogen. Bildrechte: MDR/Daniel George

Ähnliches schildert auch Heini Kraft. Der 88-Jährige lebt mit seiner Frau in einem Einfamilienhaus unweit der Stelle, wo der Angreifer erschossen wurde. "Wir waren zu der Zeit gerade im Urlaub und haben es erst mitbekommen, als wir zurückgekommen sind", sagt der Rentner. Trotzdem: "Wir fühlen uns hier sicher. Wir sind ja auch allerhand gewöhnt, haben während des Weltkrieges die Bomben mitgekriegt, wie Magdeburg brannte. Da haben wir viel erlebt."

Heini Kraft fühlt sich auch nach dem Messerangriff noch sicher in Wolmirstedt. Bildrechte: MDR/Daniel George

Bürgermeisterin: "Dieses Thema gerät nicht so schnell in Vergessenheit"

Trotzdem: Der 14. Juni und seine Folgen wirken noch immer nach. "Ältere Menschen oder Menschen, die vielleicht aus beruflichen Gründen im Dunkeln unterwegs sein müssen, schauen schon einmal mehr nach rechts oder links", sagt Bürgermeisterin Marlies Cassuhn.

Der tödliche Messerangriff habe Spuren im Leben der Kleinstadt hinterlassen. "Das ist weiterhin Thema in Wolmirstedt und ich kann mir nicht vorstellen, dass das so schnell in Vergessenheit gerät", sagt Cassuhn. "Es war einschneidend und das bleibt es auch." Der Weg zurück zur Unbeschwertheit ist ein mühsamer.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:FAKT IST! aus Magdeburg | 09. September 2024 | 22:10 Uhr

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