Pläne der Bundeswehr Zivile Hilfe, Truppen-Bewegungen: Das bedeutet der "Operationsplan Deutschland"
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08. April 2025, 16:47 Uhr
Der "Operationsplan Deutschland" soll regeln, was passiert, wenn wegen der verschärften Sicherheitslage in Europa der Bündnis- oder Verteidigungsfall eintritt. Für Sachsen-Anhalt bedeutet das: Truppen-Bewegungen und dass Güter und Rastplätze für Soldaten bereitgestellt werden müssten. Noch fehlt es aber an einem Gesetz, das das Land Sachsen-Anhalt in diesem Falle entscheidungsfähig machen würde.
- Sachsen-Anhalt wird Teil der sogenannten "Drehscheibe Deutschland". Militärtruppen sollen sich dann an besonderen Rastplätzen ausruhen können.
- Firmen und Institutionen sollen die Bundeswehr und weitere Soldaten aus den Bündnissen, wie die Nato, unterstützen. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Versorgung dieser.
- Das Innenministerium fordert eine Änderung im Grundgesetz. Denn aktuell entscheidet der Bund über die zivile Verteidigung.
Das Lagezentrum des Landeskommando Sachsen-Anhalt ist ein großer Raum. Auf den ersten Blick ähnelt es einem normalen Büro mit Tischen, Drehstühlen und Computern. An den Wänden hängen einige Pinnwände – meterhoch und alle mit weißen Tüchern verdeckt. Was darunter steht, ist nur für die Augen der Bundeswehr bestimmt. An der einzigen sichtbaren Pinnwand ist eine Karte von Sachsen-Anhalt mit mehreren Fotos und Grafiken zu sehen.
Ein Foto zeigt Militärfahrzeuge auf Sachsen-Anhalts Autobahnen. Eine Schnur führt von dem Foto zur A2 auf der riesigen Karte. Die Grafik darunter zeigt verschiedene Deutschlandkarten mit Pfeilen, die Bewegungen von Soldaten, Militärfahrzeugen und Geflüchteten zeigen soll. Das Besondere: Die Pfeile führen nur durch Deutschland. Was hier abgebildet ist, ist eine stark vereinfachte Form des sogenannten "Operationsplan Deutschlands". Dieser Plan soll regeln, was passiert, sollte der Bündnis- oder Verteidigungsfall eintreten.
Truppenbewegung: Sachsen-Anhalt wird Teil der Drehscheibe Deutschland
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die Sicherheitslage in Europa verändert. Das Ziel des mehr als tausend Seiten langen und geheimen Operationsplans ist es, die "zentralen militärischen Anteile der Landes- und Bündnisverteidigung in Deutschland mit den dafür erforderlichen zivilen Unterstützungsleistungen in einem operativ auszuführbaren Plan" zusammenzuführen. So steht es in einer Broschüre, die im Landeskommando als Infomaterial zu finden ist. An dieser Stelle muss man erstmal Luft holen – also der Reihe nach.
Zuerst ein Blick auf den militärischen Teil: Thorsten Alme, Kommandeur im Landeskommando Sachsen-Anhalt, beschreibt das im Klartext so: Sollte der Plan ausgelöst werden, würde das bedeuten, dass Truppen der Nato durch Deutschland und somit auch durch Sachsen-Anhalt "marschieren" müssten – beispielsweise Richtung Ostflanke –, um an ihr Ziel zu kommen, wie er MDR SACHSEN-ANHALT erklärt. Ein Ziel könnte etwa Polen sein, wie er beschreibt.
Das ist die Nato
Die Nato ist eine Allianz von europäischen und nordamerikanischen Ländern. Sie ermöglicht den beiden Kontinenten, sich in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen zu beratschlagen und zusammenzuarbeiten sowie gemeinsam multinationale Krisenmanagementoperationen durchzuführen.
Quelle: Website der Nato
"Wir müssen uns vorstellen, dass die Marschbewegungen schon erheblichen Umfang haben. Die Nato-Planungen sehen vor, zur Abschreckung bis zu 800.000 Soldaten zu verlegen, inklusive etwa 300.000 bis 400.000 Kraftfahrzeuge", erzählt Alme. Und die bewegen sich dann über Deutschlands Straßen – welche, ist natürlich geheim. "Die würden das auf unseren, zum Beispiel, Autobahnen tun in einer Situation, in der wir noch im Frieden leben, in der wir noch keinen Verteidigungsfall haben. Das würde natürlich für die Bevölkerung sehr sichtbar sein", so der Kommandeur. Das ganze soll in beide Richtungen funktionieren: Deutschland würde, und damit auch Sachsen-Anhalt, zu einer Art Drehscheibe für die Truppen werden. Denn geografisch gesehen, ist dies fast der einzige Weg, um von West nach Ost zu gelangen und zurück.
Zivile Unterstützung: Firmen und Institutionen helfen Bundeswehr und Nato-Truppen
An dieser Stelle käme die sogenannte "zivile Unterstützung" in Frage, wie sie in der Broschüre beschrieben wird: Ähnlich wie bei einer normalen Urlaubsreise mit dem Auto, müssen auch die Truppen der Nato nach einer bestimmten Zeit eine Rast einlegen. Das würde auch an dem ein oder anderen Ort in Sachsen-Anhalt passieren, heißt es. Wo? Ist natürlich wieder geheim.
Passieren soll das in sogenannten Convoy-Support-Centern (CSC), an denen sich die Truppen ausruhen sollen, wie Alme sagt. Die Center werden dann zivil betrieben. Der erste Vertrag, der dafür geschlossen wurde, ist eine Vereinbarung mit der Firma Rheinmetall, erklärt er. Laut Rheinmetall übernimmt die Firma den "Aufbau und den Betrieb von Rast- und Sammelräumen entlang von Marschrouten". Dazu gehöre unter anderem die "Bereitstellung und der Betrieb von Unterkünften, Sanitäranlagen und Verpflegungseinrichtungen sowie Betrieb von Verkaufseinrichtungen und Betankungsmöglichkeiten, Energieversorgung, Abfallentsorgung, Bewachungsdienstleistungen". Der Vertrag kann bis 2029 verlängert werden.
Doch damit nicht genug: Zivile Unterstützung heißt für Kommandeur Thorsten Alme auch, dass Institutionen mithelfen müssen. Das wären zum Beispiel die Polizei, Ordnungsbehörden oder auch das Technische Hilfswerk (THW). Man sei als Landeskommando "intensiv" in Gesprächen mit dem Innenministerium Sachsen-Anhalt – "um alles auf der Ebene der Landesregierung transparent zu machen, was der Operationsplan Deutschland auch für das Land Sachsen-Anhalt bedeutet", sagt Alme. "Wir setzen die Gespräche auch auf der Ebene der Landkreise fort, wo wir mit den Landräten sprechen, über die Dinge, die sie erwarten. Das wird ein vermehrtes Verkehrsaufkommen sein. Aber eben auch die Bereitschaft, den einen oder anderen aus ihrem Bereich für die Bundeswehr freizugeben", so Alme weiter.
Über Einzelheiten kann der Kommandeur nicht sprechen. Alles ist geheim und noch ist nicht vorhersagbar, was die Nato tatsächlich braucht, im Falle des Falles. Klar ist aber, dass dann "Marschbewegungen" mit Militärfahrzeugen und Truppen durch Sachsen-Anhalt rollen. Laut Alme sind das dann pro Marschkolonne 30 bis 50 Fahrzeuge und davon mehrere am Tag. Auch auf Sachsen-Anhalts Truppenübungsplätzen würde dann vermehrt geübt werden.
Innenministerium: Gesetz über zivile Verteidigung verändern
Ein paar Kilometer Luftlinie vom Landeskommando entfernt, liegt das Innenministerium Sachsen-Anhalt. Das Büro von Lutz-Georg Berkling liegt genau an den Gleisen des Güterzugverkehrs. Schon jetzt sieht Berkling immer mal wieder Züge mit Militärfahrzeugen geladen, die während seiner Arbeitszeit hier vorbeidonnern.
"Wir haben seitens der Kommunen großes Interesse, mitzuwirken", so der Leiter der Abteilung Katastrophenschutz und zivile Verteidigung. Neben der Truppenbewegung auf den verschiedenen Verkehrswegen und den CSC – die wie Raststätten funktionieren – kommen noch sogenannte "Intermedia Support Bases" auf Sachsen-Anhalt zu. Das sind Einrichtungen, die für eine größere Anzahl von Truppen, für einen längeren Aufenthalt von Tagen und Wochen vorgesehen sind. Und auch hier gilt: Wo im Land sie sich befinden werden, ist selbstverständlich geheim.
Von Seiten der Bundeswehr gilt also die Grundforderung an die Länder, die Armee zu unterstützen. Es gibt an dieser Stelle nur ein Problem: Der Operationsplan ist eine von vier Säulen der zivilen Verteidigung – und über die darf ausschließlich der Bund bestimmen. Berkling verlangt deshalb: "Es braucht ein Gesetz, das die Aufgaben des Bundes in der zivilen Verteidigung auf die Länder überträgt, die diese Aufgaben dann wahrnehmen". Gemeint ist hier speziell der Artikel 73 im Grundgesetz. Darin heißt es: "Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung."
Der Bund müsse diese Aufgabe den Ländern übertragen im Rahmen der sogenannten Bundesauftragsverwaltung. Dafür ist ein Gesetz erforderlich, das es laut Berkling bislang nicht gibt.
Sachsen-Anhalt macht, wofür es zuständig ist: Verkehr und Infrastruktur
In der Umsetzung der tatsächlichen Forderung gibt es im Innenministerium somit noch offene Fragen. Aktuell könne so nur im Rahmen der sowieso schon vorhandenen Zuständigkeiten gearbeitet werden. Das sind vor allem Fragen der Verkehrsführung und der Infrastruktur. "Die sind den Ländern ohnehin übertragen, und im Rahmen dieser Zuständigkeiten können wir auch jetzt schon handeln", so der Leiter.
Momentan sei Sachsen-Anhalt genauso gut und genauso schlecht aufgestellt, wie die anderen Länder auch, sagt Berkling. "Alle haben Katastrophenschutzkräfte, die dann im zivilen Verteidigungsfall zum Einsatz kommen, aber die Abstimmungen fehlen noch und konkrete Details."
Zurück im Lagezentrum des Landeskommandos. Der Operationsplan soll vorwiegend zur Abschreckung dienen. Dass es in Deutschland zu "massiven Kampfhandlungen", wie es Kommandeur Thorsten Alme nennt, kommen wird, glaubt er nicht. "Wir müssen aber damit rechnen, was auch heute schon passiert: Cyberangriffe auf unsere Infrastruktur, Ausspähung und möglicherweise auch Zerstörung von Knotenpunkten durch Attentate – aber eben punktuell. Das sind aber Dinge, auf die sich die Sicherheitsbehörden jetzt schon vorbereiten", so der Kommandeur.
Am Ende bleibt aber die Hoffnung: So wünscht sich Alme, dass "wir den Operationsplan nie auslösen müssen – uns zwar weiter vorbereiten, wir aber ein friedliches Leben führen können. In Freiheit."
MDR (Maximilian Fürstenberg) | Erstmals veröffentlicht am 06.04.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. April 2025 | 19:00 Uhr
Anita L. vor 6 Wochen
"Die europäische Friedensordnung wurde mit dem ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg nach dem 2. Weltkrieg, gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ad acta gelegt."
Sie meinen den, als Serbien versuchte, die in den zwischen 1990 und 1992 durchgeführten Referenden überdeutlich manifestierten Souveränitätsbekundungen durch Krieg gegen die Völker zu verhindern versuchte bis hin zu Massenmord, und in den die NATO im Auftrag des UN-Sicherheitsrates eingriff? Ja, der Milosevic war schon ein Ausbund an Friedfertigkeit und Toleranz.
Peter vor 6 Wochen
Welche Gesprächsangebote Russlands gab es eigentlich im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine.
pwsksk: Sie malen sich selbst ein Bild, das der Realität nicht entspricht.
Ich werte Ihr Statement als untauglichen Versuch, Putins Imperialismus zu rechtfertigen. Sie werden damit nicht durchkommen. Die Fakten zeigen ein anders Bild.
DER Beobachter vor 6 Wochen
So wenige Patrioten gibt es in Deutschland gegenüber zu erwartenden Aggressoren? Das sind sogar noch weniger als in der Ukraine und als weiland gegen Napoleon ... Man weiß nicht, ob man darüber weinen oder sich darüber tot lachen kann...