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Steigende EnergiepreiseNebenkosten vervierfacht: Studentin aus Magdeburg bangt um Existenz

06. November 2022, 14:15 Uhr

Die Energiepreise im Land steigen und stellen besonders junge Studierende vor große Existenzängste. Denn Bafög und Nebenob reichen oft nicht mehr aus, um Miete, Strom und Lebensmittel zu finanzieren. Eine Studentin aus Magdeburg erzählt, wie sie mit den erhöhten Nebenkosten durch ihren Vermieter umgeht.

Immer wenn Post vom Vermieter kommt, ahnt Kristina Koch nichts Gutes. Auch dieses Mal behielt die 29-jährige Studentin aus Magdeburg mit ihrer Annahme Recht. Ihr Hausbesitzer ist ein Immobiliendienstleister aus der Landeshauptstadt. In einem Brief teilt er mit, dass sich im kommenden Jahr die Betriebskosten für ihre Wohnung im Stadtteil Stadtfeld-Ost massiv erhöhen werden.

"Die erste Erhöhung war die Anpassung der Miete wegen erhöhter Betriebskosten um 55 Euro im September. Dann kam im Oktober ein Brief, dass ich meine Miete freiwillig erhöhen soll, damit ich im nächsten Jahr nicht die volle Summe der Betriebskostenabrechnung abfangen muss", erzählt Koch. Laut ihrem Vermieter würden die Betriebskosten für 2023 um möglicherweise 1.000 Euro steigen. Grundlage für diesen Anstieg ist eine in Auftrag gegebene Energiekostenprognose eines privaten Anbieters. Diese kam zu dem Schluss, dass sich die Preise für Strom und Gas mindestens vervierfachen werden.

So wie Kristina Koch geht es gerade vielen Menschen in Sachsen-Anhalt. Denn seit Beginn des Jahres steigen die Preise für Strom und Gas unaufhörlich. Für Neukunden kostet eine Kilowattstunde Gas im Mittel derzeit 20,9 Cent (Stand: 04.11.2022), doppelt so viel wie noch 2021. Der aktuelle Strompreis liegt bei 43 Cent pro Kilowattstunde und ist damit anderthalb Mal so hoch wie vor einem Jahr. Sogar eine Verdopplung oder Verdreifachung der Preise zum Jahreswechsel liegen nach Aussagen der Stadtwerke Magdeburg im Rahmen des Möglichen.

Mieter können sich gegen steigende Betriebskosten wehren

Dass vor allem junge Menschen unter der aktuellen Preissteigerung für die eigenen vier Wände leiden, bemerkt auch Zakaria Said, Rechtsberater des Mietervereins Magdeburg. Aktuell bemerke er einen Anstieg an Anfragen zum Thema Betriebskosten. Viele Vermieter würden derzeit mit dem Verlauf der Preise für Strom und Gas spekulieren und die Betriebskosten anheben, so Said. Eine Entwicklung, gegen die sich Mieter jedoch wehren können.

Die Vorauszahlung kann nach einer Betriebskostenabrechnung in angemessener Höhe neu bestimmt werden, heißt es laut Gesetz. "Die Frage ist bloß, was heißt angemessen? Bei den Betriebskosten hat der Bundesgerichtshof 2011 genau das definiert. Angemessen bedeutet konkrete Umstände, die dann auf den jeweiligen Sachverhalt hochgerechnet werden können. Wenn jetzt die Strom- und Gasanbieter meinen, dass die Kosten wahrscheinlich um das Dreifache steigen, dann ist das keine konkrete Situation, sondern nur eine Vermutung", erklärt Said. Wenn der Vermieter aufgrund dieser Vermutung die Kosten um das Dreifache erhöhen wolle, sei das theoretisch nicht einfach so möglich.

Über ein Drittel der Studierenden lebt unter der Armutsgrenze

Was jedoch zum jetzigen Zeitpunkt unausweichlich scheint, sind "angemessene" Erhöhungen bei den Betriebskosten. Dies prognostiziert auch Zakaria Said: "Es wird definitiv teurer. 2021 hatten wir einen durchschnittlichen Gaspreis von 0,05 Euro pro Kilowatt. Der beschlossene Preisdeckel liegt bei 0,12 Euro pro Kilowatt. Das heißt, wir haben mindestens eine Verdoppelung. Und das ist dann definitiv die Realität. Das kommt auf alle zu." Ein entscheidender Richtungsweiser ist die am 02. November von Bund und Ländern beschlossene Strom- und Gaspreisbremse. Das Maßnahmenpaket soll zusätzlich zu den Soforthilfen den Preisanstieg für alle Bürgerinnen und Bürger eindämmen.

r die Studentin Kristina Koch ist die derzeitige staatliche Unterstützung jedoch nicht ausreichend. "Bei einer Betriebskostenerhöhung von über 700 Euro, wie bei mir, was sind dann zum Beispiel 200 Euro für eine Entlastung? Es ist wirklich nur ein kleiner Booster im Vergleich zu den derzeit realistischen Lebenshaltungskosten", kritisiert sie. Schon seit Beginn der Corona-Pandemie kämpfen viele junge Menschen verstärkt mit finanziellen Problemen. Aus einer Studie der "Paritätischen Forschungsstelle" vom Mai 2022 geht hervor, dass über ein Drittel der immatrikulierten Studierenden in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben und ihr Durchschnittseinkommen bei 802 Euro im Monat liegt. Das sind 463 Euro weniger als die in Deutschland definierte Armutsgrenze. Damit sind Studierende doppelt so häufig von Armut betroffen wie die Restbevölkerung.

Ich kann die aktuellen Kosten eigentlich nur stemmen, weil ich sehr viel arbeite, ansonsten wäre ich komplett verloren.

Kristina Koch, Studentin aus Magdeburg

Auch bei Kristina Koch ist die aktuelle Inflation und der Preisanstieg in allen Lebenslagen deutlich spürbar. "Vor allem beim Essen merkt man die aktuelle Situation stark. Ich kaufe jetzt vermehrt 'minderwertiges Zeug' ein und schaue drauf, dass meine Kosten fürs Essen quasi bei null liegen. Ich kann die aktuellen Kosten eigentlich nur stemmen, weil ich sehr viel arbeite, ansonsten wäre ich komplett verloren", erzählt sie.

Reform des BAföGs soll Studierende entlasten

Völlig untätig ist die Politik, in Bezug auf die finanzielle Unterstützung von Studierenden, jedoch nicht gewesen. Im August kam es zur Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). Ein gestiegener Höchstsatz, Wohnzuschläge, Heizkostenpauschalen und höhere Freibeträge auf Vermögen sind die Kerninhalte der Reform. Auch für Studierende ohne BAföG-Anspruch sind Maßnahmen, wie der Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro oder die einmalige Heizkostenübernahme eine Möglichkeit, den Kontostand auszugleichen. Ob es sich hierbei jedoch nicht nur um einen einfachen Inflationsausgleich handelt, darüber sind sich in Studierendenkreisen nicht alle einig.

Das Studentenwerk Magdeburg sieht vor allem die Bundespolitik weiter im Zugzwang, wenn es um angemessene Unterstützungen im Zeitraum einer Krise, wie die der Inflation, geht. "Die aktuelle Entwicklung der Preissteigerungen trifft die Studierenden genauso hart wie im Grunde alle anderen Bundesbürger. Der große Unterschied besteht jedoch darin, dass Studierende im Vergleich zu Arbeitnehmern keine Gewerkschaft hinter sich haben, die zum Beispiel in Tarifverhandlungen einen besseren Inflationsausgleich verhandeln kann", so Ute Hellwig, Geschäftsführerin des Studentenwerks Magdeburg. Es brauche weiterhin eine unkomplizierte Anpassung von BAföG-Zahlungen an die aktuelle Lebensrealität von Studierenden. Nötige Hilfen müssten schneller ankommen und nicht erst in langen Runden nachverhandelt werden.

Bei einer Betriebskostenerhöhung von über 700 Euro, wie bei mir, was sind dann 200 Euro für eine Entlastung? Es ist nur ein kleiner Booster im Vergleich zu den derzeit realistischen Lebenshaltungskosten.

Kristina Koch, Studentin aus Magdeburg

Für Kristina Koch wären weitere Hilfen vom Staat gern gesehen. Die 29-Jährige will bis auf weiteres ihren Lebensstandard auf die Umstände anpassen. "Dinge, wie ein Urlaub, sind bei mir schon längst vom Tisch. Ich werde überall meine Kosten auf ein Minimum reduzieren." Auf den Rat ihrer Eltern hat sie die Erhöhung ihrer Nebenkosten unterzeichnet und bekommt nun zusätzliche finanzielle Unterstützung aus der Heimat. Für viele Studierende ist das aber nicht möglich. Die Sorge vor dem Brief des Vermieters könnte deshalb für die junge Generation auch in den kommenden Wochen zum Dauerthema werden.

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MDR (Gianluca Siska, Sarah-Maria Köpf)

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