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Ursula Mertens ist im Prozess die Vorsitzende Richterin. Bildrechte: dpa/Max Schörm

Halle-Attentat: Reportage zum siebten ProzesstagDas BKA, der "humpelnde Patient"

26. August 2020, 20:30 Uhr

Ermittler des Bundeskriminalamtes konnten Fragen zu Gaming-Aktivitäten und weiteren Internet-Bewegungen des Angeklagten nicht beantworten. Die Zeugenbefragungen am Mittwoch offenbarten große Lücken in diesem Ermittlungsbereich. Dabei hatten die Beamten eine große Sammlung von Daten auf Computern und Datenträgern des Angeklagten gefunden und ausgewertet.

Die Bilder zeigen einen Menschen, der mit Schnittwunden übersät am Boden liegt. Menschen, die in Konzentrationslagern in Gaskammern getrieben werden. Einen Berg von Leichen, auf dem eine Anime-Figur steht, im Hintergrund eine brennende Israel-Flagge. Eine Anime-Figur, die das Symbol für White-Power vor einer Schwarzen Sonne zeigt – ein Symbol, dass sich aus mehreren Hakenkreuzen zusammensetzt, und das auch der Attentäter von Christchurch in Neuseeland verwendet hatte.

Diese Dateien – und noch viele andere – haben Ermittler des Bundeskriminalamtes auf Computern, SD-Karten und USB-Sticks des Angeklagten sichergestellt. Insgesamt geht es um mehr als 3.000 Videos, Fotos und Texte. Ein BKA-Ermittler sagt am siebten Verhandlungstag im Zeugenstand, der Angeklagte habe sich eingehend mit Gewalt beschäftigt, vor allem mit antisemitischen und rassistischen Inhalten.

Das Bundeskriminalamt wirkt an diesem Prozesstag wenig souverän. Dabei waren die ersten Aussagen zu den sichergestellten Dateien noch sehr detailliert. Ganz anders der Eindruck, den die Ermittler erwecken, die sich mit den Bewegungen des Angeklagten im Internet beschäftigt haben.

Die sichergestellten Bilder, Videos und Memes stammen aus Imageboards und Chaträumen, in denen B. aktiv war. Er hat sie gesammelt und selbst Bilder in einem von ihm als "Manifest" bezeichneten Dokument veröffentlicht, das er – zusammen mit Anleitungen zum Waffenbau und anderen Dateien – direkt vor dem Anschlag am 9. Oktober in Halle ins Internet hochgeladen hatte.

In welcher Community hat sich Stephan B. radikalisiert?

Ein Ermittler sagt vor Gericht, Stephan B. habe diese Dateien über Jahre hinweg gesammelt, auf Imageboards, die in der rechtsextremen Szene beliebt sind. Auf den Boards posten User anonym, verherrlichen unter anderem Attentate. Stephan B. selbst hatte etwa ein Video des Christchurch-Attentats auf dem USB-Stick dabei, das vermutlich von einem solchen Imageboard stammt. Außerdem fanden die Ermittler in den Daten des Angeklagten zwei Videos der neonazistischen Atomwaffen-Division.

Laut BKA hatte sich der Angeklagte unter anderem auf den Imageboards 4Chan, nanochan, meguca und julay.world mit der rechtsextremistischen Community ausgetauscht. Im Zeugenstand sagt der Ermittler: "Der Bereich 'Rechts' vernetzt sich international, wird von anderen Attentaten wie Christchurch inspiriert."

Die finden durch ideologische Einstellungen zusammen und nicht mehr durch Staatszugehörigkeit.

BKA-Ermittler Peter F. im Zeugenstand

Die Ermittler hatten festgestellt, dass der Angeklagte "Seiten mit einer entsprechenden ideologischen Nähe besucht hatte." Über sichergestellte Links, speziell für den TOR-Browser, konnten die Ermittler zum Teil nachvollziehen, auf welche Plattformen sich der Rechtsextremist anonym bewegt hatte.

Als die Vorsitzende Richterin fragt, welche Hinweise es auf Kontakte zu anderen gebe, muss der Zeuge antworten: "Kommunikation konnten wir nicht mehr nachweisen." Der Angeklagte grinst und feixt.

Gaming-Verhalten nicht analysiert

Eine wichtige Rolle für den Angeklagten hat offenbar die Spieleplattform Steam gespielt. Zwar hat der Betreiber Valve den Ermittlern Daten aus zwei Accounts von Stephan B. zur Verfügung gestellt – doch Nachfragen zum weiteren Spielverhalten hatten die Beamten nicht gestellt. Man habe nicht in die Tiefe geschaut, kritisiert die Nebenklage-Anwältin Kristin Pietrzyk. Viel Zeit hatte der Angeklagte den Ermittlern zufolge mit einer Simulation zum Waffenbau verbracht.

Bezeichnend für die Aussage-Kraft der Zeugenbefragungen ist ein Wortwechsel zwischen der BKA-Sachbearbeiterin, die den Vermerk zu Steam geschrieben hatte, und der Nebenklage-Vertreterin Lang:

"Waren Sie einmal auf Steam?"
"Nein, ich bin keine Gamerin."
"Das BKA hat Sie, die keine Ahnung von Steam hat, beauftragt, die Auswertung der Anfrage an Valve vorzunehmen?"
"Ja."

Imageboards: Keine Screenshots gemacht

Ein anderer Beamter, der einen Aktenvermerk zu Imageboards geschrieben hatte, hat offenbar Kommunikation im Anschluss an das Attentat bemerkt – aber nicht gesichert. Dieser Ermittler sagt, der Anschlag sei auf den Boards eher mit Tendenz zur Häme besprochen worden. Als Rechtsanwälte fragen, ob er entsprechende Postings gespeichert habe, antwortet der Ermittler: Das sei nicht seine Aufgabe gewesen.

Das ist der Mangel, den wir kritisieren in der Ermittlungsarbeit – weil es uns die Möglichkeit nimmt, zu verstehen, wie diese Strukturen funktionieren und wie diese Taten sich fortentwickeln.

Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk, Nebenklage-Vertreterin

Der Anwalt Onur Özata, der die Betroffenen aus dem Kiez-Döner vertritt, sagt, er habe den Eindruck, die Ermittler hätten nur das Nötigste getan. Zu den Gaming-Ermittlungen meint er: "Wir haben hier ein großes Unwissen feststellen können."

Wenn wir Ermittler haben, die nicht wissen, was sie getan haben, dann ist das nicht hilfreich für die Aufklärung.

Rechtsanwalt Onur Özata, Nebenklage-Vertreter

Als "humpelnden Patienten, der der Zeit hinterherläuft", bezeichnet der Anwalt David Benjamin Herrmann das Bundeskriminalamt. Er räumt allerdings ein, dass das Bild von der Arbeit des BKA bisher nur ein sehr fragmentarisches sei.

Verschlüsselte Daten des Angeklagten mit unbekanntem Inhalt

Der Angeklagte scheint während der Befragung der Kriminalbeamten und Sachbearbeiter regelrecht amüsiert. Er kichert, er lacht. Am zufriedensten wirkt er, als klar wird, dass ein Teil seiner Dateien nach wie vor verschlüsselt ist und von den Ermittlern nicht ausgewertet werden kann. Bereits am ersten Verhandlungstag hatte er erklärt, die Passwörter zu diesen Dateien nicht zu nennen. Ob das BKA noch an der Entschlüsselung arbeitet, wussten die am Mittwoch befragten Ermittler nicht.

Voraussichtlich werden weitere BKA-Beamte geladen werden, um die zahlreichen offenen Fragen an sie zu richten. Das Verfahren dürfte dadurch weiter in die Länge gezogen werden. Zuletzt waren zusätzliche Verhandlungstermine bis 18. November angekündigt worden.

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Bildrechte: Philipp Bauer

Über den AutorRoland Jäger arbeitet seit 2015 für den Mitteldeutschen Rundfunk – zunächst als Volontär und seit 2017 als Freier Mitarbeiter im Landesfunkhaus Magdeburg. Meist bearbeitet er politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen – häufig für die TV-Redaktionen MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE und Exakt – Die Story, auch für den Hörfunk und die Online-Redaktion. Vor seiner Zeit bei MDR SACHSEN-ANHALT hat Roland Jäger bei den Radiosendern Rockland und radioSAW erste journalistische Erfahrungen gesammelt und Europäische Geschichte und Germanistik mit Schwerpunkt Medienlinguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg studiert.

Siebter Prozesstag

Der fünfte Prozesstag

Der vierte Prozesstag

Der dritte Prozesstag

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Quelle: MDR/kb

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. August 2020 | 19:00 Uhr

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