Halle-Attentat: Reportage zum dritten Prozesstag Ein heikler Moment: Als die Richterin einen Brief verliest

05. August 2020, 15:07 Uhr

Der dritte Prozesstag beginnt dort, wo vergangene Woche aufgehört wurde: Mit der Befragung durch die Vertreter der Nebenkläger. Außerdem kommt ein Ermittler des BKA zu Wort. Er hatte den Angeklagten fünf Tage lang verhört und ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Und es gibt einen heiklen Moment, als die Richterin einen Brief der Mutter vorliest.

Der Angeklagte zwischen seinen Anwälten, dahinter stehen Sicherheitskräfte
Am dritten Prozesstag wurde auch einer der Ermittler befragt. Bildrechte: imago/Christian Grube, Max Schörm

Routiniert startet der dritte Verhandlungstag in Magdeburg. Es gibt keine Warteschlangen. Der Bereich für Besucher ist bereits um kurz nach 9 Uhr gut gefüllt. Journalisten und Anwälte der Nebenkläger trudeln nach und nach ein.

Als der Angeklagte von drei Justizbeamten hereingeführt wird, scheint zunächst kaum jemand auf der anderen Seite der Panzerglaswand großartig Notiz davon zu nehmen. Erst durch das Klicken und Aufblitzen der Kameras ist hörbar: Auch er ist jetzt da.

Sein Blick – ausdruckslos wie die Woche zuvor. Allerdings nicht teilnahmslos. Der Blick schweift über die Kameras. Es wirkt auf mich fast so, als sollte jeder ein "gutes Foto" von ihm bekommen. Vielleicht weiß er noch nicht, dass ein Großteil der Medien sein Gesicht verpixeln wird.

Die Befragung geht weiter

Der heutige Verhandlungstag setzt da an, wo vergangene Woche Mittwoch aufgehört wurde. Die Vertreter der Nebenkläger, mittlerweile sind 45 zugelassen, befragen den Angeklagten. Ein Balanceakt. Einerseits geht es hier natürlich darum, mehr über die Beweg- und Hintergründe, die Tat selbst, herauszufinden. Andererseits bekommt der Angeklagte so erneut die Möglichkeit, lang und breit sein menschenverachtendes Weltbild auszubreiten.

Zwar machen ihm die Anwälte klar, dass sie die Spielregeln bestimmen. "Entweder beantworten Sie ernsthaft Fragen. Sie sind hier nicht in einer Show," maßregelt sichtlich verärgert die Anwältin Dr. Kati Lang.

Es wird aber auch deutlich: Der Angeklagte hat längst begriffen, wie er die Spielregeln für sich auslegt. Er wirkt dabei alles andere als desinteressiert. Er ist aufmerksam, wendet sich den Fragenden immer mit dem Gesicht zu, beugt sich nach vorne. Je nach Frage und Anwalt antwortet er offen oder geht in Abwehrhaltung, macht sich teilweise sogar lustig. Immer wieder ein Grinsen im Gesicht – nur dann nicht, wenn es um seine Familie geht.

Wie viel wussten Familie und Freunde?

Die Familie und das private Umfeld stehen, neben der Tat an sich, immer wieder im Fokus. Mehrfach hat er bereits bekräftigt, dass dieses nichts von seinen Ansichten gewusst habe. "Sind Sie sicher?" Onur Özata ist einer der Anwälte, der an dieser Stelle immer wieder nachhakt. Tatsächlich soll sich der Angeklagte gegenüber dem heutigen Ex-Freund seiner Schwester oder einen früheren Freundin abwertend über Juden und Migranten geäußert haben. Auf einem Geburtstag 2016 soll es zu einem Streit und einer Auseinandersetzung mit einem Messer gekommen sein. Und der Angeklagte? Verweist auf Erinnerungslücken oder, dass er betrunken gewesen wäre.

Ein heikler Moment: Als der Angeklagte auf den Selbstmordversuch seiner Mutter kurz nach dem Anschlag angesprochen wird. Eine Information, die einige der Zuschauenden im Saal noch nicht wussten. Das entsetzte Überraschen ist deutlich spürbar. Ihr sechs Seiten langer Abschiedsbrief wird von der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens vorgelesen.

Die Anwälte und Richterin Mertens fragen gezielt nach: "Ihre Mutter treibt das Thema Juden auch um, nicht?" Er verneint. Offensichtlich ist aber: Ihn treibt dieser Brief um. Während Ursula Mertens vorliest, schaut der Angeklagte die ganze Zeit nach unten, atmet so tief durch, dass es sogar von meinem Sitzplatz zu erkennen ist.

Briefe an einen Attentäter

Das Bild des Einzeltäters, das Bild eines jungen Mannes, der sich isoliert und unbemerkt im Internet radikalisiert hat, wurde in der Vergangenheit allzu oft bemüht. Heute wird auch für den Letzten deutlich: Sein Umfeld hat sehr wohl das ein oder andere von seinem antisemitischen, rassistischen und rechtsextremistischen Weltbild mitbekommen. Die Frage ist: Hat es das auch geteilt? Hat irgendjemand aktiv etwas erwidert? Bis auf bereits bekannte, ausweichenden Aussagen des Angeklagten erfahren wir darüber heute kaum etwas. Dafür aber, dass der vermeintliche Einzelgänger auf jeden Fall gar nicht so allein ist.

Cottbus, Aschersleben, Halle, Eilenburg, Bernburg – aus all diesen Städten wurden Briefe in die JVA geschickt. Was drin steht, wissen wir noch nicht. Fest steht: Der Angeklagte hat auf diese Briefe geantwortet. Ins Detail will er aber nicht gehen – privater Briefverkehr. Rechtsanwältin Dr. Kati Lang: "Warum denn nicht? Weil es für sie ungemütlich wird?"

Abstruses Weltbild

Anders als in der vergangenen Woche sind in dieser nur wenige Nebenkläger selbst im Gerichtssaal. Die Meisten haben ihre Anwälte geschickt. Sie übernehmen die Fragen. Doch einer lässt es sich nicht nehmen, das Wort selbst an den Angeklagten zu richten. Ein starkes Zeichen. Die Fragen stellt er auf Englisch. Er wolle besser verstehen, woher der Hass des Angeklagten auf Menschen mit jüdischem Glauben kommt. Menschen wie ihn. Er fragt, wie tief dessen Überzeugung ist. Die Antworten: Durchtränkt von der menschenverachtenden Ideologie, die der Angeklagte mittlerweile mehrfach ausgebreitet hat.

Erschüttert sind davon heute nicht mehr viele. Seine Tat, sein Weltbild ist und bleibt abscheulich. Seine Erklärungen aber eben auch abstrus. Immer wieder müssen Anwesende verhalten lachen, auch über einige spitze Bemerkungen der Vorsitzenden Richterin. Besonders skurril: Die Diskussion mit Rechtsanwältin Dr. Kati Lang – über seinen Hass auf "StarTrek" und wer in Hollywood seiner Ansicht nach wirklich den Ton angibt.

BKA-Ermittler ist erster Zeuge

Nach mehr als zwei Stunden Befragung und einer Pause tritt ein Ermittler des BKA in den Zeugenstand. Er hatte an den insgesamt fünf Vernehmungen teilgenommen und ein Persönlichkeitsprofil erstellt. Detailliert wird er von der Vorsitzenden Richterin, aber auch der Bundesanwaltschaft und Vertretern der Nebenklage befragt. Mittlerweile ist es warm und stickig im Gerichtssaal. Bei 28 Grad Außentemperatur und einem gefüllten Zuschauerbereich aber auch nicht verwunderlich. Die meisten Antworten des Ermittlers sind nicht neu. Es geht viel darum, wann was gefragt wurde und wie der Angeklagte in der Vernehmung reagiert habe.

Für den BKA-Ermittler ist besonders auffällig, dass der Angeklagte während der Vernehmung immer wieder gelächelt habe. "Dass es manchmal aus ihm herausgebrochen ist und er schallend gelacht hat." Ein ähnliches Lachen, ist auch heute immer wieder im Saal zu hören – kehlig, hoch und verächtlich. Für den Ermittler steht fest, dass drei entscheidende Ereignisse Auslöser für den Tatentschluss waren. Erstens: Die Erkrankung 2013. Zweitens: Die Flüchtlingskrise 2015. Eine Zäsur, wie der Angeklagte in der Vernehmung zu Protokoll gegeben habe. Drittens: Das Attentat von Christchurch im März 2019.

Zufrieden scheinen die Vertreter der Nebenkläger nach knapp zwei Stunden mit den Aussagen des BKA-Ermittlers nicht. Vor allem zum Ende der Befragung antwortet er ungenau. Zu wenig kann er über die Kontakte im Internet und Imageboards sagen. Hier werden die Nebenkläger an den kommenden Prozesstagen noch einmal nachbohren, allerdings nicht am Mittwoch. Acht Zeugen sind für den vierten Prozesstag geladen, darunter auch die Familie des Angeklagten. Werden sie aussagen? Vielleicht. Sie hätten auch das Recht, das Zeugnis zu verweigern. Dass sie davon Gebrauch machen könnten, wurde bereits in der vergangenen Woche angedeutet.

Über die Autorin Marie-Kristin Landes ist in Dessau-Roßlau geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur zog es sie für ein Politikstudium erst nach Dresden, dann für den Master Journalistik nach Leipzig. Praktische Erfahrungen sammelte sie bei der Sächsischen Zeitung, dem ZDF-Auslandsstudio Wien und als freie Mitarbeiterin für das Onlineradio detektor.fm. Nach ihrem Volontariat beim Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet sie jetzt vor allem für MDR Kultur und das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt. Wenn sie nicht gerade für den MDR unterwegs ist, ist sie am liebsten einfach draußen. Zwischen Meer oder Berge kann sie sich dabei genauso wenig wie zwischen Hund oder Katze entscheiden.

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Am Landgericht Magdeburg begann am 21. Juli 2020 der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle Saale, Stephan B.
Bildrechte: imago images/Christian Grube | Grafik: MDR/Max Schörm

Quelle: MDR/ff,olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. Juli 2020 | 19:00 Uhr

6 Kommentare

Baldur von Ascanien am 29.07.2020

@Baldur:
Natürlich ist ihnen klar, dass sie sich nicht positiv über diesen rechtsextremistisch motivierten Mörder äußern können, auch wenn sie ansonsten durchaus Berührungspunkte mit seiner Ideologie besitzen mögen.
Die übliche Verfahrensweise rechtspopulistischer Kreise in so einem Fall entspricht genau ihrem Vorgehen.

Sorry, das muss ich mir nicht sagen lassen! Wo bleibt der Durchgriff vom MDR, ich muss mich von dieser "Dame" nicht als Nazisymphatisanten darstellen lassen. Entweder diese Dame hat eine schlechte Nacht gehabt oder ist in ihrer Nazitotschlagkeule gefangen und kommt da aus eigener Hilfe nicht mehr raus.

Ich bin weder ein Nazi, Reichsbürger, Wutbürger, Hutbürger oder ähnliches. Ihre Einlassungen sind schlichtweg dumm und anmaßend. Das einzige Nebulöse sind SIE!

Jana am 29.07.2020

@Baldur:
Natürlich ist ihnen klar, dass sie sich nicht positiv über diesen rechtsextremistisch motivierten Mörder äußern können, auch wenn sie ansonsten durchaus Berührungspunkte mit seiner Ideologie besitzen mögen.
Die übliche Verfahrensweise rechtspopulistischer Kreise in so einem Fall entspricht genau ihrem Vorgehen.

Wenn die Tat eines VErbrechers so abscheulich ist, dass man in der Luft zerrissen wird, wenn man diesem beispringt, dann kritisiert man eben das Verfahrungen und stellt nebulöse Behauptungen in den Raum die den Rechtsstaat verunglimpfen sollen.

Nun mal zu den Fakten:
- es steht bis zur Urteilsverkündung keinerlei Strafmaß fest
- bei einem geständigen Mörder wird man kaum mit einem Freispruch rechnen können
- für Mord ist im StGB ein Strafrahmen vorgegeben

Also tun sie mal nicht so, als ob nun alle Welt ungerechter Weise über den Angeklagten herfällt. Ansonsten können sie sich ja auch mal selbst fortbilden statt immer nebulöse rhetorische Fragen zu stellen.

Simone am 29.07.2020

Es ist unwahrscheinlich, dass das Umfeld des Angeklagten nichts von seinem rassitischen, antisemitischen und rechtsextremistischen Gedanken mitbekommen haben soll. Solche Leute wollen sich ja mitteilen, erkennen häufig nicht die Verwerflichkeit ihrer Gedanken und suchen die Betätigung ihrer Ideologie.

Als im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 extremistische Organisationen aller Art Morgenluft witterten und die AfD vertärkt auf in der Öffentlichkeit besser als EU Kritik zündenden Rassimus setzte, wurden viele Menschen weiter radikalisiert. Es sollte niemanden wundern, dass ein durch und durch extremistischer Mensch von Politikerreden inspiriert wird, in der Brandanschläge relativiert und Flüchtlinge entmenschlicht, werden. Die Aussage, man könne Flüchtlinge auch einfach an der Grenze abknallen war ein weiterer Schritt der AfD um Gewalt gegen Migranten in den Raum zu stellen. In den entsprechenden Kreisen wurde die Botschaft dahinter sehr wohl erkannt.

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